Arm und Reich Erbschaften werden zum sozialen Sprengstoff

Der Ruf nach „Gerechtigkeit“ hat Hochkonjunktur. Bald könnte davon auch die Akzeptanz von großen Erbschaften betroffen sein. Millionenerben müssen daher wissen: Eigentum verpflichtet.

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Studierende demonstrieren gegen die Studiengebühren Quelle: dpa

Die Erbschaftswelle hat Deutschland erfasst. Seit den 1990er Jahren, als die Aufbau- und Gründergeneration zu sterben begann, rollt sie durchs Land. Rund 100 Milliarden Euro landen in Deutschland alljährlich im Besitz von Menschen, die für dieses Geld nicht gearbeitet und nichts riskiert haben. Die Gesellschaft verändert sich damit grundlegend.

Die zehn skurrilsten Erbschaften
Vatikan Quelle: dpa
Sankt-Marien-Andreas-Kirche
Lottoschein Quelle: dpa
Gewehre Quelle: Reuters
Malterser Hund Quelle: Fotolia
Obdachloser Quelle: dpa
Schottland Quelle: dpa

Der häufig verwendete Begriff der Erbschaftswelle ist dabei fragwürdig. Er vermittelt nämlich den Eindruck, als würde das ganze Land von einer großen Geldschwemme gleichmäßig geflutet. Tatsächlich kommt der Erbschaftssegen allerdings sehr ungleich über die Deutschen – so ungleich wie eben auch die Vermögen verteilt sind. Etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung hat überhaupt kein nennenswertes Vermögen, mehr als 60 Prozent der Nettovermögen konzentrieren sich bei den oberen zehn Prozent. In Deutschland lebten laut dem World Wealth Report 2012 etwa eine Million High Net Worth Individuals mit einem investierbaren Vermögen (also abzüglich bewohnter Immobilien und anderer nicht liquider Mittel) von mindestens einer Million Dollar.

Die Reichen der Gegenwart und Zukunft sind nicht mehr unbedingt Menschen, die Unternehmen gegründet, Werte geschaffen oder sonstige große Leistungen erbracht haben, sondern zum großen Teil Söhne, Töchter, Neffen oder Nichten jener Schöpfer des Reichtums. Nicht durch eigene Leistungen reich, sondern durch die Gnade der Geburt.

In Deutschland und allen entwickelten Industrienationen erleben wir also etwas, das Soziologen als „Refeudalisierung“ oder „Aristokratisierung“ bezeichnen: Nichts anderes als die Entstehung eines neuen Adels. Bestehend aus Erben großer Vermögen, die sich und ihre Kinder vom Rest der Bevölkerung abkoppeln. Menschen, die nicht darauf angewiesen sind, ihr Einkommen durch eigene Leistungen zu erzielen und diesen Status an ihre Nachkommen weitergeben. Der Journalist Walter Wüllenweber nennt diesen neuen Geldadel – gemeinsam mit den ebenfalls nichts leistenden Hartz-IV-Empfängern – in seinem gleichnamigen Buch „Die Asozialen“.

Dilemma von Erbschaft und Leistung

Was in keinem Testament fehlen darf
HandschriftWer sein Testament selber erstellen will, muss das handschriftlich machen. Denn ein maschinell geschriebenes Exemplar ist nicht gültig und wird von den Gerichten nicht anerkannt. Der Verfasser muss anhand der Handschrift identifizierbar sein. Viele machen den Fehler, und benutzen einfach maschinelle Vordrucke aus dem Internet. Alternativ kann einem ein Notar das Testament als Urkunde erstellen. Auch die muss aber handschriftlich unterschrieben werden. Außerdem sollte das Testament mit einer eindeutigen Überschrift versehen werden, damit es nicht verwechselt wird. Die genaue Bezeichnung ist aber frei wählbar, beispielsweise "Testament" oder "Mein letzter Wille". Quelle: dpa
UnterschriftEgal ob Sie das Testament allein anfertigen oder mit Hilfe des Notars - vergessen Sie nie die Unterschrift. Ohne die ist das Schreiben nicht gültig. Sie sollte immer am Ende des Dokuments stehen. So verdeutlicht sie, dass der letzte Wille hier zu Ende ist. Sobald das Testament mehrere Seiten lang ist, sollte jedes Blatt einzeln unterschrieben sein. Auch wenn das Dokument zu einem späteren Zeitpunkt ergänzt wird, ist wieder eine Unterschrift nötig, damit der Zusatz auch gültig ist. Im Idealfall sollte der Verfasser des Testaments mit seinem Vor- und Nachnamen unterschreiben. Wurde anders unterschrieben, beispielsweise mit "Euer Vater", ist das Testament trotzdem gültig, wenn der Verfasser sicher ausfindig gemacht werden kann. Quelle: AP
Datum und Unterschrift Quelle: dpa
Nicht verlieren! Ist das Testament fertig erstellt, sollte es nicht zu Hause zwischen den heimischen Papier- und Aktenbergen verschwinden. Auch der Nachtschrank oder Schreibtisch ist kein guter Aufbewahrungsort. Die Gefahr, dass keiner der Hinterbliebenen das Testament findet, ist zu groß. Sicherer ist es, den letzten Willen gleich beim Nachlassgericht zu hinterlegen. Dort wird das Testament dann auch eröffnet. Anfang 2012 wurde zudem das Zentrale Testamentsregister bei der Bundesnotarkammer in Berlin eingeführt. Dort werden Testamente registriert und ihr Verwahrungsort hinterlegt. Im Todesfall kann die Kammer so überprüfen, ob ein Testament vorliegt und gegebenenfalls das zuständige Nachlassgericht informieren. Quelle: Fotolia
Pflichtteil beachten! Auch mit einem Testament muss die gesetzlich vorgeschriebene Erbfolge eingehalten werden. Das gilt insbesondere für den Pflichtteil. Wird der vom Verfasser nicht beachtet, können die Betroffenen ihn einklagen. Einen Anspruch auf ihren Pflichtteil haben die in der Erbfolge nächsten Angehörigen – die Kinder und Enkel des Verstorbenen, der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner sowie die Eltern. Der Pflichtteil umfasst die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Quelle: Fotolia
Alles verteilen!Legen Sie in Ihrem Testament möglichst genau fest, wer am Ende was bekommt - nur so lassen sich nervige Streitereien vermeiden. Schreiben Sie also detailliert, wer Schmuck, Ferienhaus, Wertpapierdepot oder Auto erben soll. Nennen Sie dabei möglichst den vollständigen Namen des jeweiligen Erben, keine Spitznamen. Je detaillierter und genauer das Testament geschrieben ist, desto leichter haben es die Erben und der Notar. Quelle: dpa
Berliner TestamentOft wird auch ein sogenanntes Berliner Testament abgeschlossen. So nennt die Fachwelt ein gemeinsames Testament von zwei Verheirateten oder Lebenspartnern. Beide Unterzeichner setzen sich für den Fall des Todes gegenseitig als Erben ein. So erbt der Hinterbliebene zunächst alles, während bei einem normalen Testament auch die Kinder ihren Anteil bekämen. Beim Berliner Testament sind die Kinder Schlusserben, sie bekommen das Vermögen erst, wenn beide Elternteile gestorben sind. Wer sich für ein solches gemeinsames Testament entscheidet, muss allerdings bedenken, dass es auch nur gemeinsam wieder geändert werden kann. Wenn einer der Partner bereits verstorben ist, kann der Hinterbliebene das Testament nur ändern, wenn es eine entsprechende Freistellungsklausel enthält. Quelle: dpa

Dieser Wandel bedeutet für eine moderne demokratische Gesellschaft, in der „Leistung“ als einzige Rechtfertigung für sozialen Status akzeptiert wird, eine große Belastungsprobe des sozialen Friedens. Befeuert von den Verzerrungen der Schuldenkrise treten Gerechtigkeitsfragen immer stärker in den Vordergrund der politischen Willensbildung.

Die große Nachfrage nach „Gerechtigkeit“ wird bald möglicherweise auch Erbschaften erfassen und ihre Legitimation in Frage stellen. Die immer öfter bei Demonstrationen zu sehende Forderung „Reiche Eltern für alle!“, Bücher wie das von Wüllenweber, Forschungen wie die des Soziologen Jens Beckert („Erben in der Leistungsgesellschaft“) und der Ruf der „Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen“ nach einem erbschaftssteuerfinanzierten „Generationen-Soli“ sind erste Indizien für die Konflikte, die auf die Erbengesellschaft zukommen. Gleichzeitig steigt die Skepsis gegenüber der unbedingten Notwendigkeit weiteren Wirtschaftswachstums. Auch das dürfte Folgen für die Akzeptanz von Erbschaften haben: Warum sollen wir im Dienste des BIP-Wachstums weitere Schulden machen und immer schneller und länger arbeiten, wenn dessen Früchte vor allem den Erben großer Kapitalreichtümer zu Gute kommt? In dieser Frage steckt womöglich großer sozialer Sprengstoff der nahen Zukunft.

Das Problem ist natürlich nicht völlig neu. Die Existenz von Erbschaften war gerade für Liberale immer ein Dilemma. Denn ihre zentralen Normen wie Chancengleichheit, Leistungsprinzip und Wettbewerb vertragen sich nicht gut mit dem Erbrecht. Die Institution des Erbens ist streng genommen ein Überbleibsel aus der Vormoderne. Es widerspricht dem Versprechen der Aufklärung: Dass nämlich über den Erfolg in dieser Welt nicht durch die Geburt entschieden werde, sondern durch die eigenen Leistungen. Der liberale amerikanische Sozialreformer Orestes Brownson forderte daher zum Beispiel in den 1840er Jahren, dass der Staat alle Erbschaften einziehen solle, um alle jungen Menschen mit den gleichen Startbedingungen zu versorgen. Aber auch die ordoliberalen Ur-Väter Walter Eucken und Alexander Rüstow forderten radikale staatliche Eingriffe in Erbschaften. Auf sie kann sich die FDP mit ihren erbenfreundlichen Positionen also kaum berufen.

Die Empörung über die Zementierung sozialer Ungleichheit und ungleicher Startbedingungen durch großen Erbschaften wird bisher meist von einigen schlagkräftigen Argumenten entschärft und vor allem durch das Eigeninteresse der gesellschaftlich dominanten oberen Mittelschicht. Sie hat ein Interesse an der möglichst wenig besteuerten Vererbung ihrer vergleichsweise bescheidenen Vermögen. Die sind nicht so hoch, dass sie den Erben ein arbeitsfreies Leben ermöglichen, aber sie schaffen zumindest eine gewisse Sicherheit. Die Angst der Mittelschicht-Deutschen vor dem sozialen Abstieg ihrer Kinder ist derzeit größer als die Empörung über das unverhältnismäßige Wachstum der Vermögen und Erbschaften der reichsten 10 oder 1 Prozent. Das führte dazu, dass die Freibeträge für Erbschaften in den vergangenen Jahren angehoben wurden. Kinder von Erblassern zahlen für Häuser, die sie selbst bewohnen wollen und für Vermögen bis zu 400 000 Euro seit 2009 keine Erbschaftssteuer mehr, vorher lag der Freibetrag bei 205 000 Euro. Ehegatten und Lebenspartner zahlen erst ab 500.000 Euro.

Der Ruf nach Umverteilung

Studierende demonstrieren mit einem Banner mit der Aufschrift

Eines der stärksten marktliberalen Argumente für die Unantastbarkeit von Erbschaften, dass nämlich die Aussicht, seinen Kindern dauerhaften Wohlstand zu verschaffen, ein großer Anreiz für unternehmerisches Handeln ist, zieht aber für die Erbengenerationen nicht mehr. Man kennt das aus den großen Familiengeschichten in Literatur (Hanno Buddenbrock) und Wirklichkeit (Gunter Sachs): Wer mit dem Silberlöffel im Mund geboren wurde, verliert oft den Antrieb zu eigener unternehmerischer Anstrengung. Warum sollte sich ein Millionenerbe auch der Mühsal des Unternehmertums aussetzen, wenn sein Geld unter der Ägide eines „Familiy Office“ bei einer Privatbank schneller wächst als die Gewinne von fleißigen Gründern? Erbengesellschaften sind kein guter Nährboden für einen Gründerboom.

Steuerklassen und Freibeträge für Erben und Beschenkte

Die moralische Rechtfertigung für die Ungleichverteilung von Vermögen fällt immer schwerer, je weniger sie eine Folge von persönlichen Leistungen – abgesehen von der des Vermögensverwalters - ist. Die Zahl der Superreichen wächst stets langsamer (in Europa  zwischen 2011 und 2012 um 7,5 Prozent auf 3,41 Millionen) als ihre Vermögen (in Europa um 8,2 Prozent auf 10,9 Billionen Dollar. Und das in einer Zeitspanne, die auf ganz Westeuropa bezogen ein BIP-Nullwachstum verzeichnete.

Je höher der Anteil der Erben unter diesen Superreichen, desto lauter dürfte – zumindest in Deutschland – der Ruf nach stärkerer Besteuerung und Umverteilung werden. Und desto konkreter sollte auch die Forderung an die Erben werden, den Artikel 14 des Grundgesetzes zu beachten: „Eigentum verpflichtet“. Hier liegt wahrscheinlich der Schlüssel zur Akzeptanz der Vererbung großer Vermögen. In gemeinnützigen Stiftungen angelegtes Vermögen kann dazu beitragen, das Dilemma zwischen Vererbung und Leistungsprinzip auszugleichen. Es dient nicht dem mühelosen Leben der Erben, sondern kommt – im besten Falle – der Gesellschaft zugute.

Bisher hat keine Regierung irgendeines Landes jemals durch eine radikale Besteuerung von Erbschaften den Vermögensbesitz wirklich spürbar umverteilt, so wie es Orestes Brown und anderen Theoretikern vorschwebte. Von den jährlich in Deutschland vererbten rund 100 Mrd. Euro nimmt der Staat weniger als 4 Prozent ein. Bisher haben moderne Gesellschaften die tatsächlichen oder scheinbaren Ungerechtigkeiten und Widersprüche des Erbens akzeptiert. Aber das heißt nicht, dass sie es in alle Ewigkeit tun werden. Auch die Privilegien des alten Adels waren einmal erblich - und sind sie bekanntlich nicht mehr.

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