Armenien-Resolution Ergriffenheit im Bundestag

Den türkischen Drohungen zum Trotz: Der Bundestag beschließt mit überwältigender Mehrheit, das Massaker an den Armenien als Völkermord einzustufen. Das Ergebnis reißt sogar armenische Würdenträger von den Sitzen.

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Der Bundestag erkennt das Armenier-Massaker im Osmanischen Reich als Völkermord an. Quelle: dpa

Berlin Lange schwarze Soutane, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, ein großes, goldenes Kreuz auf der Brust - der Würdenträger der armenischen Kirche auf der Besuchertribüne des Bundestages gab eine eindrucksvolle Erscheinung ab - und war ein gefragtes Motiv für Fotografen und Kameraleute. Der Geistliche lauschte mit anderen Klerikern und Diplomaten der Bundestags-Debatte zum Völkermord an den Armeniern.

Die Debatte verfolgten die meisten Besucher ohne Regung - doch als bei der Abstimmung nahezu alle Abgeordnete für die Armenien-Resolution die Hand hoben, brandete Applaus auf. Der Antrag von CDU, CSU und Grünen stuft das Massaker des Osmanischen Reiches an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten zwischen 1915 und 1916 als Völkermord ein. Es gab lediglich eine Gegenstimme und eine Enthaltung aus dem Lager von CDU und CSU. „Eine bemerkenswerte Mehrheit“, kommentierte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) den Beschluss.

Im Vorfeld hatten türkische Politiker die Resolution scharf kritisiert, die türkische Gemeinde demonstrierte am Mittwochabend vor dem Bundestag. Lammert nannte die Proteste berechtigt, der Antrag sei jedoch keine Anklageschrift an die türkische Regierung. Der Bundestagspräsident bemängelte zugleich: „Es gab zahlreiche Drohungen gegenüber Kollegen, insbesondere jenen mit türkischem Familienhintergrund, bis hin zu Morddrohungen. Das ist inakzeptabel.“ Lammert fügte hinzu: „Wir lassen uns nicht einschüchtern.“

Besonders im Fokus der Anfeindungen stand der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir. „Wir bringen den Antrag nicht ein, weil wir uns moralisch überlegen fühlen oder uns in fremde Angelegenheiten einmischen wollen“, stellte Özdemir klar. „Es geht um ein Stück deutsche Geschichte.“ Das Deutsche Reich war im Ersten Weltkrieg Verbündeter des Osmanischen Reiches und tolerierte die Massaker. Daher habe Deutschland eine historische Verpflichtung, Türken und Armenier zu Aussöhnung zu bewegen. „'Du Armenier' ist schon immer ein Schimpfwort in der Türkei gewesen“, kritisierte Özdemir.

Auf die Anfeindungen gegen ihn wollte der Grünen-Politiker nicht näher eingehen. „Ich tue mich schwer darüber zu sprechen“, sagte Özdemir. Denn er müsse nicht fürchten, verprügelt oder ins Gefängnis gesteckt zu werden. „Das gilt nicht für unsere Kollegen in der Türkei; und jene, die sich für Ausklärung einsetzen.“

Die Abwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vize-Kanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier bezeichnete der Linken-Politiker Gregor Gysi als „nicht besonders mutig“. Die Resolution trug seine Fraktion jedoch mit: „Endlich benennen wir es als das, was es war: Ein systematischer Völkermord an 1,5 Millionen Menschen“, lobte Gysi.
Angesichts der überwältigenden Zustimmung für die Armenien-Resolution erhob sich sogar jene christliche Würdenträger von seinem Platz, der sonst unter seiner Kapuze keine Regung zeigte. Wie die im Saal anwesenden türkischen Diplomaten reagierten, ging im gelösten Händeschütteln der Armenier unter.

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