Atom-Proteste Umweltschützer laufen Sturm gegen Atommülltransporte

Kurz vor dem sechsten Jahrestag des Super-Gaus in Fukushima einigen sich Atomkonzerne und Bundesregierung auf einen Atomvertrag. Beendet ist das Kapitel Atom damit nicht. Klagen stehen noch aus.

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Für-den-Atomausstieg Quelle: dpa

Jahrelang haben die vier Atombetreiber in Deutschland RWE, E.On, EnBW und Vattenfall sich mit der Bundesregierung um den Ausstieg aus der Atomenergie gestritten. Das vorzeitige Ende der Atomkraft beschloss die Bundesregierung 2011 nach dem Super-Gau im japanischen Atomkraftwerk in Fukushima. Ende 2022 wird in Deutschland das allerletzte Kernkraftwerk abgeschaltet. Doch wohin mit dem Atommüll? Und wer bezahlt dafür?

Die Furcht davor, dass die Atombetreiber nicht genügend Rückstellungen in ihren Bilanzen gebildet haben, um einmal die Entsorgung des Atommülls zu bezahlen, hatte zur Folge, dass sich Betreiber und Bundesregierung Ende vergangenen Jahres nach langem Ringen auf einen Atom-Fonds einigten.

Bis Mitte 2017 müssen die vier Atombetreiber insgesamt rund 23,6 Milliarden Euro an einen öffentlich-rechtlichen Fonds zahlen, mit dem die Kosten der Müll-Lagerung über Jahrzehnte gedeckt werden sollen. Das Gesetz über diesen Atom-Fonds ist Ende 2016 vom Bundestag beschlossen worden.

So finanzieren andere Länder ihre Atom-Altlasten
Mitarbeiter des Atom-Zwischenlagers Nord Quelle: dpa
Frankreich: Atomkraftwerk des Unternehmens EDF Quelle: REUTERS
Atommüll Quelle: dpa
Schwedisches Atomkraftwerk Quelle: dpa/dpaweb
Greenpeace-Aktivisten demonstrieren in der Schweiz gegen Atommüll Quelle: AP

Nun haben sich Bundesregierung und Atombetreiber in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag auch über die Details geeinigt, wer, wann, wie für die Entsorgung des Atommülls verantwortlich ist und wer wann wie viel zahlt. Das Gesetz reichte den Betreibern nicht. Schließlich lassen sich Gesetze ändern, Verträge sind einzuhalten.

Gestritten wird aber weiterhin um die Brennelemente-Steuer, die Ende vergangenen Jahres ausgelaufen ist. Die Atombetreiber klagen gegen diese Steuer. Zudem hat der schwedische Staatskonzern Vattenfall vor einem Schiedsgericht in den USA auf 4,7 Milliarden Euro Entschädigung geklagt. Als Grund dafür, dass die Konzerne diese Klagen weiterhin nicht zurücknehmen wollen, gilt der sehr hohe Streitwert. Die Bundesregierung gibt sich optimistisch, die „von der jetzigen Einigung nicht erfassten Verfahren“ für sich zu entscheiden.

Vor etwa einem Jahr einigt sich eine Expertenkommission mit den Energieriesen über die Finanzierung atomarer Altlasten. Bis zum endgültigen Vertrag zwischen Staat und Konzernen aber wird bis zuletzt gerungen.

Die Atombetreiber zahlen also und die Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung des hochradioaktiven Atommülls übernimmt der Staat. Also Ende gut, alles gut? Nun, die Betreiber sind die Sorgen los, wo sie einmal ihren Atommüll endlagern. Damit sind sie die größte, weil unkalkulierbare, Sorge losgeworden. Das Problem hat nun der Staat. Und das bedeutet: Es ist längst noch nicht Schluss mit dem leidigen Thema Atom. Erstens muss erst einmal ein Endlager gesucht und gefunden werden. Dazu ist in der vergangenen Woche ein Endlagersuchgesetz im Bundestag verabschiedet worden. Überall in Deutschland wird gesucht.

Wohin mit dem Atommüll? Die Frage bleibt unbeantwortet

Wie schwierig und damit auch wie teuer die Suche nach solchen Zwischen- und Endlagern für den Atommüll werden wird, zeigt sich gerade in Baden-Württemberg. Dort steht in Obrigheim am Neckar ein Atomkraftwerk des Atombetreibers EnBW, eines der ältesten Meiler in Deutschland. Im Jahre 1969 ging der Meiler ans Netz. Schon seit 2005 ist er abgeschaltet. Seitdem läuft der Rückbau, sprich, der Abriss. Nach dem neuen Gesetz bleiben die Atombetreiber für die Stilllegung und den Abriss der Reaktoren verantwortlich. Seit mehr als zehn Jahr baut EnBW-Kraftwerks-Chef Jörg Michels den Meiler schon zurück. Weitere 15 Jahre wird es wohl noch dauern, bis da wieder grüne Wiese ist, wo einst das Kraftwerk stand.

Größtes Problem: Atomkraft-Mann Michels weiß nicht, wohin mit den abgebrannten Brennelementen, den hochradioaktive Resten, aus dem Atomkraftwerk. Die 342 Brennstäbe sind längst bereit fürs Endlager. Seit 2007 klingen sie in einem Nassbecken ab. Es gibt aber noch kein Endlager. Und ein Zwischenlager hat Obrigheim auch nicht. Damit EnBW dort kein neues Zwischenlager bauen muss, könnte es die Brennstäbe ins Atomkraftwerk nach Neckarwestheim bringen. Dort gibt es ein Zwischenlager und dort ist noch Platz. Die Genehmigung hat der Atombetreiber dafür schon. Nun aber kommt die schwierige Frage: Wie sollen die hochgiftigen Dinger dahin kommen?

Drei Wege hat Michels geprüft: per Straße, per Zug, per Fluss. Ein Transport per Zug beziehungsweise Schiene fällt flach, weil es keine Zugverbindung in der Nähe gibt. Straße ist kompliziert, es müssten großräumige Absperrungen gemacht werden.

Bleibt der Fluss – beide Atommeiler liegen am Neckar. Von Obrigheim nach Neckarwestheim sind es ungefähr 40 Kilometer. Die Rampe für den Abtransport ist schon gebaut. Zu Testzwecken hatte EnBW dafür in der vergangenen Woche leere Atommüllbehälter über den Neckar verschifft. Selbst für das grüne Umweltministerium in Baden-Württemberg ist der Wasserweg die beste Lösung. Allein die Genehmigung vom Bundesumweltamt fehlt noch.

Erstmals würden hoch radioaktive Abfälle in Deutschland auf einem Fluss transportiert werden. Und schon formiert sich Protest. Umweltschützer liefen Sturm. Rund 650 Menschen folgten einem Aufruf des Aktionsbündnisses „Neckar castorfrei“ zu einem Protestmarsch und einer Kundgebung. „Wir wollten vor dem Jahrestag der Katastrophe von Fukushima vom 11. März 2011 ein Zeichen setzen und vor Castor-Transporten auf dem Fluss durch dicht besiedeltes Gebiet warnen“, sagte der Sprecher des Aktionsbündnisses, Herbert Würth.

Weitere Castorbehälter kommen aus Frankreich und England

Auf die Barrikaden treibt die Umweltschützer ein Satz von Kraftwerkschef Michels. Er hat das Schiff mit den Castoren als „praktisch unsinkbar“ bezeichnet. Bei drei Castoren pro Transport wären dies fünf Fahrten. Castoren sind spezielle Behälter für radioaktive Abfälle und abgebrannte Brennstäbe aus Atomkraftwerken. In diesen Behältern kann der Atommüll gelagert oder transportiert werden. Castor steht für „Cask for storage and transport of radioactive material“ (Behälter für Lagerung und Transport von radioaktivem Material).

„Ein weiteres Zwischenlager wird mit dem Transport vermieden, und der Rückbau von Obrigheim kann schneller erfolgen“, sagt Michels. Der Transport auf dem Flussweg muss aber erst noch vom Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) genehmigt werden. Michels erwartet die Erlaubnis noch in diesem Jahr.

Begleiten sollen die Überführung etwa 80 Arbeiter - und zahlreiche Polizisten. Immer wieder hatten Aktivisten in den vergangenen Jahren in Deutschland gegen Castor-Transporte auf der Schiene oder auf der Straße protestiert. Immer wieder kam es auch zu Ausschreitungen. Auf dem Weg nach Neckarwestheim gibt es immerhin 23 Brücken und 6 Schleusen. „Wir haben eine Vorbereitungsgruppe gegründet und bereits einige Szenarien geübt“, sagt Thomas Mürder, Präsident des zuständigen Polizeipräsidiums in Göppingen. „Falls der Transport gestört wird, werden wir dagegen vorgehen“, warnt er.

Wie im Ausland die Atommüll-Kosten gestemmt werden

Der Streit in Baden-Württemberg um das Zwischenlager und den Transport hochradioaktiven Atommülls ist erst der Anfang. Das Problem, wohin mit den abgebrannten Brennstäben und dem restlichen radioaktiven Müll trifft auch allen anderen Atombetreiber. Je länger die Suche nach einem Endlager dauert, desto länger müssen der Atommüll in Zwischenlagern aufbewahrt werden.

Die Kosten dafür übernimmt zukünftig der Staat. Die Aufbewahrung von Brennelementen in Zwischenlagern an den AKW-Standorten ist gesetzlich für maximal 40 Jahre ab Einlagerung des ersten Castor-Behälters genehmigt, also bis ungefähr 2045. Diese Frist soll nicht überschritten werden. Ist bis dahin kein Endlager genehmigt, muss jedes einzelne Zwischenlager neu genehmigt werden.

Mit neuen Protesten von Umweltschützern ist künftig sowieso zu rechnen, wenn es zu weiteren Castor-Transporten kommen wird. Denn irgendwann kommt auch der Atommüll aus den Wiederaufbereitungsanlagen in Frankreich und England zurück. Die Rückführung der Castor-Behälter sollen in Zwischenlagern im AKW Philippsburg und auf die Standorte Biblis, Brokdorf und Isar verteilt werden.

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