Arbeitsmarkt Hassobjekt Hartz IV ist ein Erfolgsmodell

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Bessere Chancen für Langzeitarbeitslose

Stefan Sindermann, 38, ist seit elf Jahren arbeitslos. Aus diversen Hilfsjobs als Verkäufer und Fahrer hat sich nie eine Festanstellung ergeben Quelle: Dominik Asbach für WirtschaftsWoche

Für viele offerierte der Sozialstaat zum ersten Mal auch einen echten Sozialstart. „Heute haben Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte wesentlich bessere Chancen, einen Job zu erhalten, als noch vor zehn Jahren“, urteilt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen lobt: „Die Reformen haben wieder den Grundsatz gestärkt, dass es besser für die Menschen ist, eine Beschäftigung zu haben, als auf Dauer arbeitslos zu sein. Das war gut – und hat auch nach innen gewirkt.“ Aus der schwerfälligen Bundesanstalt für Arbeit, wie sie damals noch hieß, sei „ein moderner, marktnaher Dienstleister“ geworden.

Dabei hat die Kommission ihren Arbeitsauftrag weit gedehnt – und das nicht ohne Hybris. Ursprünglich sollte sie nur das alte Arbeitsamt umorganisieren; die Bundesanstalt hatte über Jahre ihre Statistiken frisiert. Was die Runde am Ende aber vorstellte, schoss weit darüber hinaus. „Gerhard Schröder hat einen eher läppischen Vermittlungsskandal genutzt, um in die Betonmauer des deutschen Arbeitsmarktes einen Keil zu hauen“, sagt Jobst Fiedler, der damals Partner bei Roland Berger war und in der Hartz-Runde saß.

Lernen von Schröder

Europa sah und staunte. Und es lernt noch heute. Ende 2011 hat sich der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy von Gerhard Schröder im Élysée-Palast erklären lassen, wie man verkrustete Arbeitsmärkte entkalkt. Fortan schwärmte er von „Schröder à la française“. Die Franzosen wählten am Ende doch einen anderen, der Wohltaten statt Wahrheiten versprach. Schröder wird sich darüber nicht wundern.

Seine Agenda trieb die Menschen schon 2004 zu Montagsdemonstrationen auf die Straße. Am Ende kostete die Modernisierungspolitik den Kanzler sein Regierungsamt und die altehrwürdige Sozialdemokratie ihre Einheit. Ohne die Hartz-Gesetze gäbe es die vereinigte Linkspartei nicht.

Der geballte Zorn entlud sich auch auf Peter Hartz. Dass er 2007 in der Volkswagen-Affäre wegen Untreue verurteilt wurde, machte die Sache nicht besser. Umgekehrt hadert der Ex-Manager, weil das wohl verhassteste Gesetzeswerk aller Zeiten für immer seinen Namen trägt.

Denn ohne Blessuren ist es nicht zugegangen. Eine der Beulen hat Stefan Sindermann abbekommen. Sindermann, groß gewachsen, dazu eher breit als schmal, war schon arbeitslos, als Peter Hartz seine CD übergab. Zehn Jahre und vier Reformschritte danach ist er noch immer ohne festen Job – und privatinsolvent dazu.

Der 38-Jährige lebt in Marl, einer der letzten Bergbaustädte am nördlichen Rand des Ruhrgebiets. Er ist ein Beispiel für die Nebenwirkungen der Reformen. Denn so viel Hartz im Jobwunder steckt, so viel steckt auch in den bedrohlich klingenden Zahlen über wachsende Ungleichheit. Sindermanns Geschichte ist eine Mischung aus Unvermögen, Pech und zu hoch gegriffenen Ansprüchen. Nur Faulheit spielt in diesem Fall kaum eine Rolle, ganz entgegen allen Klischees.

Nach dem Hauptschulabschluss hat Sindermann Industriekaufmann in einem Fliesenbetrieb gelernt. Schnell stieg er zum Abteilungsleiter in einem Baumarkt auf, „ich durfte selbst entscheiden, was eingekauft wurde“, sagt er noch viele Jahre später voller Stolz. Dann wechselte er zu einem Fliesenhandel, der kurz darauf in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät. Sindermann wird im Sommer 2001 entlassen, seitdem ist er auf der Suche. Erst schaut er nur nach Stellen als Verkäufer, er will nicht im Büro sitzen. Was er findet, sind immer wieder kurzfristige Jobs, mal im Fliesenhandel, mal im Baumarkt. Doch einen Anschlussvertrag erhält er nie.

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