Asylstatistik 2017 Weniger Flüchtlinge, aber mehr Prozesse

Bamf-Präsidentin Jutta Cordt und Bundesinnenminister Thomas de Maizière Quelle: AP

Innenminister de Maizière kann aufatmen – zumindest teilweise: Die Asylzahlen sind im vergangenen Jahr gesunken. Doch zentrale Probleme bleiben. Was der Minister und das Flüchtlingsamt BAMF noch anpacken müssen.

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Die Flüchtlingskrise ist nach Ansicht von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) noch nicht ausgestanden. „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat schnell und gut gearbeitet, die Hauptprobleme sind im Griff, aber es bleibt noch viel zu tun“, sagte der CDU-Politiker am Dienstag bei der Vorstellung der Asylzahlen für das abgelaufene Jahr. So sei es zwar gelungen, den Antragsstau weitgehend abzubauen, dafür sei die Welle aber bei den Gerichten angekommen. Sollten Union und SPD sich für Koalitionsverhandlungen entscheiden, werde auch über die Frage zu reden sein, wie sich die Klageverfahren weiter beschleunigen ließen. Auch bei den Integrationskursen gebe es noch Verbesserungsbedarf.

Im Jahr 2017 registrierten die Behörden 186.644 neu eingereiste Asylsuchende – deutlich weniger als in den Vorjahren. 2016 waren 280.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, 2015 sogar 890.000. Allerdings liegen die Zahlen damit immer noch höher als im Durchschnitt der Jahre vor 2015. Das Migrationsamt BAMF hat im abgelaufenen Jahr über gut 603.000 Asylanträge entschieden. Schob die Nürnberger Behörde zu Beginn des vergangenen Jahres noch 433.719 offene Verfahren vor sich her, waren es zum Jahresende nur noch 68.245.

Über im Jahr 2017 gestellte Asylanträge wurde im Schnitt in gut zwei Monaten entschieden. „Das ist auch in Europa ein Spitzenwert“, sagte de Maizière. Durch verbliebene komplizierte Altfälle ist die durchschnittliche Verfahrensdauer aber auf 10,7 Monate gestiegen. Zu den Hauptherkunftsländer der Asylsuchenden zählen, wie auch in den Vorjahren, Syrien, Irak, Afghanistan und Eritrea. Auf Platz fünf der Asylstatistik rangiert die Türkei.

Zahl der Asylanträge in Deutschland

BAMF-Präsidentin Jutta Cordt wies Vorwürfe zurück, das höhere Tempo bei der Antragsbearbeitung gehe zu Lasten der Flüchtlinge. „Beschleunigung bedeutet nicht geringere Qualität“, sagte sie. Die Klageflut an den Verwaltungsgerichten begründete Innenminister de Maizière mit der gestiegenen Zahl entschiedener Anträge und dem relativ hohen Anteil ablehnender Bescheide. Die sogenannte Schutzquote – also der Anteil der Flüchtlinge, die ein wie auch immer geartetes, zumindest vorübergehendes Bleiberecht bekommen – lag 2017 nur noch bei 43 Prozent. Zum Vergleich: 2016 lag der Wert mit 62,4 Prozent deutlich höher, 2015 war er bei 49,8 Prozent.

Der Innenminister übte allerdings auch Kritik an den Ländern: „Der Flaschenhals beim BAMF kam ziemlich überraschend. Der Flaschenhals bei den Gerichten kam nicht überraschend.“ Inzwischen habe man aber begonnen, Personal aufzubauen. In knapp ein Drittel der Fälle, bei denen Asylentscheidungen vor Gericht landeten, erhielt das BAMF am Ende Recht. 23 Prozent der Fälle gingen zu Gunsten der Kläger aus, der Rest der Verfahren wurde ohne Urteil erledigt, etwa weil der Antragsteller die Klage zurückzog oder ausreiste.

Die Zahl der Abschiebungen ist von rund 28.000 im Jahr 2016 auf rund 26.000 zurückgegangen. Dies sei ein immer noch „beachtliches Ergebnis“, sagte de Maizière. Denn 2016 seien vor allem Bürger der Westbalkanländer in ihre Heimat zurückgebracht worden, was dank der Einstufung als sichere Herkunftsländer relativ problemlos sei. Anders sieht es nach wie vor bei den Maghreb-Staaten aus. Nach Tunesien beispielsweise wurden im vergangenen Jahr rund 220 Schutzsuchende abgeschoben, 2015 waren es nur 17. „Das sind noch zu wenige, aber es gibt große Fortschritte“, kommentierte der Innenminister die Zahlen. Unter den Abgeschobenen waren auch 60 Gefährder. Mit finanzieller Förderung kehrten 2017 gut 30.000 Flüchtlinge freiwillig in ihre Heimat zurück.

Bei den Integrationskursen sehen de Maizière wie auch Cordt noch Verbesserungsbedarf. Zwar werde mittlerweile direkt in den Ankunftszentren die Sprachkompetenz überprüft, sagte die BAMF-Chefin. So sei frühzeitig klar, ob ein Flüchtling in den normalen Integrationskurs kann oder zunächst überhaupt mal Lesen und Schreiben lernen muss. Aktuell müssen Schutzsuchende noch rund neun Wochen auf einen Platz im Integrationskurs warten. Bei den Erfolgsquoten gebe es aber noch Luft nach oben, sagte der Innenminister.

Nach seiner Ansicht liegen die Asylzahlen in Deutschland immer noch zu hoch. Ziel müsse sein, dass wirklich nur Schutzbedürftige nach Deutschland kämen und nicht Menschen, die sich in der Hoffnung auf eine bessere wirtschaftliche Zukunft kriminellen Schlepperbanden ausliefern. „Das ist das inhumanste Auswahlgremium“, sagte de Maizière.

In diesem Zusammenhang verteidigte er auch den in den Sondierungen zwischen Union und SPD gefundenen Kompromiss zum Familiennachzug. Man dürfe nicht Familien dafür prämieren, dass der Schwächste vorgeschickt werde. Wie hoch die Zahl der Angehörigen, die nach Deutschland kommen wollen, wirklich sei, werde irrelevant, wenn die neue Regierung das geplante neue Gesetz beschlossen habe. Denn dann werde es keinen Rechtsanspruch auf Nachzug mehr geben.

De Maizière verteidigte auch den Plan, Asylverfahren künftig zentral in sogenannten Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungszentren abzuwickeln. Solange die Verfahrensdauer nicht wieder anschwelle, seien solche Zentren „im Grundsatz gut beherrschbar“, sagte de Maizière. Außerdem hofft er, dass sie eine „psychologische Wirkung“ auf Flüchtlinge entfalten, die sich erst noch auf den Weg machen wollen. Cordt erhofft sich Fortschritte vor allem durch die enge Zusammenarbeit zwischen ihrer Behörde und der Bundesagentur für Arbeit, Ausländerbehörden und anderen Ämtern. „Je enger man zusammenarbeitet, desto besser sind die Abstimmungen untereinander“, sagte sie.

Dass bald eine Entspannung in der Asylpolitik eintritt, erwartet der Innenminister nicht. „Die internationale Flüchtlingskrise ist nicht vorbei.“ Angesichts von Millionen von Menschen weltweit auf der Flucht sei sie eine der größten internationalen Herausforderungen.

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