Arbeitsmarkt Rekordmangel bei Mint-Berufen

Der deutschen Wirtschaft fehlen fast 300.000 Techniker und Ingenieure. In nur einem Jahr ist die Lücke um 43 Prozent auf ein Allzeithoch gestiegen. Industrie und Ökonomen warnen vor massiven Gefahren für den Standort.

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Ausländische Akademiker und Fachkräfte können die Lücke nur teilweise schließen. Quelle: dpa

Berlin Seit 2011 errechnet das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) für die Spitzenverbände der Wirtschaft die Fachkräftelücke bei den Mint-Berufen, also in den Feldern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Doch so schlimm war es noch nie: Im September fehlten den Unternehmen 290.900 Fachkräfte in diesen für das Industrieland Deutschland so zentralen Bereichen  – netto, also nach Abzug der Arbeitslosen. Und das trotz gestiegener Absolventenzahlen von den Hochschulen.

Doch inzwischen sind ohnehin die Gesellen und Techniker das größere Problem: Nachdem jahrelang für das Studium geworben wurde, besteht die Mint-Fachkräftelücke heute nur noch zu einem Drittel aus Akademikern, der Löwenanteil sind beruflich Ausgebildete. In ihrer Not ersetzen mittlerweile viele Unternehmen die Lehrlinge durch duale Studenten, sagte Michael Stahl, Geschäftsführer bei Gesamtmetall, bei der Vorstellung der Zahlen.

Wenn es die Ausländer nicht gäbe, wäre die Mint-Lücke noch um rund 120.000 fehlende Kräfte größer, vor allem bei den Akademikern, sagte IW-Präsident Michael Hüther. Denn deren Beitrag zu diesen Berufen ist seit Jahren weit dynamischer gestiegen, als der der Deutschen. Vor allem durch das Portal „make-it-in-germany“  werden gezielt Mint-Kräfte aus Drittstaaten wie etwa Indien angeworben. Inzwischen arbeiten fast 8000 Mint-Experten aus Indien und knapp 6000 aus China in Deutschland. Zum Vergleich: Aus Frankreich, Italien und Spanien stammen aktuell jeweils 6000 bis 7000 Mint-Akademiker.  

Unterm Strich sind „Osteuropa und Asien von herausragender Bedeutung für die hiesige Fachkräftesicherung in den Mint-Berufen“, heißt es im „Mint-Herbst-Report 2017“. „ Bulgarien, Rumänien und Polen nehmen dabei Spitzenpositionen bei den Mint-Facharbeiten ein, Indien und China dagegen bei den Mint-Akademikern.“ Doch um diese Quelle besser zu nutzen, brauche es dringend ein liberales Einwanderungsgesetz mit transparenten Regeln, mahnt Hüther.  

Die Flüchtlinge tragen mittlerweile zumindest ein bisschen zur Linderung des Notstandes bei: Anfang 2016 gab es lediglich 5350 Mint-Beschäftigte aus Afghanistan, Syrien, Eritrea und dem Irak. Anfang 2017 waren es schon „bemerkenswerte 10.133“.

Große Sorgen macht den Experten allerdings der heimische Nachwuchs. Und die Politik, die die Lage schönrede: So habe „das Bundesbildungsministerium unlängst gemeldet, dass Deutschland mit 37 Prozent Studienanfängern in den Mint-Fächern OECD-spitze ist“, sagte Thomas Sattelberger, FDP-Abgeordneter und Chef der Initiative „Mint Zukunft schaffen“. Das sei sträfliche Verharmlosung. Denn durch die hohen Abbrecherquoten gebe es pro 1000 Erwerbstätige nur 4,5 Mint-Absolventen, das sei international allenfalls Mittelfeld.

Zudem „ist der Anteil der 30- bis 34-Jährigen mit einer beruflichen Mint-Qualifikation auf den Rekordtiefstand von 19 Prozent gefallen“, kritisiert der FDP-Neuabgeordnete Sattelberger, „2005 waren es noch gut 22 Prozent“. Da helfe nur, endlich eine systematische und flächendeckende Berufsorientierung in den Schulen einzuführen, die die Wirtschaft schon seit vielen Jahren fordert.

Der Frauenanteil an den Mint-Absolventen ist leicht zurückgegangen und liegt bei knapp 29 Prozent – das ist im OECD-Vergleich ein Wert im unteren Drittel. Noch düsterer sind die Zahlen bei den Mint-Ausbildungsberufen: Hier stellen die jungen Frauen lediglich 8,5 Prozent der Azubis. Es könne einfach nicht sein, dass so viele junge Frauen die Chancen einer technisch-gewerblichen Ausbildung nicht ergriffen, und lieber Friseurin würden, obwohl sie dort nur halb so viel Geld verdienten, sagte Hüther. Aktuell könnten im Mint-Bereich 3300 Lehrstellen nicht besetzt werden.

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