„Perspektiven in Betrieben“ fußt somit auf einem dreifachen Umdenken: erstens, lieber echte Arbeit als Arbeitslosigkeit finanzieren. Zweitens, keine realitätsfernen Parallelwelten alimentieren, deren einziger Sinn darin besteht, Zeit totzuschlagen, die nicht für Schwarzarbeit genutzt werden kann. Und drittens, die Kandidaten so gut und eng wie möglich betreuen.
Wenn es selbst für Menschen mit großen Schwierigkeiten klappt, müsste es auch für deutlich mehr funktionieren. Das ist jedenfalls die Stoßrichtung der Bundesregierung, die das Modellprojekt künftig mit einem dreistelligen Millionenbetrag von ein paar Dutzend auf mehr als 30 000 Plätze hochfahren will.
Die ersten Erfahrungen berechtigen immerhin zu einigem Optimismus: Von den fünf Bewerbern, die Roman Selgrath am 1. August 2013 insgesamt einstellte, haben zwei schon neue, unbefristete Jobs bei Saarstahl-Töchtern gefunden. Ja, auch er sei am Anfang „sehr skeptisch“ gewesen, Förderung hin oder her. Aber: „Wir haben sehr gute neue Mitarbeiter gefunden.“
Arbeitsmarktexperten stellen diesem Strategiewechsel, bei aller gebotenen Vorsicht, ein gutes Zeugnis aus. „Man muss realistisch bleiben: Bei den Hilfen für Langzeitarbeitslose gibt es kein Mittel ohne Nebenwirkungen und auch keine schnellen Erfolge“, sagt Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Lohnkostenzuschüsse gehören zu den teuersten Instrumenten im politischen Werkzeugkasten, sie hätten sich allerdings als wirksamer Hebel erwiesen, „wenn Menschen damit die erste Hürde in den regulären Markt überspringen können“. In Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen lerne man keine echten Arbeitgeber kennen.
Armutsgefährdung in Deutschland
Wer in Deutschland allein mit weniger als 979 Euro netto im Monat auskommen muss, gilt nach der EU-Statistik als armutsgefährdet. Bei einer vierköpfigen Familie liegt die Grenze bei 2056 Euro im Monat. Nach dieser Rechnung sind 13 Millionen Menschen in der Bundesrepublik von Armut bedroht. Der Anteil an der Bevölkerung von rund 16 Prozent ist seit Jahren relativ stabil. Armutsforscher Hans-Ulrich Huster warnt jedoch: „Etwa die Hälfte davon hat keine Chance mehr, da raus zu kommen.“ Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ergänzt: „Wir haben immer mehr Erwerbstätige, aber trotzdem schützt dies nicht mehr vor Armut.“
Die Statistiker sprechen von „Armutsgefährdung“ oder einem „relativen Armutsrisiko“. Nach der Definition der EU-Statistik ist von Armut bedroht, wer von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung seines Landes lebt. „Armut“ ist nach Ansicht des Armutsforschers Christian Arndt „ein Zeichen dafür, dass etwas Wesentliches zum Wohlergehen fehlt“. Dies betreffe aber nicht alle, die über ein Einkommen unterhalb der „Armutsrisikoschwelle“ verfügten. „So ist dies sicher nicht der Fall für einen Studierenden mit geringem Einkommen, kann aber sehr wohl für ein schwerwiegendes Problem für eine alleinstehende Rentnerin sein.“
Mit einer Armutsgefährdungsquote von 16,1 Prozent schneidet Deutschland 2013 um 0,6 Prozentpunkte besser ab als der Anteil aller EU-Länder zusammen. Allerdings fehlen für den exakten Mittelwert noch einige Zahlen, etwa die von Irland und Kroatien. Besonders hoch ist der Anteil der von Armut bedrohten Menschen in Griechenland (23,1 Prozent), Rumänien (22,4 Prozent) und Bulgarien (21,0 Prozent). Am niedrigsten ist das Armutsrisiko in der Tschechischen Republik (mit einem Anteil von 8,6 Prozent), Island (9,3 Prozent), den Niederlanden (10,4 Prozent) und Norwegen (10,9 Prozent).
„Armut ist immer noch weiblich“, sagt die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher. Frauen aller Altersgruppen sind stärker von Armut bedroht als Männer. Besonders betroffen sind Alleinerziehende und Frauen im Rentenalter. Und: Fast 70 Prozent der Arbeitslosen sind armutsgefährdet. Nach Einschätzung von Armutsforscher Hans-Ulrich Huster haben auch Menschen mit Migrationshintergrund und alleinlebende junge Leute unter 30 Jahren ein erhöhtes Risiko.
Das Armutsrisiko hat nach Darstellung des Volkswirts und Armutsforschers Christian Arndt zwischen 1999 und 2005 stark zugenommen. Seitdem aber nicht mehr. In der seit 2008 erhobenen EU-Statistik stieg die Quote für Deutschland von 15,2 Prozent auf 16,1 Prozent. „Hier könnte man einerseits von einer Manifestation des Armutsrisikos sprechen. Die Botschaft ist aber die, dass das Armutsrisiko im Gegensatz zu einigen anderen Ländern nicht weiter zugenommen hat.“ Armutsforscher Hans-Ulrich Huster stellt fest: „Die Reichen werden reicher. Das Einkommen der Armen sinkt relativ gesehen zu den Einkommen der mittleren und oberen Einkommensbezieher.“
Der für 2015 geplante Mindestlohn ist nach Einschätzung des Sozialverbands VdK und des Paritätischen Wohlfahrtsverband ein richtiger Schritt. „8,50 Euro ist aber hart auf Kante genäht, das ist genau für einen Alleinlebenden die Armutsschwelle“, sagt der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider. Armutsforscher Hans-Ulrich Huster betont: „Nicht der Facharbeitermangel ist das Problem, sondern dass wir uns zu wenig darum kümmern, dass die Jugendlichen, die da sind, eine entsprechende Ausbildung bekommen.“
In der Vergangenheit, urteilt der Ökonom, hätten die meisten anderen Förderversuche „wenig bis nichts gebracht“. Eine wichtige Lehre sei allerdings: Lohnzuschüsse müssen mit der Zeit abgeschmolzen werden, damit sie nicht von Arbeitgebern missbraucht werden. „Dauerhafte Lohnsubvention schafft Jobs, die nicht marktfähig sind.“
Marion Asante und ihre Kollegen widersprechen jedenfalls dem Klischee der hoffnungslosen Fälle. Nicola Timpano hat früher schon bei Saarstahl gearbeitet, dann machte sein Körper nicht mehr mit. Er verlor seine Stelle 2003. Nach zehn Jahren ohne festen Job hat er nun bei GBQ seinen Gabelstapler-Führerschein gemacht. In der Schreinerei baut der 52-Jährige außerdem Kisten, Keile und Paletten. „Ich mache hier alles.“ Und Frank Karr, mit 47 der Jüngste der drei, hat in der Werkstatt als Malergehilfe Anschluss gefunden. Weil er schwerhörig ist, kommen viele Arbeitsplätze für ihn nicht in Betracht. Hier streicht er Wände und verlegt Bodenbelege.
Alle drei verbindet: die tiefe Dankbarkeit, noch eine Chance bekommen zu haben, eine, die den Namen verdient. Und sie alle hoffen, nach Ablauf der Projektphase im Unternehmen bleiben zu können.