Arbeitsmarkt Neue Modelle gegen die Langzeitarbeitslosigkeit

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Perspektive Hartz

Nun ist der deutsche Arbeitsmarkt kein statisches Gebilde, sondern permanent in Bewegung. Tausende Arbeitsverträge werden Tag für Tag unterschrieben, andere gekündigt. Nur am unteren Rand der Statistik kommt von dieser Geschäftigkeit viel zu wenig an. Die Perspektive dort ist in fünf Buchstaben beschrieben: Hartz.

„Die Verfestigung des Leistungsbezuges“, heißt es in einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dem Thinktank der Bundesagentur für Arbeit, sei „eine der größten arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen“. Und der gesetzliche Mindestlohn, so fürchten es die Wirtschaftsweisen in ihrem jüngsten Gutachten, dürfte die ohnehin geringen Chancen von Langzeitarbeitslosen ab 2015 noch weiter dezimieren.

Auf der Strecke

Dieser Missstand hat, paradoxerweise, auch etwas mit der Attraktivität des deutschen Arbeitsmarkts zu tun. Unternehmen rekrutieren neues Personal derzeit nämlich vor allem aus der stillen Reserve: Da gibt es Eltern, die nach der Kinderauszeit wieder in den Job einsteigen, insbesondere aber eine neue Fülle qualifizierter Zuwanderer. Um Hartz-IV-Empfänger, die häufig keine Ausbildung haben, gesundheitliche oder familiäre Probleme mit sich herumschleppen und schon seit Jahren keine richtige Aufgabe mehr hatten, machen sie lieber einen Bogen.

Die Menschen, bei denen das unterkühlte Bürokratendeutsch solche „multiplen Vermittlungshemmnisse“ ausgemacht hat, bleiben auf der Strecke, politisch und gesellschaftlich. Außer Stütze hatte ihnen der Sozialstaat wenig zu bieten. Jeder Abschwung fügte dem Berg der Sockelarbeitslosen bis Mitte der Zweitausenderjahre nur weitere Schichten hinzu. Milliarden flossen zwar in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Ein-Euro-Jobs und Bürgerarbeit, aber sie änderten nichts Wesentliches.

Wo Fachkräfte fehlen

Dabei könnte es durchaus anders gehen, besser – das zeigen Asante und zwei ihrer Kollegen, die mit ihr eingestellt wurden, Nicola Timpano und Frank Karr. Das überschaubare Modellprojekt im Saarland (das es sonst nur noch in Nordrhein-Westfalen gibt) hat gute Chancen, einmal einen Wendepunkt zu markieren: Denn hier wächst im Kleinen die Erkenntnis, dass Menschen, die als hoffnungslos galten, doch noch eine Chance hätten. Allerdings nur, wenn genügend Geld vorhanden ist. Und wenn alle Beteiligten mitmachen.

Roman Selgrath zum Beispiel.

Bei Marion Asantes Vorstellungsgespräch saß Selgrath auf der anderen Seite des Tisches. Er ist der Geschäftsführer der GBQ, früher war er Betriebsrat. Als ein Saarstahl-Vorstand ihm von einem neuen Programm der Arbeitsagentur erzählte, hörte er sofort aufmerksam zu. Die saarländische Stahlindustrie hat schwere Zeiten hinter sich, Saarstahl selbst ging in den Neunzigerjahren in den Konkurs, die GBQ ist das Ergebnis einer Ausgliederung. Den brutalen Strukturwandel, man kann ihn sehen in Völklingen: in den ausgeräumten Schaufenstern, die schon zu lange auf neue Mieter warten, und in den zerfurchten Gesichtern auf der Straße.

Selgrath kennt die Nöte hier zu gut. „Langzeitarbeitslose stecken häufig in einer Schublade“, sagt der Geschäftsführer. „Aus der müssen sie raus – und das geht nur in der betrieblichen Wirklichkeit.“

23 Kandidaten schickte ihm die Arbeitsagentur. Allesamt Härtefälle, so will es der besondere Zuschnitt des Programms: Ohne brauchbare Abschlüsse, mehr als fünf Jahre ohne Job, mit weiteren persönlichen Einschränkungen im Gepäck. Die Abmachung lautete folgendermaßen: GBQ sollte überzeugende Bewerber regulär einstellen, befristet auf zwei Jahre zwar, aber nach dem gültigen Tarifvertrag.

Die Arbeitsagentur übernahm dafür in der Anfangsphase drei Viertel des Lohns, später Schritt für Schritt immer weniger, bis der Zuschuss nach 18 Monaten auf null sinkt. Außerdem finanzieren Agentur und das Land einen Betreuer der Diakonie, der alle zwei Wochen mit den Förderkandidaten Probleme und Sorgen besprechen kann.

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