Asylsuchende strömen nach Deutschland Die hausgemachten Probleme bei der Flüchtlings-Aufnahme

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Große Ausgaben in Bayern

In keinem anderen Bundesland ist die Unterbringung von Flüchtlingen so hierarchisch geregelt wie in Bayern, mit Abstrichen gilt das für Baden-Württemberg. Wie in allen Bundesländern gibt es zwar eine Quotenregelung, mit der die Flüchtlinge über das Land verteilt werden.

Auf die Zuweisungen selbst haben Städte und Gemeinden aber kaum Einfluss. Die Bezirksregierungen tragen die Kosten, entscheiden dafür aber auch allein, welche Unterkünfte zum Zug kommen. Sie sollten mindestens 50 Plätze bieten, Privatwohnungen sind grundsätzlich unzulässig, außer die Flüchtlinge bezahlen selbst.

Die Kommunen haben kein Mitspracherecht, sondern nur die Pflicht, Vorschläge zu machen. Auf dem Papier geht es den Asylbewerbern in Bayern dann so gut wie nirgendwo sonst: Der Freistaat gibt besonders viel Geld für Flüchtlinge aus, 2014 werden es 220 Millionen Euro sein, Nordrhein-Westfalen kommt mit 110 Millionen Euro aus. Auch sieben Quadratmeter Schlaffläche pro Person sind im Vergleich groß bemessen.

Diese Nationen wollen nach Deutschland
Die Krise in Südeuropa und die EU-Osterweiterung haben Deutschland die stärkste Zuwanderung seit 1995 gebracht. Rund 1,08 Millionen Menschen zogen im vergangenen Jahr zu und damit so viele wie zuletzt vor 17 Jahren. Im Vergleich zum Vorjahr betrug das Plus noch einmal 13 Prozent, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte. Etwa 966.000 Zuwanderer waren den vorläufigen Ergebnissen zufolge Ausländer (plus 15 Prozent). Die Zahl der Zuzüge von Spätaussiedlern und deutschen Rückkehrern aus dem Ausland blieb mit rund 115.000 nahezu konstant. Quelle: dpa
Einen großen Zuwachs verbuchten die deutschen Einwohnermeldeämter aus Italien: 2012 kehrten 40 Prozent mehr Italiener ihrer Heimat den Rücken um nach Deutschland zu kommen, als noch 2011. Die Zuwanderungszahlen sagen allerdings nichts darüber aus, wie lange die Menschen bleiben. So kehrten im vergangenen Jahr auch rund 712.000 Menschen Deutschland den Rücken, das waren fünf Prozent mehr als im Vorjahr. 579.000 von ihnen hatten keinen deutschen Pass. Aus den Zu- und Fortzügen ergibt sich für das Jahr 2012 ein Einwohnergewinn von 369.000 Menschen, dies ist der höchste Wert seit 1995. Quelle: dpa
Auch aus den krisengebeutelten Ländern Portugal und Griechenland kommen immer mehr Menschen ins vergleichsweise wohlsituierte Deutschland. Aus beiden Ländern sind die Einwandererzahlen im vergangenen Jahr um 43 Prozent gestiegen. Quelle: dpa
Auch die Zahl der Spanier, die nach Deutschland auswanderten, ist 2012 um 45 Prozent angestiegen. Somit gab es im vergangenen Jahr besonders starke Zuwächse aus den südeuropäischen EU-Krisenstaaten. Drei Viertel der Ausländer, die nach Deutschland kamen, zog es in fünf Bundesländer: Das Gros ging nach Bayern (192.000), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (186.000), Baden-Württemberg (171.000), Hessen (90.000) und Niedersachsen (89.000). Quelle: dpa
Aus den osteuropäischen Ländern, die erst seit 2004 oder 2007 zur EU gehören, kamen ebenfalls mehr Menschen nach Deutschland als im Vorjahr. Besonders stark war der prozentuale Zuwachs aus Slowenien (62 Prozent). Quelle: dapd
Allerdings kamen die meisten Zuwanderer weder aus Slowenien noch aus Südeuropa. Mit 59.000 Einwanderern stellte Bulgarien die drittgrößte Gruppe. Quelle: dpa
Seit dem 1. Januar 2007 ist Rumänien ein Mitglied der EU. Die Einwohner des Landes nutzen die europaweite Freizügigkeit: 2012 kamen 116.000 Rumänen nach Deutschland. Damit machen sie die zweitgrößte Einwanderungsgruppe aus. Quelle: dpa

Standards bröckeln

„Die Vorgaben der Regierung sind so hoch, dass die meisten unserer Vorschläge abgelehnt werden“, sagt Vogelreuther. Die Bewerber aber laufen trotzdem auf. Die Regierung setzte deshalb in den vergangenen Monaten verstärkt auf das Mittel der Zwangszuweisung: Wenn nicht genug Plätze da sind, bekommen die Städte einfach Personen zugewiesen – Standards spielen dann keine Rolle mehr.

Sozialdezernentin Vogelreuther muss dann nehmen, was sie auf die Schnelle bekommen kann, mietet Pensionen und Monteursunterkünfte an. Nachdem sie die Notlager wie im Möbelhaus verlassen haben, müssen die Flüchtlinge dort zu siebt oder acht in einem Raum ausharren, bis über den Asylantrag entschieden ist – was Jahre dauern kann. Das ist unmenschlich, teuer obendrein.

Bei Michaela Vogelreuther rief vor einiger Zeit ein Makler an, um den Kontakt zu einem Investor aus Singapur zu vermitteln. „Der wollte hier Immobilien kaufen, um sie an uns zu vermieten“, erinnert sie sich. Er hatte von einem Tagessatz von 60 Euro gehört. Vogelreuther wimmelte ihn ab, sagt aber auch: „Auf dem Land sind solche Preise durchaus möglich.“ Wo es nur eine Handvoll Pensionen gibt, die überhaupt gemietet werden können, bleiben den Gemeinden kaum Optionen.

Asyl-Erstanträge in Deutschland pro Monat. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Dass es auch anders gehen könnte, zeigt sich in Rheinland-Pfalz. Auch hier ist die Erstaufnahme überlastet, auf Zelte und andere Notlager konnte bisher aber verzichtet werden. Bereits 2012 hat das Land begonnen, die Erstaufnahmestelle in Trier zu erweitern, im Februar konnte eine neue Unterkunft bezogen werden.

Anfang 2015 öffnet wohl eine weitere Außenstelle des BAMF, das kleine Rheinland-Pfalz hätte dann so viele Registrierungsstellen wie Bayern. „Wir haben die Schätzungen des BAMF und den gleichzeitig in unserer Erstaufnahmeeinrichtung registrierten Anstieg der Flüchtlingszahlen immer sehr ernst genommen“, sagt Integrationsministerin Irene Alt (Grüne), „daher kommen wir mit den derzeitigen Flüchtlingszugängen relativ gut zurecht.“

Von einer besonderen Betroffenheit einzelner Bundesländer will sie nichts wissen: „Die Aufgabe der Flüchtlingsaufnahme ist auf alle Länder nach Steueraufkommen und Bevölkerungszahl gleich verteilt – die geografische Lage eines Bundeslandes spielt keine Rolle.“

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