Arbeitsbedingungen bei Zulieferern Regierung vertagt Kampf für Menschenrechte

Es bleibt deutschen Unternehmen überlassen, auf humane Arbeitsbedingungen bei Zulieferern zu achten. Die Bundesregierung will auf gesetzliche Regelungen offenbar vorerst verzichten. Hilfsorganisationen sind entsetzt.

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Bei einem Einsturz des Gebäudes starben 2013 mehr als 1120 Menschen. Rund 2400 wurden verletzt. Quelle: dpa

Düsseldorf Frank-Walter Steinmeier hat große Erwartungen geweckt. „Nicht nur Regierungen, auch Unternehmen stehen in ihrem globalen Handeln in Verantwortung für Menschenrechte“, mahnte der Außenminister bei der Auftaktkonferenz zum Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschrechte im November 2014. „Was für einzelne profitabel ist, das sollte für alle anderen nicht schädlich sein.“

Doch jetzt zeichnet sich ab: Die Bundesregierung geht den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette globaler Konzerne eher zögerlich an. Wie der noch unveröffentlichte  Entwurf des Nationalen Aktionsplans (NAP) zeigt, setzt sie weiter auf Freiwilligkeit und nicht auf gesetzliche Regelungen.

Das Papier, das dem Handelsblatt vorliegt, sieht keine Verpflichtungen für Unternehmen vor, sondern nur Empfehlungen. Als Ziel formuliert es, dass bis 2020 mindestens 50 Prozent aller in Deutschland ansässigen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten die im NAP beschrieben „Elemente menschrechtlicher Sorgfaltspflicht“ in ihre Lieferketten integriert haben. Es sind jedoch keine Sanktionsmechanismen vorgesehen für Unternehmen, die die Erwartungen der Bundesregierungen nicht erfüllen.

Konkrete Maßnahmen werden auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben. So soll erst ab 2018 jährlich überprüft werden, ob die Unternehmen Maßnahmen ergriffen haben, um die Einhaltung der Menschenrechte in ihrer Lieferkette sicherzustellen. Auch dann will die Bundesregierung lediglich prüfen, ob sie „weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen“ ergreift.

Verbände, die sich für die Rechte der Arbeiter in den Entwicklungsländern einsetzen, zeigten sich enttäuscht. „Es wäre absolut unbefriedigend, wenn die Bundesregierung nur eine Erwartung an die Unternehmen formulieren würde, dass sie ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gerecht werden“, sagt Armin Paasch vom kirchlichen Hilfswerk Misereor. „Wir fordern ein Gesetz, das deutsche Unternehmen verpflichtet, menschenrechtliche Risiken in ihren Auslandsgeschäften zu untersuchen.“


Mehr als 21 Millionen Opfer von Zwangsarbeit

Die Enttäuschung ist umso größer, weil sich die Bundesregierung auf internationaler Ebene durchaus stark engagiert. So hatte sie – auch unter dem Eindruck des tragischen Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch im April 2013 – die Einhaltung von Arbeits-, Sozial-, und Umweltstandards entlang der internationalen Lieferketten zu einem Schwerpunkt ihrer G7-Präsidentschaft im Jahr 2015 gemacht. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sterben jährlich 2,3 Millionen Menschen an Folgen der Arbeit, davon circa 350.000 bei Arbeitsunfällen und circa zwei Millionen an arbeitsbezogenen Krankheiten.

168 Millionen Kinder arbeiten, davon 85 Millionen unter extrem gefährlichen Bedingungen. Zudem sind mehr als 21 Millionen Menschen Opfer von Zwangsarbeit. Die menschlichen und wirtschaftlichen Verluste sind enorm. Allein die arbeitsbedingten Todesfälle bedeuten einen gesamtwirtschaftlichen Verlust von vier Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung.

Die sieben größten Industrienationen haben deshalb gemeinsam mit der der ILO den „Vision Zero Fund“ aufgelegt. Dieser soll Produktionsländer dabei unterstützen, Verbesserungen beispielsweise beim Arbeits- und Gesundheitsschutz vorzunehmen oder effektive Arbeitsinspektionen aufzubauen. Außerdem wollen die G7-Staaten die Beschwerdemöglichkeiten von Arbeitnehmern stärken, die für multinationale Unternehmen arbeiten, und Kleinbetriebe und Mittelständler beim Aufbau nachhaltiger Lieferketten unterstützen.

Vor sanftem Zwang im eigenen Land schreckt die schwarz-rote Koalition aber zurück: „Die Bundesregierung setzt auf das, was seit 20 Jahren zu nur sehr begrenzten Erfolgen geführt hat: freiwilliges Engagement von Unternehmen“, kritisiert Miriam Saage-Maaß von der Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). „Das hat bis heute nicht funktioniert und es ist für mich nicht erkennbar, warum das effektiv Menschen vor Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen in Zukunft schützen sollte“, so Saage-Maaß. „Die meisten Unternehmen werden erst dann wirklich aktiv, wenn sie rechtlich dazu verpflichtet werden“, sagt auch Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt.

Der Nationale Aktionsplan soll die 2011 verabschiedeten Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte für Deutschland umsetzen. „Wir werden darauf dringen, dass transnationale Unternehmen soziale, ökologische und menschenrechtliche

Standards einhalten“, hatten Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart. Großbritannien hat im September 2013 als erstes Land einen Nationalen Aktionsplan vorgelegt, gefolgt von den Niederlanden, Dänemark und Finnland. Seit 2014 laufen auch in Deutschland Konsultationen unter Federführung des Auswärtigen Amtes. Zurzeit laufen die letzten Abstimmungen mit Arbeits-, Wirtschafts-, Justiz und Entwicklungsministerium. In Kürze soll der NAP im Kabinett verabschiedet werden.


Betroffene klagen vor deutschem Gericht

Die Opposition übt schon im Vorfeld Kritik: Der Entwurf des Aktionsplans lasse befürchten, dass die Bundesregierung den ursprünglichen Ambitionen nicht ansatzweise gerecht werde, sagt etwa der Sprecher für Entwicklungspolitik der Grünen, Uwe Kekeritz. Die Bundesregierung wollte ein Leuchtturmprojekt schaffen, das Ergebnis sei jedoch nicht mehr als reine Rhetorik. „Das liegt auch daran, dass Unternehmen und Wirtschaftsverbände jede Form von Verbindlichkeit aus dem Papier herausverhandelten“, kritisiert Kekeritz. Dass gerade eine vermeintlich fortschrittliche Industrienation beim Menschenrechtschutz einknicke, sei „hochnotpeinlich“.

Unternehmen und Wirtschaftsverbände sträuben sich gegen verbindliche gesetzliche Regelungen und einklagbare Entschädigungen. Denn damit könnte jedes Unternehmen haftbar gemacht werden für die oft bedenklichen Arbeitsbedingungen in Fabriken, die ihnen gar nicht gehören – und auf die sie oft nur schwer Einfluss nehmen können.

Welche Bedeutung das haben könnte, zeigt der Fall des Brandunglückes in der pakistanischen Fabrik von Ali Enterprises, die überwiegend für den deutschen Textildiscounter Kik produzierte. Vor vier Jahren waren in Karachi 260 Menschen ums Leben gekommen. Kik hatte rasch eine Million Euro als Soforthilfe bereitgestellt. Doch über weitergehende Entschädigungen verhandeln die Betroffenen mit dem Unternehmen seitdem ergebnislos.

Nun wollen vier der Betroffenen Kik vor einem deutschen Gericht verklagen. Unter den Klägern ist auch Saeeda Khatoon, die bei dem Brand ihren einzigen Sohn verloren hat. „Wir möchten, dass Kik verantwortlich gemacht wird für das, was in Karatschi passiert ist“, sagt sie. „Wir warten immer noch auf Gerechtigkeit.“ Vielen Familien der Opfer gehe es sehr schlecht, weil sie den einzigen Ernährer verloren hätten.

Ob ihre Klage in Deutschland Erfolg haben wird ist nach der heutigen Rechtslage sehr fraglich. Zurzeit prüfen die Richter in Dortmund zunächst, ob den Klägern Prozesskostenhilfe gewährt wird. Aber immerhin hat die Klage schon etwas gebracht: Die vorher festgefahrenen Verhandlungen mit Kik wurden wieder aufgenommen.

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