Arbeitsmarkt Die Politik hält Frauen vom Arbeitsmarkt fern

Wir brauchen mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt, sagen alle Politiker. Dumm nur: Gleichzeitig halten sie mit Regeln vom Betreuungsgeld bis zum Minijob die Damen von der Arbeitswelt fern. Ein Kompendium der Fehlanreize.

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Zekira Fuest Quelle: Stefan Kröger für WirtschaftsWoche

Als Tom seinen ersten Fachkongress besuchte, war er genau drei Wochen alt. Man darf also bezweifeln, dass er sich wirklich für die Neuerungen im Insolvenzrecht begeisterte. Was Tom aber vermutlich interessierte, war die Frage, wie Mama es schaffen würde, ihn zwischen lauter Damen und Herren in dunklen Anzügen zu stillen. Mama war da pragmatisch. Sie hatte im Kongresshotel ein Zimmer gebucht und zog sich mit Tom zurück, wenn der lautstark Hunger beklagte. Und Papa war schließlich auch da, um mal den Kinderwagen um den Block zu schieben.

Die Wirtschaftsjuristin ist eine von 27 Insolvenzverwaltern der Kanzlei Brinkmann & Partner. In der Dependance Hannover sitzt sie in der Chefetage, und inzwischen ist das auch wieder wörtlich zu nehmen. Tom ist nun vier Monate alt, und einmal pro Woche kommt Zekira Fuest ins Büro. Ihr Sohn bleibt an diesem Tag beim Vater, der dann den heimischen Schreibtisch nutzt. Sofern Tom das zulässt: „Wenn unser Sohn wach ist, wird gespielt. Wir arbeiten, wenn er schläft.“ Sie will Tom beschützt aufwachsen sehen; dazu gehört die Absprache, dass sein echter Vorname nicht verraten wird.

Eine lange Auszeit kann und will Zekira Fuest sich nicht leisten. Erstens liebt sie ihren Job. Zweitens gibt es auch noch einen nüchternen Grund: Wer ausdauernd fortbleibt, den bestellt das Gericht vielleicht nicht mehr als Insolvenzverwalterin. Im nächsten Jahr möchte die 35-Jährige wieder richtig einsteigen. Wenn nur die Sache mit der Kinderbetreuung nicht wäre.

Diese Fehler verbauen Frauen die Karriere
1.  Frauen lassen sich von Stellenanzeigen einschüchternKeine Frage, Bewerber sollten Stellenanzeigen sorgfältig durchlesen. Aber zu viel Sorgfalt schadet eher. Ein Problem, das vor allem Frauen betrifft. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Online-Stellenbörse Jobware. 151 Männer und 79 Frauen lasen darin 150 Stellenanzeigen. Währenddessen wurden ihre Augenbewegungen aufgezeichnet, hinterher bewerteten die Studienleiter ihre Aussagen. Das Ergebnis: Frauen klickten im Schnitt nicht nur auf mehr Jobprofile, die sie auch länger durchlasen. Mehr noch: Sie ließen sich wesentlich stärker von vermeintlich männlichen Stellentiteln und Qualifikationen beeindrucken – und wollten sich gar nicht erst bewerben. Ein Indiz dafür, dass sich Frauen von manchen Anforderungen immer noch zu stark beeindrucken lassen. Ein Problem, das schon früh beginnt... Quelle: Fotolia
2. Schon Mädchen scheuen WettbewerbMatthias Sutter und Daniela Rützler von der Universität Innsbruck untersuchten in einer Studie das Verhalten von mehr als 1000 Kindern im Alter zwischen 3 und 18 Jahren. Sie sollten verschiedene Tests lösen, etwa Wettläufe oder Matheaufgaben. Als Belohnung erhielten sie kleine Geldbeträge. Im Verlauf des Spiels konnten die Kinder dann gegen Gleichaltrige antreten und dabei mehr verdienen. Bei den Jungen entschieden sich 40 Prozent für den Wettkampf unter Gleichaltrigen. Von den Mädchen wollten das nur 19 Prozent wagen. Quelle: Fotolia
3. Frauen unterschätzen ihre LeistungErnesto Reuben von der Columbia Business School gewann für sein Experiment (.pdf ) 134 Studenten. Alle hatten zwei Jahre zuvor verschiedene Aufgaben absolviert, jetzt sollten sie ihre damalige Leistung bewerten. Das Ergebnis: Die Männer überschätzen ihre tatsächliche Leistung um rund 30 Prozent überschätzt, die Frauen hingegen um weniger als 15 Prozent. Im zweiten Schritt teilte Reuben die Teilnehmer in Gruppen. Sie sollten einen Vertreter wählen, der für die Gruppe Geld gewinnen konnte. Das Ergebnis: Weil sie zu ehrlich waren, schafften es weibliche Teilnehmer drei Mal seltener als Männer, die Rolle des Anführers zu übernehmen. Quelle: Fotolia
4. Frauen lassen sich von Klischees beeinflussenMarina Pavlova vom Universitätsklinikum Tübingen reichte für ihre Studie im Jahr 2010 83 Medizinstudenten den Abschnitt eines Intelligenztests. Dabei sollten sie eine Reihe von Bildern in die richtige Reihenfolge zu bringen. Doch vorab gaukelte Pavlova der einen Hälfte der Teilnehmer vor, dass Frauen bei dieser Aufgabe generell besser abschneiden. Die andere Hälfte erfuhr, dass Männer darin bessere Ergebnisse erzielen. Ergebnis: Die Frauen ließen sich von negativen Aussagen viel stärker beeinflussen als Männer. Deren Leistung litt kaum unter der Vorab-Information. Quelle: Fotolia
5. Frauen sind schneller zufriedenDer Soziologe Stefan Liebig von der Universität Bielefeld analysierte für seine Studie (.pdf ) Daten des Sozio-oekonomischen Panels. In dieser Langzeitstudie machen 10.000 Deutsche regelmäßig Angaben zu Ihrem Beruf und Privatleben. Liebig wollte wissen, ob sie ihr aktuelles Einkommen als gerecht empfanden - und falls nein, welches Nettogehalt angemessen wäre. Wenig überraschend: Etwa jeder dritte Befragte fand sein Einkommen ungerecht. Doch das Einkommen, das Frauen als gerecht empfanden, lag noch unter dem tatsächlichen Gehalt von Männern. Egal ob Akademikerin oder Reinigungskräfte: Frauen hatten finanzielle geringere Ansprüche. Quelle: Fotolia
6. Frauen scheuen Jobs mit WettbewerbAndreas Leibbrandt und John List schalten für ihre Untersuchung Stellenanzeigen in neun US-Städten – in zwei verschiedenen Versionen. Die eine Ausschreibung suggerierte, dass das Gehalt nicht verhandelbar sei. Die andere behauptete, dass das Gehalt Verhandlungssache sei. Fazit: Bei letzterer Stelle bewarben sich wesentlich mehr Männer. Offenbar meiden viele Frauen Jobs mit starkem Konkurrenzdenken. Quelle: Fotolia
Ein Mann hält einen Zettel mit der Aufschrift "Job gefällig?" in der Hand Quelle: dpa

In Niedersachsen tun Mütter gut daran, schon während der Schwangerschaft einen Kindergartenplatz für ihr Ungeborenes zu suchen. Auch Zekira Fuest hatte bei der Tagesstätte neben ihrer Kanzlei angeklopft, als Tom noch in ihrem Bauch strampelte. „Man muss sich bei mindestens fünf Kitas gleichzeitig anmelden“, erzählt sie. Doch bislang hagelte es nur Absagen.

In Deutschland ist die Kinderbetreuung schwach – und das macht Müttern das Leben schwer, die nach der Babypause in ihren Job zurückkehren wollen. Nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums fehlen bis zu 160 000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige. Von August 2013 an gilt zwar der Rechtsanspruch auf einen Platz, aber niemand glaubt, dass er erfüllt wird.

Geht nach hinten los

Die deutsche Familienpolitik gilt als Paradoxon. Kaum ein Land der Welt gibt pro Kopf mehr Geld für Eltern und Kinder aus. Insgesamt sind es jährlich rund 200 Milliarden Euro. Aber niemand würde deshalb glauben, dass Deutschland ein Familienparadies ist. Ein Mekka für berufstätige Mütter. Oder besonders kinderreich. Nur an einer Stelle fruchtet die Politik: Sie hält Frauen vom Arbeitsmarkt fern.

Sechs Millionen von ihnen, zwischen 15 und 65 Jahre alt, gehen keinem Beruf nach. Und nicht alle führen ein begeistertes Dasein als Hausfrau. Manche haben schlicht ausgerechnet, dass sich ein Job für sie nicht lohnt. Dafür sorgt Vater Staat: Das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung in den gesetzlichen Krankenkassen belohnen das Modell der Alleinverdienerehe – und als Ernährer gilt in der Regel der Mann. Die steuerliche Besserstellung von Minijobs hält Frauen in kleinen Arbeitsverträgen, weil der Fiskus Mehrarbeit bestraft. Und während die Koalition mehr als eine Milliarde Euro für das neue Betreuungsgeld ausgeben will, fehlen Mittel für Kitaplätze. Was gesellschaftspolitisch irgendwann gut gemeint gewesen sein mag, geht auf dem Arbeitsmarkt nach hinten los.

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