Wie aber kommen die Zahlenunterschiede von BA und Eurostat zustande? Redet und rechnet sich Deutschland künstlich schlechter, als es ist? Die Antwort ist einfach – die beiden Behörden legen schlicht unterschiedliche Definitionen von Arbeitslosigkeit zugrunde. Eurostat übernimmt dabei die Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation (Ilo) in Genf. Die Zahlen beruhen nur auf einer Stichprobe und nicht auf einer Totalerhebung. Die Kriterien der Ilo sind zudem sehr weit gefasst und beziehen Personen im Alter von 15 bis 74 Jahren ein.
Zehn Jahre Hartz IV: Arbeitslosigkeit damals und heute
Rund 2,7 Millionen Menschen in Deutschland - das sind 6,3 Prozent - sind heute arbeitslos (Stand: Oktober 2014). Vor zehn Jahren war noch jeder Zehnte (10,1 Prozent) ohne Job, 4,4 Millionen Menschen hatten keine Arbeit (Stand: Oktober 2004). Im darauffolgenden Jahr erreichte die Arbeitslosigkeit mit rund fünf Millionen Arbeitslosen ihren Spitzenwert seit der Wiedervereinigung. Im Wesentlichen hing diese Entwicklung mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammen („Hartz-IV-Effekt“).
Den Zahlen nach zu urteilen haben Frauen heute wie damals kein größeres Risiko als Männer, arbeitslos zu werden. Der tatsächliche Anteil arbeitsloser Frauen dürfte dennoch höher liegen: Statistiker vermuten, dass insbesondere unter Frauen die stille Reserve höher liegt, weil viele keine Vermittlungschancen mehr sehen.
Im Jahresmittel 2004 betrug die Arbeitslosigkeit im Westen 8,5 Prozent, im Osten war sie mit über 18 Prozent mehr als doppelt so hoch.
Der Abstand hat sich inzwischen merklich verringert, ist aber weiterhin groß: Im Westen liegt die Quote heute bei etwa sechs Prozent, im Osten bei etwa zehn Prozent. Während das Potenzial an Menschen, die einer Arbeit nachgehen können, in Gesamtdeutschland stieg, sank es im Osten leicht.
Der Anteil der Arbeitslosen unter 25 Jahren ist in den vergangenen zehn Jahren zwar zurückgegangen. 2005 waren in dieser Altersgruppe noch knapp 15 Prozent arbeitslos, heute hat sich die Zahl mehr als halbiert. Ein Grund zum Jubeln ist das aber nur bedingt: Schließlich sinkt aus demografischen Gründen seit Jahren die Zahl der jungen Erwachsenen insgesamt. Die Arbeitslosenquote der Unter-25-Jährigen liegt seit zehn Jahren konstant etwa drei Prozentpunkte über der Gesamtquote.
In den vergangenen zehn Jahren stieg der Anteil der 55- bis 64-Jährigen an der Gesamtarbeitslosigkeit von 25 auf über 33 Prozent. In absoluten Zahlen waren aber weniger Ältere arbeitslos. Denn auch hier spielt die demografische Entwicklung eine Rolle. 2005 waren gut 15 Millionen Menschen zwischen 50 und 64 Jahre alt, 2015 werden es bereits über 18 Millionen sein. In dieser Gruppe hat sich der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit 2005 um knapp zehn Prozentpunkte erhöht, denn die Zahl der arbeitenden Älteren ist auf knapp 9 Millionen angestiegen.
Die bei der Bundesarbeitsagentur gemeldeten offenen Stellen sind in den vergangenen zehn Jahren mehr geworden - mit einem deutlichen Knick zur Finanzkrise 2009. Im Jahr 2005 waren 256.000 Stellen als offen gemeldet, 2013 waren es 434.000. Seit 2012 ist die Zahl der offenen Stellen wieder rückläufig.
In diesem Konzept gilt als arbeitslos, wer weniger als eine Stunde in der Woche einer bezahlten Beschäftigung nachgeht, innerhalb der vergangenen vier Wochen vergeblich nach einer Arbeit gesucht hat und innerhalb der nächsten zwei Wochen eine neue Beschäftigung aufnehmen könnte. Menschen, die einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen, gelten für die Ilo nicht als arbeitslos – selbst wenn sie nur eine Stunde pro Woche arbeiten und nicht sozialversicherungspflichtig sind.
Andere Messmethoden
Die BA misst die Arbeitslosenquote dagegen anhand der Definition des Sozialgesetzbuches (SGB) III. Danach muss man mindestens 15 Stunden in der Woche arbeiten, um nicht als arbeitslos zu gelten, und gezielt nach einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung suchen. Auch die Altersgrenze ist unterschiedlich, die BA erfasst in ihrer Statistik alle Jobsucher zwischen dem 16. Lebensjahr und dem Renteneintrittsalter.
Beide Messmethoden beziehen die Zahl der Arbeitslosen auf eine Referenzgruppe, um die Arbeitslosenquote zu bestimmen. Bei der Ilo ist dies die „zurzeit aktive Bevölkerung“, bei der BA sind es die „zivilen Erwerbspersonen“. Der Unterschied ist vor allem, dass die Ilo wieder eine Stichprobe zur Ermittlung der Referenzgruppe heranzieht; diese wird im Rahmen des Mikrozensus erhoben. Bei der BA ergibt sich die Zahl der Erwerbspersonen aus einer einmal jährlich durchgeführten bundesweiten Erhebung.
Lücken der Statistik
Obwohl die Messmethode der BA eine höhere Arbeitslosenquote ausweist, gibt es auch bei ihr einige Ausnahmen. So fallen zum Beispiel Arbeitnehmer, die älter als 58 Jahre sind und zwölf Monate vergeblich eine Beschäftigung gesucht haben, aus der Statistik heraus. Gleiches gilt für Erwerbslose, die an einer Weiterbildungsmaßnahme teilnehmen. Auch Ein-Euro-Jobber sind nach Ansicht der BA nicht arbeitslos.
Mithin spiegelt die offizielle Arbeitslosenstatistik nicht die wahre Zahl der Menschen wider, die eine Arbeit suchen. 2014 wies die Bundesagentur durchschnittlich 2,9 Millionen Personen als arbeitslos aus. Zählt man die Empfänger von Arbeitslosengeld-I-und Hartz-IV-Leistungen zusammen, ergab sich im Schnitt eine Zahl von 5,28 Millionen Menschen.