Arbeitsmarkt Nahles will Pakt für anständige Löhne

Beschäftigte im Niedriglohnbereich sollen künftig besser verdienen. Darüber sind sich die Sozialpartner nach einem Treffen mit der Arbeitsministerin einig. Doch über den richtigen Weg wird gestritten.

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Für anständige Löhne zu sorgen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sagt die Bundesarbeitsministerin. Quelle: dpa

Berlin Politik und Sozialpartner wollen dafür sorgen, dass bei der Lohnentwicklung abgekoppelte Beschäftigte künftig stärker aufholen können. Deutschland sei zu Recht stolz auf das Jobwunder, sagte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am Montag nach einem Treffen mit Vertretern von Arbeitgebern, Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbänden und der Wissenschaft. „Aber da, wo Licht ist, ist auch Schatten“, sagt Nahles.

So gebe es inzwischen eine extreme Lohnspreizung in Deutschland. Während die oberen 60 Prozent der Einkommenspyramide heute deutlich mehr verdienten als 1995, seien die Löhne der unteren 40 Prozent real seither sogar gesunken, betonte die Ministerin. „Das kann nicht so bleiben.“ Verantwortlich für die Spreizung sei ein „dramatischer Rückgang“ der Tarifbindung, aber auch der hohe Anteil von in Teilzeit oder befristet Beschäftigten. So war im Jahr 2015 nur noch gut jeder zweite Arbeitnehmer in einem Betrieb beschäftigt, in dem ein Flächentarifvertrag gilt. im Osten liegt die Quote mit 37 Prozent noch deutlich geringer. Tarifgebundene Unternehmen zahlen in der Regel höhere Entgelte als nicht tarifgebundene.

Besonderen Handlungsbedarf sehen die Dialogpartner im Pflegebereich. „Das, was hier an Vergütung gezahlt wird, entspricht nicht dem, was der Job verlangt“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider. Allerdings sind der Bezahlung hier auch deshalb Grenzen gesetzt, weil die Politik den Beitrag zur Pflegeversicherung und die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen nicht weiter steigen lassen will. Wenn die Regierung aber einen Pakt für anständige Löhne plane und die Pflege aufwerten wolle, dann müsse sie auch dafür sorgen, dass mehr Geld ins System komme, forderte Schneider.

Arbeitsministerin Nahles schwebt hier allerdings eher eine tarifliche Lösung vor. So hätten Arbeitgeber und Gewerkschaften in Bremen im März einen „Tarifvertrag Soziales“ vereinbart. Dieser sieht einheitliche Vergütungen, verbindliche Zeitzuschläge für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit, eine Jahressonderzahlung und eine Urlaubsregelung vor – und zwar trägerübergreifend. Das heißt, dass auch kirchliche Pflegeanbieter einbezogen wurden, die in der Tarifpolitik bisher einen Sonderweg eingeschlagen haben. Nahles lobte den Vertrag als vorbildlich: „Das wünsche ich mir auch auf Bundesebene“, sagte sie.

Nahles hatte zwar mit dem Mindestlohngesetz auch eine Regelung durchgesetzt, dass Tarifverträge wie der in Bremen von der Politik einfacher für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Sie würden dann auch für nicht tarifgebundene Betriebe gelten. Da aber die Tarifpartner gemeinsam einen entsprechenden Antrag stellen müssen, scheiterte das Ganze bisher meist am Veto der Arbeitgeber. Die Gewerkschaften fordern deshalb von der Politik, in der kommenden Legislaturperiode die Hürden für die Allgemeinverbindlichkeit noch weiter zu senken.

Streit zwischen den Sozialpartnern gibt es aber auch über die sogenannten OT-Mitgliedschaften, bei denen Unternehmen zwar einem Arbeitgeberverband angehören und entsprechende Vorzüge genießen, sich aber nicht der Tarifbindung unterwerfen. Auch über die Ursachen der Tariferosion gibt es unterschiedliche Ansichten. Während die Gewerkschaften den Unternehmen Lohndumping auf Kosten der Beschäftigten vorwerfen, halten Arbeitgeber etwa im Handel die besehenden Tarifverträge für nicht mehr zeitgemäß und fordern Anpassungen.   

Die Runde im Arbeitsministerium verständigte sich auf einen vertiefenden Branchendialog speziell für die Pflege. Hier gehe es etwa darum, wie sich künftig die Produktivität der Dienstleistungen von Mensch zu Mensch messen lasse, sagte Nahles, denn die Produktivitätsentwicklung ist ein Kriterium bei der Lohnfindung. Im großen Kreis wollen Sozialpartner, Politik, Kirchen und Verbände das Gespräch aber fortsetzen. Zwar gelte in Deutschland bei der Bezahlung inzwischen eine gesetzliche Untergrenze, sagte Nahles. Aber: „Der Mindestlohn ist noch kein guter Lohn.“

Hier für Abhilfe zu sorgen, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, betonte die Ministerin: „Ich möchte möglichst wenige Gesetze machen, Lohnfindung ist Sache der Tarifparteien.“ Dort, wo es weiter weiße Flecken in der Tariflandschaft gebe, sei aber auch die Regierung gefragt. Die Bedeutung der Tarifautonomie betonte auch der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, der an dem Treffen teilnahm. In der sozialen Marktwirtschaft gelte das Prinzip, dass Löhne nicht im Bundesarbeitsministerium, sondern von den Tarifpartnern ausgehandelt werden. „Wir brauchen vielmehr einen Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit, um weiter in der Champions League zu spielen“, sagte Kampeter.         

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