Arbeitsmarkt Kosten für die Eingliederungshilfe explodieren

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Von Institution zu Institution

Norbert Struck Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

Deutlich günstiger wird die Werkstatt, denn hier zahlen die Gemeinden. Einzige Hürde: Paragraf 53, Sozialgesetzbuch XII. Anspruch auf einen Werkstattplatz haben Betroffene demnach nur dann, wenn sie „wesentlich“ in ihrer Fähigkeit eingeschränkt sind, „an der Gesellschaft teilzuhaben“, also nicht mehr als drei Stunden am Tag arbeiten können. Glück für die Arbeitsagenturen, dass sie bei der Entscheidung darüber per Gesetz das letzte Wort haben. Die Gemeinden, die die Kosten übernehmen müssen, können nur Empfehlungen abgeben. Als Grundlage dafür dient ihnen ein Gutachten, das die Werkstätten verantworten, bei denen schon die Berufsvorbereitung stattfindet. Und für die bedeutet jeder neue Mitarbeiter: Das Budget wächst. Darüber, wer als behindert gilt, entscheiden somit allein diejenigen, die davon profitieren, wenn es so ist. Auch wenn man allen Beteiligten den besten Willen unterstellt, es ist die Lehrbuchdefinition eines Interessenkonflikts.

Unerreichbarer Arbeitsmarkt

So ist auch Abdulhady in der Werkstatt gelandet, ohne überhaupt zu ahnen, dass er vielleicht eine andere Chance gehabt hätte. Dass die ersten drei Jahre nach der Förderschule noch als Berufsvorbereitung dienten, hieß für Abdulhady nur, dass er sich mit seiner Gruppe in einem anderen Raum aufhielt als das Stammpersonal. Seit seinem sechsten Lebensjahr befindet er sich somit ohne Unterbrechung in Institutionen, die schon beim Betreten klarmachen: Wer hier hingeht, ist nicht normal. Kein Wunder, dass der Arbeitsmarkt ihm längst als unerreichbare Illusion erscheint.

Norbert Struck sieht das Gleiche wie Abdulhady, aber aus einem anderen Blickwinkel: „Wir sind heute eine der größten Werkstätten im Rheinland“, sagt er stolz. In den Achtzigerjahren kam er als junger Sozialarbeiter zum ersten Mal in die Werkstatt im Kölner Stadtteil Pesch. Anfangs kümmerte sich dort eine Handvoll Pfleger um ein paar Dutzend Behinderte. Heute ist Struck Geschäftsführer der Gemeinnützigen Werkstätten Köln und führt durch eine Montagehalle vom Ausmaß eines Schiffsdocks. „Fast 2000 Menschen sind inzwischen bei uns beschäftigt“, sagt Struck. Sie fertigen Kupplungspedale für das nahe Ford-Werk, außerdem werden hier Ersatzteile etikettiert. Für fast alle Beteiligten ist das ein gutes Geschäft. Der Autobauer kann die Aufträge an die Werkstatt beim Integrationsamt geltend machen und vermeidet so die Ausgleichsabgabe, die Unternehmen zahlen müssen, in denen zu wenige Schwerbehinderte beschäftigt sind. Für die Behinderten ist die Werkstatt das Korsett, das sie in Kauf nehmen, um Anspruch auf attraktive Sozialleistungen zu haben: Nach 15 Jahren Arbeit ist hier das Rentenalter erreicht. Auch für die Angehörigen von Behinderten bedeutet der Eintritt in die Werkstatt, dass eine große Betreuungslast von ihnen abfällt. Für die Werkstatt selbst heißt Größe Wichtigkeit, je mehr Behinderte hier arbeiten, desto mehr Personal kann sie selbst ernähren, umso effizienter kann sie produzieren.

Kosmos Werkstatt

„Wir bieten für die Mitarbeiter ein umfassendes Freizeitprogramm – von Schwimmen bis zu Physiotherapie und Bewegungstraining“, erzählt Struck, „sogar den Urlaub können sie bei uns buchen.“ 2011 hat die Lebenshilfe Köln, Betreiber der Werkstatt, 14 Urlaubsreisen organisiert. Es gibt Mittagessen und einen Kiosk. Abends geht es in die organisationseigenen Wohnanlagen, mancherorts wird sogar der Fahrdienst vom Werkstattbetreiber organisiert. Beinahe alles Geld, was der Behinderte von seinem knappen Lohn und Zuwendungen von Verwandten übrig hat, bleibt im Kosmos Werkstatt. Für die Betreiber ist das ein einträgliches, für die Unternehmen ein preisgünstiges und für die behinderten Menschen ein auskömmliches System. Nur mit Eingliederung in den Arbeitsmarkt und gesellschaftlicher Teilhabe hat es wenig zu tun.

Abdulhady hat genau diese Situation immer gehasst. „Ich hatte in der Werkstatt nie das Gefühl, dass meine Arbeit wirklich gebraucht wird.“ Erst brachte man ihm ein bisschen kochen bei, dann gärtnern. So hätte das die nächsten Jahre weitergehen können, immer gut versorgt, doch ohne Verantwortung, ohne Aufgabe. Für viele Menschen in Werkstätten ist das genau das richtige Umfeld, für Grenzfälle wie Abdulhady ist es der Horror. Man ist hier gut versorgt, aber abgesondert. Es ist warm und angenehm, aber es erwartet auch niemand etwas von ihm. Alles geschieht aus Mitleid.

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