Atomausstieg Ihr wollt gar nicht sparen!

Angela Merkel propagiert die Energiewende. Doch an das wichtigste Thema wagt sich die Bundesregierung nicht: die Energie-Effizienz. Warum nur?

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Euroscheine stecken in einem Quelle: dpa

Die Brücke. Der Überweg in ein Zeitalter, in dem der Strom von Sonne, Wind und Wasser kommt. Wird über Energie geredet, gibt es nichts Wichtigeres. Zuletzt aber wurden leider viele Märchen über dieses imaginäre Bauwerk in die Zukunft verbreitet.

Die Brücke ist nicht die Atomenergie, wie Angela Merkel erst behauptete und nach Fukushima zurücknahm. Sie kann auch nicht in erster Linie das Erdgas sein, die Lieblingsenergie von Greenpeace und Co. Erst recht besteht sie nicht aus der von manchen Sozialdemokraten verehrten Kohle. Es gibt nur einen Weg, eine stabile Brücke ins Reich der grünen Energie zu bauen: sparen. Deutschland muss viel effizienter als bisher mit seiner Energie umgehen, sonst schafft es die Wende nie.

Diese Woche nimmt Merkels Gesetzespaket die letzten parlamentarischen Hürden. Zum Thema Sparen steht darin – fast nichts. Nur der fromme Wunsch, es möge irgendwie stattfinden, festgehalten in Anlage 3 des Kabinettsbeschlusses vom 6. Juni. In Anlage 3! Dort heißt es, dass die Effizienzpotenziale »im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten noch stärker genutzt werden sollen«.

Das ist de facto eine Ausrede fürs Nichtstun. Der Markt allein richtet es in dem Fall nämlich nicht, und das liegt an der Rendite. Zwar werfen Investitionen für mehr Energieeffizienz fast immer eine Rendite ab, aber oft genug lässt sich mehr verdienen, wenn die Mittel anderswo eingesetzt werden.

Zurück zur Atomenergie?

Anscheinend macht es der Regierung nichts aus. Als Wirtschaftsminister Philipp Rösler am 6. Juni nach der Kabinettssitzung vor die Berliner Journalisten trat, um die »weitreichenden Beschlüsse für eine Energiepolitik der Zukunft« zu erläutern, ließ er das Wort Energieeffizienz nicht einmal fallen.

Doch so viel steht fest: Ohne mehr Effizienz wird auch in Zukunft schmutzige Kohle unverzichtbar bleiben. Wenn Deutschland nicht spart, werden Windparks, Stromautobahnen und Stromspeicher nicht reichen, um die Nachfrage klimaverträglich zu decken. Ja, in dem Fall könnte sich sogar der »unumkehrbare« Atomausstieg als umkehrbar erweisen. Ein größerer Blackout – und schon sind die Atomfreunde wieder im Rennen. Wer die Effizienz verspielt, der will die Wende in Wirklichkeit nicht.

Die Energiewende als Luftnummer? Gut möglich. Unter dem Strich hat Schwarz-Gelb ohnehin nur den rot-grünen Atomausstieg von einst wieder eingeführt und ein wenig verschärft – mit dem Risiko, die Energiekonzerne dafür auf Kosten der Steuerzahler teuer entschädigen zu müssen. Sehr viel mehr ist nicht geschehen, schon gar nicht für mehr Effizienz, die doch von der Regierung schon im vergangenen Herbst zur »Schlüsselfrage« erhoben wurde. Angela Merkel kann also nicht sagen, sie hätte es nicht besser gewusst.

Fortschritt in Zwergengröße

Bewegung gibt es nur auf einem Feld, bei der Gebäudesanierung. Wer sein Haus besser dichtet oder mit sparsamer Technik versieht, der soll die Kosten dafür in Zukunft steuerlich abschreiben können. Auch kann er etwas mehr Fördergeld erwarten. Ein Fortschritt in Zwergengröße ist das. Die halbstaatliche Deutsche Energie-Agentur hat schon vor Jahren mehr für die Gebäudesanierung gefordert.

Etwas geschieht immerhin bei den Gebäuden, nichts beim Verkehr. Jedenfalls nichts Gutes. Die Regierung ist gegen ein allgemeines Tempolimit, obwohl sich damit mittelfristig erheblich Energie sparen ließe. Berlin steht regelmäßig auf der Bremse, wenn die EU die Obergrenze für den Klimagasausstoß von Autos europaweit senken will. Merkel und Co halten an Steuerregeln fest, die Dienstwagen ökologisch unsinnig fördern. Und ihr geplantes Energielabel für Autos lässt besonders schwere Fahrzeuge besonders gut wegkommen.

Die Regierung muss das Tempo verdoppeln

Aber jagt Deutschland nicht weniger durch den Schornstein als früher? Doch, gemessen an der Wirtschaftsleistung verringerte sich der Energieverbrauch im Durchschnitt der vergangenen zwanzig Jahre um 1,8 Prozent. Bloß lag das zum größten Teil am normalen technischen Fortschritt und daran, dass so manche Schwerindustrie abwanderte. Nur der kleinere Teil wurde wirklich erspart, so schätzt der Berliner Energieexperte Hans-Joachim Ziesing, nur der kleinere Teil ist darauf zurückzuführen, dass die Politik für förderliche Rahmenbedingungen sorgte.

Dennoch, weil die deutsche Wirtschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur spärlich wuchs, verbrauchen die Deutschen auch absolut gesehen heute etwas weniger als damals. Offiziell will die Bundesregierung aber viel mehr: nämlich den Verbrauch bis 2020 gegenüber 2008 um zwanzig Prozent verringern. Will sie das Ziel noch erreichen, muss sie in Sachen Effizienz das Tempo verdoppeln, sagt Hans-Joachim Ziesing – und das selbst schon bei einem geringen Wirtschaftswachstum von durchschnittlich einem Prozent. Dieses Jahr werden es wohl mehr als drei Prozent.

Und übrigens: Die Deutschen verheizen heute zwar weniger Öl und Gas, vom Strom aber verbrauchen sie sogar ein Zehntel mehr als vor zwanzig Jahren. Das ist ungut, sagt Berlin – und man beschloss in Anlage 3, dass das Zehntel wieder wegmüsse, und zwar binnen zehn Jahren. Wie es die Herausforderung zu stemmen gedenkt? Schweigen. Das zuständige Bundeswirtschaftsministerium reagiert nicht einmal auf die Frage nach der Strategie.

Die Frage ist, warum sich die Regierung so quält. Warum sie sich so schwertut, dem eigenen Einsehen Taten folgen zu lassen. Immerhin kann sie darauf verweisen, dass selbst Umweltverbände beim Kampf für mehr Effizienz kapitulieren. Sie organisieren Kampagnen gegen Atomkraft und Gentechnik, verkaufen, wie Greenpeace, sogar selbst Ökostrom und fordern selbstverständlich die Politik zum großen Sparen auf. Doch – leider, leider – ist das Thema nicht »kampagnentauglich«, sagt Roland Hipp, der zuständige Geschäftsführer bei Greenpeace Deutschland.

Über Energiesparen wird nicht geredet

Schon vor mehr als sechs Jahren wollten sie die Basis für eine Strategie und für Aktionen zum Sparen schaffen: Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe, der Naturschutzbund und der Worldwide Fund for Nature, das Umweltbundesamt und einige mehr trafen sich, um eine gemeinsame Effizienzkampagne zu entwickeln. »Ein Aufbruch, der das Energieintelligenz-Prinzip umfassend verankert, ist überfällig«, heißt es in ihrem schlauen Papier. Eine Kampagne erwuchs daraus nie. Seinen Text von damals nennt der Autor, Gerd Rosenkranz, heute ein »Papier mit Patina«. Als hätte er das Elend schon geahnt, schrieb er damals, die Debatte über Effizienz sei meist »zu Ende, bevor sie begonnen hat«. Ein fiktiver Dialog zwischen einem Schwarzen und einem Grünen zeigt, warum.

»Wir müssen energieeffizienter wirtschaften und leben«, sagt der Grüne. Antwortet der Schwarze: »Klar, das müssen wir – und außerdem müssen wir Kraftwerke bauen, wenn nicht Atomkraftwerke, dann eben jetzt Kohlekraftwerke.« – »Quatsch«, sagt der Grüne, »wir machen das mit Windrädern ...»

Und schon wird darüber diskutiert, wie mehr Energie zu beschaffen ist – statt übers Sparen, diese »Geschichte verpasster Chancen«, wie nun nicht etwa ein altvorderer Grüner schreibt, sondern die neue Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz.

Effizienzpolitik ist so sperrig, weil sie es nicht mit zwei oder zwanzig, sondern mit Hunderten von Produkten zu tun hat. Mit Pumpen, Lüftern und Motoren, mit Boilern und Lampen, mit Wohnhäusern, Bürogebäuden und Fabriken, mit Steckdosen und Ventilen, mit Waschmaschinen und Fernsehgeräten, mit Autos und mit Kraftwerken. Und so weiter.

Nahezu jedes Ding kommt auch mit weniger Energie zurecht. Jedes, genau das ist das Problem. Windräder sind Leuchttürme des grünen Stroms – aber was sind Leuchttürme der Energieeffizienz?

Alle reden von der Ökodiktatur

Hinzu kommt: Effizienzpolitik lässt etwas verschwinden, was vorher da war, ein Kraftwerk zum Beispiel oder einen Tanklastwagen, der seltener zum Auffüllen der Ölvorräte im Heizungskeller vorfahren muss. Verschwundenes ist aber untauglich als Beleg für Erfolg. Stattdessen wecken die Kämpfer für Effizienz noch neue Ängste. Weniger Energie? Da muss das Bier doch warm und die Stube kalt bleiben. Rationierung ist das. Ökodiktatur!

Diktatur? In anderen Lebensbereichen klagt niemand über diktatorisches Gehabe. Dabei pflastern Tausende Verkehrsschilder, Bauvorschriften und Steuerparagrafen den Alltag und sorgen für Kosten, die freiwillig kaum jemand tragen würde. Eine Flugreise beginnt heute fast mit einem öffentlichen Striptease. Aber wenn es um einen vernünftigen Umgang mit Energie geht, ist schnell von Zwang die Rede. Als der EU-Energiekommissar Günther Oettinger kürzlich seine Effizienzrichtlinie vorstellte, berichtete dpa über das »Energiespar-Diktat der EU«. Punkt.

Neugeräte sparen Strom

Bloß geht es nicht ohne Effizienz. Sie ist billig, umweltverträglich und sofort nutzbar. 21 Millionen alte Heizungspumpen in Wohngebäuden durch moderne Pumpen zu ersetzen spart 8,4 Milliarden Kilowattstunden ein, fast so viel, wie ein Kernkraftwerk produziert. Effiziente Elektromotoren in Industrie- und Gewerbebetrieben ermöglichen bis 2020 sogar den Verzicht auf 27 Milliarden Kilowattstunden. Und knapp 30 Millionen Kühlgeräte, die älter als zehn Jahre sind, durch effiziente Neugeräte zu ersetzen, macht laut Industrieangaben noch einmal mehr als acht Milliarden Kilowattstunden überflüssig. Wie lassen sich in elf Jahren neun Atomkraftwerke überflüssig machen? »Das geht leichter als bislang angenommen«, hieß es neulich in Focus-Money.

Nun ja, der Sachverständigenrat für Umweltfragen pocht seit einem Vierteljahrhundert auf Effizienz. Vier Enquete-Kommissionen des Bundestages machten konkrete Vorschläge. Doch keine Regierungskoalition, keine Große und keine sozialliberale, keine schwarz-gelbe und keine rot-grüne, machte sich die Sache zu eigen.

Zwar gibt es Paragrafenwerke wie das »Gesetz über Energiedienstleistungen und andere Energieeffizienzmaßnahmen« von Ende 2010. Es erschöpft sich aber weitgehend darin, Energielieferanten zu verpflichten, ihre Kunden einmal pro Jahr mit »Kontaktinformationen« zu versorgen. Mit Telefonnummern oder Adressen von Organisationen, »von denen sie Angaben über angebotene Energieeffizienzmaßnahmen erhalten können«. Blendwerk, mehr nicht.

Der Staat muss Sparanreize geben

Das war vor dem neuerlichen Atomausstieg. Und jetzt? Der Ende Juni von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag für eine Effizienzrichtlinie ist in letzter Minute auf Drängen der Deutschen verwässert worden. Der Markt soll es richten, das ist die Philosophie des Hauses Rösler, die von der Wirklichkeit längst widerlegt ist. Das gleicht einem Boykott durch ein Amt, von dessen 17 Energiereferaten sich ganze zwei mit Effizienz befassen, der »Schlüsselfrage«!

Sparen müssen Bürger und Unternehmen, aber der Staat muss dafür sorgen, dass sich effiziente Geräte schneller durchsetzen. Mit Labeln und mit Produktstandards zum Beispiel. Ausgehandelt werden sie in Brüssel, und obwohl deutsche Hersteller für ihre energieeffizienten Produkte bekannt sind, hemmt das Wirtschaftsministerium die EU lieber und überlässt die Vorreiterrolle den Niederländern, Dänen und Schweden, sagt Stefan Scheuer, Energie-Consultant in Brüssel.

Eine geschichte gebrochener Versprechen

Aber jetzt. Jetzt hat Berlin den Klimafonds. Drei Milliarden sollen da von 2013 an fließen. Bloß – wofür? 500 Millionen Euro will die Regierung Betrieben zum Ausgleich steigender Strompreise überweisen; das spart keine Kilowattstunde. Mit 300 Millionen Euro will sie die Elektromobilität fördern; das sorgt sogar für mehr Stromverbrauch. Der eigentliche Energieeffizienzfonds soll ebenfalls mit 300 Millionen ausgestattet werden – darin enthalten: Zuschüsse für den Bau moderner Kraftwerke. Bis zu 15 Prozent der Investitionskosten sind erlaubt. Gut möglich, dass am Ende selbst von den mickrigen 300 Millionen Euro fürs Sparen fast nichts übrig bleibt.

Es wäre die Fortsetzung einer Geschichte gebrochener Versprechen. Es wäre die Offenbarung.

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