An dieser Stelle zeigt auch das Vermittlungssystem seine Schwächen. Denn den Fliesenfachverkauf, für den Sindermann mal Spezialist war, gibt es zu dieser Zeit längst nicht mehr: „Heute muss man da so viel über Sanitär und Elektronik wissen, das habe ich alles nicht mehr mitbekommen“, sagt Sindermann. Doch alle langfristigen Weiterbildungen oder gar Umschulungen hat das auf mehr fordern als fördern gepolte System längst zusammengestrichen. Was Sindermann stattdessen nachweisen muss, sind Bewerbungen. Er führt ein Tagebuch, darin notiert er, wohin er geschrieben, mit wem er gesprochen hat. Am Ende der Zeile folgt meist der Vermerk „oE“. Ohne Ergebnis.
Nun kämpft er weiter um eine Aufgabe und eine Chance für sein Leben. Kürzlich eröffnete er mit seiner Frau eine Frittenbude. Leider ging auch dieser Plan schief. Nach einem halben Jahr war der Laden pleite und Sindermann privatinsolvent. Es bleibt bei Hartz IV. Auch das kostet Nerven.
Vor allem mit dem einheitlichen Regelsatz hadern die egalitätsverliebten Deutschen noch heute. Er liegt derzeit für Alleinstehende bei 374 Euro, zusätzlich übernimmt das Amt die Ausgaben für Miete und Heizung. Dahinter steht eine konsequente Idee: Noch zu Zeiten der alten Stütze mussten Hilfeempfänger für einen zweiten Wintermantel oder ein neues Fahrrad einen Antrag stellen. Mancher fand das entwürdigend. Heute deckt der Regelsatz alles ab, Arbeitslose sollen mehr Verantwortung übernehmen und weniger gegängelt werden. Allerdings verletzen Pauschalen das Gerechtigkeitsgefühl, wenn man der Ansicht ist, dass der Staat sich um alles kümmern solle. So werden die Sozialgerichte von Klagen geflutet. Und das hat auch damit zu tun, dass die Hartz-Gesetze seit ihrer Einführung über 50 Mal repariert wurden und die Fallmanager manchmal den Überblick verlieren.
Auch Sindermann muss immer mehr Zeit damit verbringen, um minimale Zuschüsse zu kämpfen. Seine Regale quellen über von Aktenstapeln mit Schriftwechseln. Oft scheitern Bewerbungsgespräche schon daran, dass er zuvor die Finanzierung der Anfahrt organisieren muss. Wenn das Jobcenter nicht überweist, ist die Stelle weg. Als seine Frau als Saisonkraft auf Spiekeroog etwas dazuverdient, kommt sie mit dem Essensbudget nicht mehr hin, der einzige Lebensmittelladen auf der Insel verlangt astronomische Preise. Bescheid vom Amt: Sie könne ja mit der Fähre zu einem günstigeren Geschäft fahren. Dafür jedoch ginge ein ganzer Arbeitstag drauf. So lange kann in der Hochsaison kein Hotelier auf eine Beschäftigte verzichten.
Pauschale Gerechtigkeit
Doch auf dem Arbeitsmarkt zeigt die umstrittene Reform ihre unumstrittenen Erfolge. „Seit der Einführung der Hartz-Gesetzgebung ist die strukturelle Arbeitslosigkeit in Deutschland um ungefähr fünf Prozentpunkte gesunken“, sagt Carsten-Patrick Meier, Geschäftsführer der Beratung Kiel Economics. Die Hartz-Reformen seien vor allem dafür verantwortlich, dass die Reallöhne in Deutschland sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich unter dem europäischen Durchschnitt entwickelt haben. Für die Wettbewerbsfähigkeit ist das gut.
Ökonomen sprechen davon, dass der Anspruchslohn gesunken ist. Wer nur mit dem Regelsatz rechnen kann, der sucht schneller eine neue Stelle. „Plötzlich war Nachfrage nach Jobs da, die vorher nur in Schwarzarbeit erledigt wurden“, sagt Meier. So waren es vor allem niedrig qualifizierte Menschen, die wieder in Arbeit kamen. Während der Anteil der Langzeitarbeitslosen vor der Reform bei ungefähr 50 Prozent lag, ist es heute nur noch ein gutes Viertel.