Arbeitsmarkt Warum 90 Prozent der Firmen keine Flüchtlinge einstellen

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Überreguliertes Deutschland

Große Ankündigungen, kleine Schritte – das ist die ernüchternde Bilanz, wie auch eine von der WirtschaftsWoche in Auftrag gegebene Umfrage des Münchner ifo Instituts unter knapp 500 Firmen aus Industrie, Bau, Handel und Dienstleistung ergab. Knapp 90 Prozent von ihnen haben noch keine Flüchtlinge eingestellt. Besonders Industrieunternehmen entscheiden sich bestenfalls für Hilfskräfte.

Rainer Dulger, Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, klingt entsprechend verhalten. Geflüchtete seien „bestenfalls die Fachkräfte von übermorgen“, sagt er. Die Probleme des alternden Deutschlands, das vor allem Fachkräfte benötige, könnten sie schon mangels Qualifikation nicht lösen. Schlimmer noch: Zahlreichen Flüchtlingen bleibe schwer zu vermitteln, dass eine Ausbildung mehr lohne als ein Hilfsarbeiterjob.

Manche Eingliederungsprobleme sind in Deutschland zudem hausgemacht. Mahle-Ausbildungsleiter Martin Thum sagt: „Deutschland ist überreguliert. Wir sind hilflos, wenn einer nicht in die Schublade passt.“ Wer zum Beispiel am Ende einer Ausbildung bei der Gesellenprüfung durchfalle, bleibe ganz ohne Abschluss. Thums Alternativvorschlag: „Es wäre sinnvoll, die Ausbildung in kleinere Schritte zu unterteilen.“ Wer einzelne Abschnitte bestehe, solle mehr Zeit für den Rest bekommen.

Die zweite Erkenntnis Thums lautet: „Wir müssen diese Menschen sehr intensiv betreuen.“ Der Alltag in Deutschland und im Betrieb ist ihnen fremd. Bei Mahle verletzte sich ein Flüchtling in der Werkstatt, er war nicht gegen Tetanus geimpft. Also brachten die Mahle-Leute gleich alle Flüchtlinge in der Werkstatt zum Impfen. In der Kantine bezahlte ein junger Mann vor Kurzem nicht, was er auf den Teller lud. Es war keine böse Absicht, nur Unkenntnis. Im Flüchtlingsheim ist das Essen schließlich umsonst.

Thum weiß um die Mühen der Integration – dabei landen bei ihm ohnehin die Motiviertesten und Lernbegierigen. „Sechs bis sieben Jahre dauert es von der Ankunft in Deutschland, bis jemand im Beruf ankommt“, schätzt er.

Reicht dafür die Geduld der Flüchtlinge? Schon jetzt bricht eine alarmierend hohe Zahl von ihnen die oft schwer erkämpfte Lehre ab, hat die Handwerkskammer München festgestellt. Von jenen Neuankömmlingen, die im Herbst 2013 eine Ausbildung begannen, hätten 70 Prozent aufgegeben. Viele scheiterten am fremden Alltag, ein wichtiger Grund ist aber auch der geringe Lehrlingslohn. Der schreckt junge Menschen ab, die eine Familie versorgen müssen. Gelegenheitsjobs zum Mindestlohn wirken dann häufig attraktiver.

In Stuttgart arbeitet deshalb Mahle mit ehrenamtlichen Helfern und der örtlichen Industrie- und Handelskammer (IHK) zusammen. Die IHK betreibt die Beratungsstelle KAUSA, ursprünglich um Einwandererkindern bessere Ausbildungschancen zu geben. Beratungsleiter Muhammet Karatas bemüht sich nun bei der neuen Kundschaft, Erwartungen zu zügeln. „Ich kann nicht jedem zum Traumjob verhelfen“, sagt er offen. Zugleich hält Karatas wenig von einer zu ausgeprägten Vorzugsbehandlung: „Es kann nicht sein, dass Flüchtlinge ohne schriftliche Prüfung bestehen. Dann fühlen sich andere benachteiligt.“

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