Asyl in Deutschland Kaum Hoffnung für schutzsuchende Türken

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Vernichtendes EU-Urteil über die Türkei

Nicht nur der schonungslose Umgang mit vermeintlichen Unterstützern des Putschversuchs im Juli hat die Türkei gespalten. Die jüngste Eskalation im schwelenden Dauerkonflikt mit der kurdischen Minderheit nährt zunehmend Zweifel an der Fähigkeit der Regierung, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Erdogan in den vergangenen Jahren in Syrien islamistische Extremisten geduldet oder gar unterstützt haben könnte - dies wiederum könnte auch in der Türkei islamistische Tendenzen befördert haben.

„So etwas bleibt nicht ohne Folgen“, sagt der Nahost-Experte Halil Karaveli, der am schwedischen Standort des internationalen Zentralasien-Kaukasus-Instituts arbeitet. Eine Mischung aus einem extremen türkischen Nationalismus und einem sunnitisch-muslimischen Fundamentalismus habe sich in einigen Kreisen im Land zuletzt stark ausgebreitet. Daraus ergäben sich große Potenziale für zusätzliche Gewalt innerhalb der Gesellschaft.

Und Erdogan selbst hat daran seinen Anteil. So ist es nicht verwunderlich, dass der türkische Präsident seinen Erzfeind Fethullah Gülen beschuldigt, für das tödliche Attentat verantwortlich zu sein. Es mag zwar fraglich erscheinen, welchen Nutzen sich der in den USA lebende muslimische Prediger von einer solchen Aktion versprechen könnte. Aber für Erdogan, der Gülen auch als Hintermann des Putschversuchs sieht, würde es gut ins Bild passen.

Ob die Vorwürfe des zunehmend autoritär regierenden Präsidenten stimmen oder nicht - die Massenverhaftungen und sonstigen Repressionen gegen Andersdenkende, in Kombination mit der eskalierenden Gewalt im Kurdenkonflikt sowie den sich häufenden Anschlägen von Islamisten, erinnern allmählich an das Chaos, das in den 70er Jahren den Alltag in der Türkei bestimmte. Damals bekämpften sich vor allem linke und rechte politische Gruppen - bis 1980 schließlich die Streitkräfte eingriffen und in einem Militärputsch die Macht übernahmen.

Die EU sieht die Entwicklungen in der Türkei schon länger mit Sorge. In ihrem jüngst veröffentlichten Fortschrittsbericht thematisiert die EU-Kommission die Probleme in ungewöhnlich deutlichen Worten. Brüssel zählt in dem Bericht, aus dem die „Welt“ zitierte, gravierende Defizite in den Bereichen Meinungsfreiheit, Korruptionsbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit auf. Indirekt wirft Brüssel der türkischen Justiz sogar Folter vor.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kam gar zu dem Schluss, dass Ankara den Eindruck vermittle, dass es der Europäischen Union nicht länger beitreten wolle. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bezeichnete die jüngsten Entwicklungen in der Türkei als „äußerst beunruhigend“ und warnte vor einer Gefährdung der parlamentarischen Demokratie. Kritisiert wurden unter anderem die Überlegungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe, die Schließung von Medienhäusern und die Verhaftung von Journalisten und Oppositionspolitikern.

Trotz massiver Vorbehalte wollen die EU-Staaten aber an den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vorerst festhalten. Man sei bereit, den politischen Dialog „auf allen Ebenen und innerhalb des bestehenden Rahmens“ fortzuführen, hieß es.

Mit AP und Reuters.

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