Ein bewachtes graues Hochhaus in Berlin-Reinickendorf. Lange beengte Flure führen im dritten Stock der Bundesagentur für Arbeit ins Büro von Mounia Schulz. Hier berät die Jobvermittlerin durchschnittlich fünf bis sechs Flüchtlinge – pro Tag.
WirtschaftsWoche: Frau Schulz, wie verständigen Sie sich mit Flüchtlingen, die Sie in Arbeit vermitteln wollen?
Mounia Schulz: Bestenfalls bringen sie jemanden mit. In der Regel gibt es in den Flüchtlingsheimen Betreuer, aber nicht immer. Deswegen haben wir stets zwei bis drei arabisch sprechende Personen vor Ort. Für die restlichen Sprachen – iranisch, afghanisch, oder kurdisch – haben wir eine Dolmetscher-Hotline, welche wir jederzeit ohne Termin anrufen können.
Und dann beginnt die Vermittlung.
Wenn möglich – ja. Die einen brauchen einen Integrationskurs, andere kommen für eine Ausbildung oder gar einen richtigen Job in Betracht.
Zur Person
Mounia Schulz ist Arbeitsvermittlerin im Flüchtlingsteam bei der Bundesagentur für Arbeit.
Welche Ausbildung haben die Flüchtlinge?
Die meisten sind ohne irgendeinen Abschluss hier. Nur wenige kommen mit Zeugnissen. Die Anerkennung läuft meist recht schnell und kostet 55 Euro. Sollte eine Gleichwertigkeitsprüfung nötig sein kann das bis zu 200 Euro kosten. Die Kosten der Übersetzung und Anerkennung werden vom Jobcenter übernehmen. Die Zeugnisse sollen der Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit oder einer Ausbildung dienen.
Auf der Flucht gehen Dokumente verloren.
Es müssen Nachweise erbracht werden. Fehlen Zeugnisse, kommen oft nur Aushilfstätigkeiten in Frage. Manche Arbeitgeber haben auch Verständnis und lassen die Flüchtlinge erstmal ein Praktikum machen und stellen sie danach ein.
Welche Jobs kommen in Frage?
Allgemein werden fast alle Flüchtlinge im Helferbereich rekrutiert: Gastgewerbe, oder Wach-und Sicherheitsschutz.
Haben wir genügend Jobs in Deutschland?
Ja, grundsätzlich sind die Stellen und die Bereitschaft der Arbeitgeber vorhanden. Die größte Hürde ist die deutsche Sprache.
"Die Motivation ist sehr individuell"
Wie sieht es mit Motivation und Leistungsbereitschaft aus?
Die Motivation der Flüchtlinge ist sehr individuell. Manche sind nach sechs Monaten in Arbeit, und andere haben nach einem Jahr noch nicht die notwendigen Deutschkenntnisse.
Woran liegt das?
Die besser gebildeten sind oft einfach motivierter. Bei Flüchtlingen aus ländlichen Regionen ist es schwieriger. Sie finden sich bei uns oft schwerer zurecht. Wenn jemand in seiner Heimat auf den Feldern geholfen hat, wird er in Deutschland nicht sofort Bürokaufmann.
Wie viel Zeit vergeht bis ein Flüchtling im Durchschnitt arbeitet?
Das ist sehr unterschiedlich und nicht mit denen zu vergleichen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Es hängt immer von der Motivation, dem Bildungsgrad und den Zielen jedes einzelnen ab.
Tauchen alle zur Jobvermittlung auf?
Termine bei mir wurden bislang alle eingehalten. Oft zu spät, das ist kulturell bedingt. Die Flüchtlinge sind sehr dankbar für die Arbeitsvermittlung. Viele wollen arbeiten.
Asylanträge nach Bundesländern 2017
Nirgendwo sonst wurden so vielen Asylanträge gestellt wie in Nordrhein-Westfalen. In der ersten Jahreshälfte 2017 waren es bisher 32.122 Menschen.
Hinweis: Alle Daten beziehen sich auf Erst- und Folgeanträge in den Monaten Januar bis Juni 2017.
Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge / Statista
Stand: August 2017
12.921 Menschen haben in der ersten Hälfte des Jahres 2017 in Bayern einen Asylantrag gestellt.
In Baden-Württemberg wurden 2017 bisher 11.290 Asylanträge gestellt.
In Niedersachsen stellten 10.003 Menschen im Januar bis Juni 2017 einen Antrag auf Asyl.
In Rheinland-Pfalz beantragten 2017 bislang 7.610 Menschen Asyl.
In Hessen stellten in den ersten sechs Monaten 2017 7.508 Bewerber einen Asylantrag.
In Berlin wurden von Januar bis Juni 2017 5.535 Anträge auf Asyl gestellt.
Bis Mitte 2017 stellten 4.205 Menschen einen Asylantrag in Sachsen.
3.346 Asylanträge verzeichnet Schleswig-Holstein für die ersten sechs Monate 2017.
Einen Asylantrag in Sachsen-Anhalt stellten bis Juni 2017 3.304 Menschen.
Asyl in Brandenburg beantragten in der ersten Jahreshälfte 3.162 Menschen.
In Thüringen wurden in den Monaten Januar bis Juni 2017 3.049 Asylanträge gestellt.
In Hamburg stellten bis Ende Juni 2017 2.633 Menschen einen Antrag auf Asyl.
In Mecklenburg-Vorpommern stellten 2.104 Menschen einen Asylantrag (Januar bis juni 2017).
Bis Juni 2017 stellten im Saarland 1.538 Menschen einen Asylantrag.
In Bremen beantragten bis Ende Juni 1.192 Menschen Asyl.
Bei 94 Asylanträgen bis Mitte 2017 ist das Bundesland, in dem der Antrag gestellt wurde, anscheinend unbekannt.
Worin muss Deutschland besser werden?
Wir müssen die Flüchtlinge schneller in die Sprachkurse kriegen, dann kommen sie auch eher für Jobs in Betracht. Wer eine gute Bleibeperspektive hat, sollte zudem schnell einen Integrationskurs machen, am besten noch während das Asylverfahren läuft.
In den Flüchtlingsheimen wird oft Deutsch gelehrt.
Ja, nur ist die Wohnsituation oft schwierig. Das Leben im Flüchtlingsheim ist nicht leicht. Viele können sich nicht gut konzentrieren oder machen sich Sorgen um die zurückgelassene Familie. Auch die deutsche Sprache können sie in den Heimen wenig praktizieren. Die Kinderbetreuung müsste besser organisiert werden. Einen Integrationskurs mit Kindern zu besuchen, ist schwierig. Einige Flüchtlinge helfen sich innerhalb der Familie. Aber das ist nicht bei allen möglich.