Arbeitsmarkt Die Politik hält Frauen vom Arbeitsmarkt fern

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Wut auf den Finanzminister

Kristina Schröder Quelle: dpa

Beim Blick auf die Lohnabrechnung von Nicole Kottenstede beispielsweise überfiel den Chef vor einiger Zeit maßlose Empörung. Die Hochbautechnikerin war acht Monate nach der Geburt ihres Sohnes wieder in den Job eingestiegen. Um den kleinen Henry kümmerte sich die Oma, der Chef richtete Kottenstede ein Homeoffice ein. Irgendwann stockte sie ihre Arbeitszeit von 8 auf 12 Stunden wöchentlich auf. Doch weil sie in der ungünstigen Steuerklasse V steckte, sank ihr Netto-Stundenlohn plötzlich von 13 auf 8 Euro.

„Der erste Blick auf die Gehaltsabrechnung war demotivierend. Als Bautechnikerin sollte ich einen höheren Stundenlohn als eine Putzfrau bekommen“, schimpft Kottenstede. Da tröstete die Aussicht wenig, dass der Fiskus das Zuviel an Steuern bei der Veranlagung am Jahresende wieder ausgleicht. Denn der Nachteil in Steuerklasse V ist beim Splitting für die Frauen vor allem ein optisches Problem, allerdings eines, das demotivierend ist. Auch Kolleginnen kennen diesen Schock. Bauingenieurin Sonja Hensel hat vor sieben Jahren eine Babypause eingelegt: „Der Wiedereinstieg war ärgerlich. Durch das Splitting sah mein Nettogehalt geschmälert aus.“

Der Steuerkniff gehört zu den umstrittensten Maßnahmen der Familienpolitik. Es wurde im Jahr 1951 eingeführt, um die Abzocke der Ehe zu beenden. Zuvor hatte das Finanzamt die Einkommen von Ehepartnern schlicht addiert und dann besteuert. Das führte durch die Progression aber dazu, dass eine Hochzeit die Steuerlast für das Paar erhöhte. Dagegen hatte das Verfassungsgericht sein Veto eingelegt.

Seither gilt das Splitting. Und wo die Ehe zuvor diskriminiert wurde, wird sie nun großzügig bevorzugt, sobald Gatte und Gattin sich zu der Steuerklassenkombination III und V durchringen. Ihre Einkommen werden addiert, wieder halbiert und erst dann besteuert. So sinkt die Progression bei der Steuer. Den Schutz der Ehe schreibt auch das Grundgesetz fest. Allerdings sagt die Verfassung nichts darüber, dass der Staat vor allem die Alleinverdienerehe fördern müsse. Denn der Splittingvorteil ist am größten, wenn ein Partner nicht oder nur wenig arbeitet. Meist ist das die Frau. Sie steckt in der Regel in Steuerklasse V, in der die Abzüge besonders heftig ausfallen.

Problematische Steuerklassen

Selbst Familienministerin Kristina Schröder räumt ein, dass die Wahl der Steuerklassen „problematisch“ sei: „Sie führen meist dazu, dass Frauen mit der ungünstigeren Steuerklasse frustriert sind über die hohen Abzüge – selbst wenn sich das am Jahresende rechnerisch wieder ausgleicht.“ Sie empfiehlt daher das sogenannte Factoring-Verfahren, bei dem der Steueranteil auf beide Partner je nach Höhe des Gehalts aufgeteilt wird.

Wie sehr das Splitting die Steuerlast vieler Frauen auf der Lohnabrechnung hochtreibt, zeigen Beispielrechnungen, die die Nürnberger Datev für die WirtschaftsWoche angestellt hat. Mal angenommen, der Ehemann verdient 5000 Euro brutto und die Gattin nur 2000 brutto. Dann läge seine Abgabenquote bei 34,20 Prozent, die ihre trotz des niedrigeren Einkommens aber bei 45,69 Prozent. Ohne das Splitting in den Steuerklassen IV und IV ist das Verhältnis umgekehrt: Dann muss er 43,78 Prozent vom Brutto an den Staat abgeben, sie aber nur 31,72 Prozent. Unterm Strich freilich profitiert das Paar, weil er mehr gewinnt, als sie verliert.

Wenn Mehrarbeit sich nicht lohnt
Beispiel 1
Beispiel 2
Beispiel 3
Beispiel 4
Beispiel 5

Vor allem in Verbindung mit einem Minijob wirkt das Ehegattensplitting aber fatal. Wiedereinsteigerinnen, die oft nur wenige Stunden arbeiten, werden vom Fiskus sogar bestraft, wenn sie mehr verdienen wollen. Um im Datev-Rechenbeispiel zu bleiben: Bei einer 400-Euro-Beschäftigung bekäme eine Arbeitnehmerin also auch netto 400 Euro, da Minijobs für den Arbeitnehmer steuer- und abgabenfrei sind. Würde sie aber mehr arbeiten, um ihren Bruttoverdienst auf 500 Euro zu erhöhen, blieben ihr in Steuerklasse V netto nur 377,47 Euro – also weniger als zuvor. Ohne das Splitting wären es in Steuerklasse IV zumindest noch 427,78 Euro gewesen.

In ihrem „Wirtschaftsbericht Deutschland 2012“ fordert die OECD daher, das Splitting auf den Prüfstand zu stellen; auch IAB und das DIW sehen das so. Dabei geht es nicht nur um den Arbeitsmarkt, auch gesellschaftspolitisch gäbe es Gründe: Vor Jahrzehnten galt es als normal, dass Männer den Lebensunterhalt verdienten und ihre Frauen daheim die Kinder betreuten. Heute gibt es viele Ehen ohne Kinder und viele unverheiratete Paare mit Nachwuchs, von den veränderten Rollen ganz zu schweigen. Mit Familienförderung hat das Splitting nichts mehr zu tun.

Würde man auf eine Individualbesteuerung umstellen, könnte das nach DIW-Berechnungen bis zu 27 Milliarden Euro in die Kassen spülen. Hier aber beginnt das Problem: Ein Mehr an Steuereinnahmen bedeutet ein Mehr an Lasten für Alleinverdienerehen. Das wagt niemand in der Politik, schon gar nicht vor Bundestagswahlen.

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