Arm und Reich Erbschaften werden zum sozialen Sprengstoff

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Der Ruf nach Umverteilung

Studierende demonstrieren mit einem Banner mit der Aufschrift

Eines der stärksten marktliberalen Argumente für die Unantastbarkeit von Erbschaften, dass nämlich die Aussicht, seinen Kindern dauerhaften Wohlstand zu verschaffen, ein großer Anreiz für unternehmerisches Handeln ist, zieht aber für die Erbengenerationen nicht mehr. Man kennt das aus den großen Familiengeschichten in Literatur (Hanno Buddenbrock) und Wirklichkeit (Gunter Sachs): Wer mit dem Silberlöffel im Mund geboren wurde, verliert oft den Antrieb zu eigener unternehmerischer Anstrengung. Warum sollte sich ein Millionenerbe auch der Mühsal des Unternehmertums aussetzen, wenn sein Geld unter der Ägide eines „Familiy Office“ bei einer Privatbank schneller wächst als die Gewinne von fleißigen Gründern? Erbengesellschaften sind kein guter Nährboden für einen Gründerboom.

Steuerklassen und Freibeträge für Erben und Beschenkte

Die moralische Rechtfertigung für die Ungleichverteilung von Vermögen fällt immer schwerer, je weniger sie eine Folge von persönlichen Leistungen – abgesehen von der des Vermögensverwalters - ist. Die Zahl der Superreichen wächst stets langsamer (in Europa  zwischen 2011 und 2012 um 7,5 Prozent auf 3,41 Millionen) als ihre Vermögen (in Europa um 8,2 Prozent auf 10,9 Billionen Dollar. Und das in einer Zeitspanne, die auf ganz Westeuropa bezogen ein BIP-Nullwachstum verzeichnete.

Je höher der Anteil der Erben unter diesen Superreichen, desto lauter dürfte – zumindest in Deutschland – der Ruf nach stärkerer Besteuerung und Umverteilung werden. Und desto konkreter sollte auch die Forderung an die Erben werden, den Artikel 14 des Grundgesetzes zu beachten: „Eigentum verpflichtet“. Hier liegt wahrscheinlich der Schlüssel zur Akzeptanz der Vererbung großer Vermögen. In gemeinnützigen Stiftungen angelegtes Vermögen kann dazu beitragen, das Dilemma zwischen Vererbung und Leistungsprinzip auszugleichen. Es dient nicht dem mühelosen Leben der Erben, sondern kommt – im besten Falle – der Gesellschaft zugute.

Bisher hat keine Regierung irgendeines Landes jemals durch eine radikale Besteuerung von Erbschaften den Vermögensbesitz wirklich spürbar umverteilt, so wie es Orestes Brown und anderen Theoretikern vorschwebte. Von den jährlich in Deutschland vererbten rund 100 Mrd. Euro nimmt der Staat weniger als 4 Prozent ein. Bisher haben moderne Gesellschaften die tatsächlichen oder scheinbaren Ungerechtigkeiten und Widersprüche des Erbens akzeptiert. Aber das heißt nicht, dass sie es in alle Ewigkeit tun werden. Auch die Privilegien des alten Adels waren einmal erblich - und sind sie bekanntlich nicht mehr.

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