Der Wirtschaftsweise Schmidt sieht noch tiefer liegende Probleme: "Die EU-Regierungschefs sollten nicht nur an den Symptomen der Wirtschaftskrise herumdoktern, sondern das Übel bei der Wurzel packen", fordert er. "Dazu muss dringend der Bankensektor auf Vordermann gebracht werden." Die Milliarden der Europäischen Investitionsbank, mit denen kleine und mittelständische Unternehmen in den Krisenländern bald versorgt werden sollen, könnten kein öffentlicher Ersatz für eine private Aufgabe sein.
Experten-Lob ernten deshalb eher die kleinen, unscheinbaren Maßnahmen – etwa die geplanten EU-Hilfen, mit denen zukünftig Sprachkurs- und Reisekosten übernommen werden sollen, wenn Interessierte außerhalb des Heimatlandes eine Lehre beginnen wollen. "Die Lösung der Krise kann nur so gelingen: die Ausbildung samt ihrer Praxisrelevanz verbessern und die grenzüberschreitende Mobilität fördern", sagt Klaus Zimmermann, Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit. Sorgen vor dem Exodus der Leistungsfähigsten aus den Krisenländern seien "unberechtigt", meint auch Karl Brenke vom DIW. "Heute besteigt niemand mehr ein Schiff und kehrt nie wieder. Was wir erleben werden, ist kein Brain Drain, sondern eher eine Zirkulation der klugen Köpfe."
Extreme Spezialisierung
Die umtriebige Botschafterin von der Leyen wirbt längst offensiv für einen mehrjährigen Qualifizierungsabstecher ins gelobte Deutschland. Doch die Bewunderung, die dem dualen Modell derzeit allenthalben entgegenschlägt, kann nicht verdecken, dass auch im hiesigen System nicht alles glänzt, was schwarz-rot-gold ist.
Die Schwächen offenbaren sich vor allem dann, wenn man die Berufsschule mit den Ländern vergleicht, in denen es ähnliche Institutionen gibt, etwa in Österreich, Dänemark und der Schweiz. Im Kontrast zu den anderen zeichnet sich das deutsche System durch seine extreme Spezialisierung aus. Während in Dänemark rund 150 unterschiedliche Berufsbilder existieren, sind es in Österreich und der Schweiz rund 250, in Deutschland sogar gut 350. Entsprechend ist auch die Zahl von Berufen, die mit einer Ausbildung ausgeübt werden können, in Deutschland deutlich kleiner als in den anderen drei Ländern.
Wissenschaftler raten zu österreichischem Modell
Die Folgen dieser hohen Differenzierung zeigt eine Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB). Die Studie analysierte, wie hoch das Risiko für Auszubildende ist, später arbeitslos zu werden oder nur eine befristete Anstellung zu finden. Am schlechtesten schneidet dabei Dänemark ab, am besten Österreich und die Schweiz. In Deutschland ist vor allem das Risiko, nur einen befristeten oder unterbezahlten Job zu finden, deutlich höher.
Viele Wissenschaftler raten deshalb dazu, sich stärker am österreichischen Modell zu orientieren. Auch hier sind die Betriebe zwar intensiv in die Ausbildung eingebunden, die Ausbildungsinhalte haben aber einen stärker theoretischen Hintergrund als in Deutschland. Das macht es den Auszubildenden später leichter, bei Bedarf in einem anderen Feld als dem ursprünglich erlernten tätig zu werden. Die Gefahr, in der Nische festzuhängen, sinkt.
Ein zweites Manko des deutschen Modells könnte dadurch ebenfalls gelindert werden. Denn hierzulande ist die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung nach wie vor niedriger als in den meisten anderen europäischen Ländern. Das mag zwar im Interesse der ausbildenden Betriebe sein, die dadurch seltener Gefahr laufen, dass sich ihre angestammten Kräfte irgendwann an die Universität verabschieden. Es bremst jedoch die Aufstiegschancen. In Österreich wird diese Durchlässigkeit dadurch erhöht, dass Berufsschüler die Möglichkeit haben, neben dem beruflichen auch einen schulischen Abschluss zu erwerben – und damit den Zugang zur Hochschule. So gelingt es, die akademischen Chancen von Auszubildenden zu erhöhen, ohne zugleich die berufliche Ausbildung zu entwerten.