Arbeitsmarkt Kosten für die Eingliederungshilfe explodieren

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Widersprüchliche Ziele

Ein Schild mit der Aufschrift Arbeit Quelle: dpa

Wer erst einmal in dem System drinsteckt, hat kaum eine Chance, es wieder zu verlassen. Dabei ist genau das seit Jahren erklärtes Ziel der Kommunen. Dazu hat man eine Reihe von Programmen erfunden. Sie heißen persönliches Budget, Außenarbeitsplatz oder unterstützte Beschäftigung. Doch durchschlagenden Erfolg hat bisher keines gehabt, zumindest nicht in dem Sinne, dass es die Zahl der Beschäftigten bei Werkstätten signifikant gesenkt hätte.

Nach wie vor liegt die Vermittlungsquote der Werkstätten bei unter 0,2 Prozent, auf Nachfrage können sich viele Werkstätten nicht an eine einzige Vermittlung aus ihrer Werkstatt erinnern, der Begriff „Eingliederungshilfe“ ist da ein purer Euphemismus. Beispiel Außenarbeitsplätze: Die Idee besagt, dass sich ein Unternehmen bereit erklärt, einen Arbeitsplatz für einen Behinderten einzurichten. Der Behinderte bleibt aber zunächst im Beschäftigungsverhältnis mit der Werkstatt, die sich weiter um ihn kümmert und dem Unternehmen einen kleinen Obolus berechnet. Ist das Unternehmen mit dem Arbeitnehmer zufrieden, kann es sich sodann entscheiden, seine Beschäftigung in ein normales Arbeitsverhältnis umzuwandeln.

Unattraktive Übernahme

Werkstattleiter Struck jedoch, der sich rühmt, mit sieben Prozent deutschlandweit eine der höchsten Quoten von Außenarbeitsplätzen zu erreichen, räumt ein: „Im vergangenen Jahr gab es nur eine einzige Übernahme.“ Man kann ihm daraus kaum einen Vorwurf machen. Denn die Umwandlung in eine normale Arbeitsstelle ist sowohl für die Werkstatt wie für den Arbeitgeber maximal unattraktiv. Von den Arbeitgebern verlangt das Modell, einer Arbeitskraft statt wenigen Hundert mehrere Tausend Euro zu bezahlen und sich zudem über Jahre an sie zu binden, ohne dass sich an der Arbeitsleistung etwas ändert. Die Behinderten müssen die totale Absicherung gegen das Risiko von Arbeitslosigkeit und Armut tauschen. Von den Werkstätten wiederum fordert es nichts anderes, als ihre besten Mitarbeiter freiwillig an andere Unternehmen zu vermitteln.

Die Werkstätten sehen sich mit widersprüchlichen Zielen konfrontiert. Für ihre Beschäftigten sollen sie den normalen Unternehmensbetrieb simulieren. Je mehr sie produzieren, umso besser. Zugleich aber verlangt man von ihnen die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt. Um das jedoch erfolgreich zu betreiben, müssten sie zwangsläufig den betriebswirtschaftlichen Erfolg der Werkstatt schmälern.

Ein Blick in die Vergangenheit

Wer verstehen will, wie es so weit gekommen ist, muss weit in die Vergangenheit zurückgehen. Wenn Karl-Josef Laumann sich an seine Jugend erinnert, denkt er auch an Behinderte als selbstverständlichen Teil der Arbeitswelt. Der 54-Jährige steht der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) vor, dem sozialen Gewissen der CDU. Er sagt: „Die Sorge für Behinderte ist die Königin der Sozialpolitik.“

Seine Jugend hat er im Wirtschaftswunder erlebt. Damals bedeutete „behindert“ meist „kriegsversehrt“. Solidarität mit den Betroffenen war schon deshalb selbstverständlich, weil es in fast jeder Familie einen gab. So fanden sie auch in Unternehmen ihren Platz, oft als Boten oder hinter der Pforte, so wie in der Gießerei Niemeyer, wo Laumann als Maschinenschlosser arbeitete. Als die ersten Werkstätten für Behinderte öffneten, sollten sie mehr als einen Platz zum Dahinvegetieren bieten. Es ging um die Menschen, bei denen Vermittelbarkeit ausgeschlossen war. Die Werkstätten wurden ein Erfolg.

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