Auch 2017 Kanzlerkandidatin CDU-Konservative hängen an Merkel

Angela Merkel hält sich auch an ihrem heutigen Geburtstag zu ihrer politischen Zukunft bedeckt. In der CDU hofft man, dass sie noch lange Kanzlerin bleibt. Die Wirtschaft fordert für diesen Fall umfassende Reformen.

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Angela Merkel: Auch nach 2017 noch Kanzlerin? Quelle: AFP

Berlin Wenn der Konstanzer Historiker Jürgen Osterhammel am heutigen Donnerstag im Konrad-Adenauer-Haus ans Pult schreitet, wird er nicht nur einen Vortrag mit dem etwas sperrigen Titel „Vergangenheiten: Über die Zeithorizonte der Geschichte“ halten. Er leistet auch einen wichtigen Beitrag zum gewünschten Image von Angela Merkel.

Zum 50. Geburtstag hatte die CDU-Vorsitzende noch einen Hirnforscher reden lassen, weil sich die ostdeutsche Protestantin nicht groß feiern lassen wollte. Zum 60. Geburtstag ist die subtile Botschaft nach außen: Auch nach achteinhalb Jahren Regierungszeit ist Merkel immer noch dieselbe. Andere mögen rauschende Partys geben. Die Physikerin dagegen will, dass sie und ihre Gäste etwas lernen.

Doch der Eindruck reiner Kontinuität und professoraler Biederkeit täuscht. Denn nach einem halben Jahr ihrer dritten Amtszeit als Regierungschefin prägen zwei andere Aspekte das Bild der ersten deutschen Kanzlerin: Zum einen erhält sie auf internationalem Parkett einen unverkennbaren Star-Status. Weil die Innenpolitik derzeit vor allem aus der Umsetzung eines detailliert vereinbarten Koalitionsvertrages besteht, rätseln viele, was sie bis 2017 in Europa und der Welt vorhat.

Zum anderen wabert seit der Bundestagswahl eine Nachfolgedebatte durch die Republik. Und die, so räumen auch ihre Mitarbeiter und Parteifreunde ein, dürfte sie nicht mehr loslassen – schon weil niemand weiß, wie lange Merkel eigentlich im Amt bleiben möchte. Dabei gibt es immer mehr Hinweise, dass sie gerade aus der Außenpolitik eine längerfristigere Perspektive ableitet – auch für ihre Kanzlerschaft. Geht es nach den Konservativen in ihrer Partei, dann bleibt Merkel noch lange Regierungschefin.

Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im sächsischen Landtag, Steffen Flath, äußerte jedenfalls die Hoffnung, dass seine Partei auch bei der nächsten Bundestagswahl mit Merkel als Kanzlerkandidatin ins Rennen geht. Merkel sei zweifellos eine der profiliertesten Persönlichkeiten in der deutschen Politik. „Unter ihrer Führung hat sich Deutschland in den letzten Jahren wieder zu einer starken und einflussreichen Nation in Europa und in der Welt entwickelt“, sagte der Mitgründer des konservativen Berliner Kreises in der CDU Handelsblatt Online. „Es gibt für mich keinen Zweifel, dass Angela Merkel auch für die Bundestagswahl 2017 eine sehr gute Wahl als Regierungschefin wäre.“

Ähnlich äußert sich der Vorsitzende der Jungen Gruppe der Unions-Bundestagsfraktion, Steffen Bilger (CDU). „Die Umfragewerte sind eine tolle Bestätigung für unsere Kanzlerin. Auch wenn in den Medien viel über die Nachfolge von Angela Merkel diskutiert wird, stellt sich diese Frage parteiintern gar nicht“, sagte Bilger Handelsblatt Online. „Sie ist für vier Jahre gewählt und geht jeden Tag motiviert ihrer Arbeit nach.“


Wirtschaftsverbände drängen Merkel zu Reformen

Dann aber müsste Merkel auf etlichen Politikfeldern neue Akzente setzen. In diese Richtung äußerten sich Spitzenvertreter der Wirtschaft. So warf der Präsident des Familienunternehmerverbands, Lutz Goebel, Merkel Untätigkeit bei zentralen Themen vor. „Deutschland wird sich nicht weiter auf den guten Ergebnissen vergangener Entscheidungen ausruhen können“, sagte Goebel Handelsblatt Online. „Die Große Koalition muss Impulse setzen, um sich den Herausforderungen unserer Zeit, wie beispielsweise einer alternden und abnehmenden Bevölkerung, zu stellen.“ Die Weichen dafür seien mit dem Rentenpaket „in die komplett falsche Richtung gestellt“ worden.

Aus Goebels Sicht kann das umlagefinanzierte Sozialsystem bei demografischen Schwierigkeiten auf Dauer nicht funktionieren. „Ihm müssen umgehend kapitalgedeckte Elemente zu Seite gestellt werden“, sagte er. „Auch müssen wir weg davon, dass die Finanzierung der Sozialsysteme immer nur zu Lasten des Faktors Arbeit geht. Dies wäre eine Reformagenda für eine Große Koalition.“

Umfassende Reformen fordert auch der Präsident des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft (BVMW), Mario Ohoven. „Frau Merkel sollte die Chance nutzen, nicht nur als Rekordkanzlerin, sondern auch als Reformkanzlerin in die Geschichtsbücher einzugehen“, sagte Ohoven Handelsblatt Online. „Ein Reformprogramm der Kanzlerin ist überfällig.“

Nicht ohne Grund hätten sich die aktuellen Konjunkturdaten eingetrübt. „Rentenpaket und Mindestlohn bürden den Unternehmen zusätzliche Lasten in Milliardenhöhe auf“, sagte Ohoven weiter. Und das, obwohl laut OECD der Anteil von Steuern und Abgaben an den Arbeitskosten in Deutschland heute schon fast 50 Prozent ausmachten. In den USA betrage der Anteil nur etwa 30 Prozent. „Das vorrangige Ziel eines Reformprogramms muss daher eine Senkung der Steuer- und Abgabenlast für Betriebe und Bürger sein.“


Gerüchte über vorzeitigen Merkel-Abschied

Als wesentliche Elemente einer Steuerreform nannte Ohoven den Abbau der kalten Progression, die Steuerfreistellung aller im Betrieb verbleibenden Gewinne, eine steuerliche Forschungsförderung für innovative Mittelständler und die Abschaffung der bürokratischen Erbschaftsteuer zur Sicherung der Unternehmensnachfolge. „Dank der für die kommenden Jahre erwarteten Rekordsteuereinnahmen sind steuerliche Entlastungen möglich, ohne das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts zu gefährden“, sagte der Mittelstandspräsident.

Als zweiten zentralen Punkt nannte Ohoven eine Reform des Bildungssystems. „Der Mittelstand leidet akut unter dem Fachkräftemangel“, klagte er. Gleichzeitig machten immer weniger Jugendliche eine Ausbildung: Auf 2,51 Millionen Studierende kämen 1,98 Millionen Azubi. „Natürlich braucht der Mittelstand auch Akademiker, aber viel mehr noch gut ausgebildete Facharbeiter“, konstatierte Ohoven. Das Problem sei zum Teil hausgemacht, denn seit der Bologna-Reform gelte bei in Deutschland ein Hochschulstudium als das Maß aller Dinge. „Deshalb muss unser weltweit kopiertes Erfolgsmodell der dualen Ausbildung wieder attraktiver werden, beispielsweise durch eine Modularisierung der Ausbildung und bessere Berufsorientierung“, sagte Ohoven.

Allerdings kursieren Gerüchte, dass Merkel der deutschen Politik den Rücken kehren könnte. Verschiedene Medien haben in den vergangenen Monaten fast alle Varianten eines angeblich geplanten Wechsels der CDU-Chefin auf die internationale Ebene durchgespielt – von der EU-Kommissionspräsidentin über die EU-Ratspräsidentin bis zur Uno-Generalsekretärin wurde sie für alle möglichen Posten gehandelt. Am Wochenende wiederholte der „Spiegel“ die Spekulationen und fügte das Motiv Amtsmüdigkeit hinzu. Merkel dementierte sofort erneut jeden Ausstieg vor 2017 und einen Wechsel zu den Vereinten Nationen. „Das wird mit Sicherheit nicht passieren“, sagte sie im ZDF.

Die Frage ist aber, was sie eigentlich will und wohin sie will. Merkel sagt auch dazu nichts. Immerhin: In punkto Verschwiegenheit bleibt sie sich treu. Ihr Schweigen hat sie weit gebracht. Früher bezeichnete FDP-Chef Philipp Rösler Merkel als „Mutti des Kabinetts“. Heute erscheint sie zunehmend als „Mutti der Welt“. Denn sie hat nicht nur die männlichen CDU-Granden politisch überlebt, sondern auch fast alle Staats- und Regierungschefs in der EU und großer Länder weltweit.


In etlichen CDU-Landesverbänden gärt es

Früher holte sich Merkel noch Rat von erfahrenen Männern, etwa dem mittlerweile aus dem Amt geschiedenen indischen Präsidenten Manmohan Singh oder dem 2013 abgetretenen chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao. Heute ist oft sie es, die um Rat gefragt wird, weil sie länger im Amt ist als ihre Gesprächspartner.

Innenpolitisch pflegt Merkel regelmäßig den Kontakt zu den Menschen auf der Straße. Schon 2012 startete sie einen Bürgerdialog, um ein Gefühl für Stimmung und Themen deutscher Wähler zu bekommen. 2015 ist die nächste Phase geplant. Und um die Waage zwischen dem Koalitionspartner SPD und dem Wirtschaftsflügel der Union zu halten, muss die CDU-Vorsitzende ständig und überall vermitteln. Denn die Stimmung in der Koalition ist trotz einer großen Mehrheit im Bundestag eher fragil. In der SPD stellt man sich zunehmend die Frage, was die Große Koalition bringt, wenn man trotz der Umsetzung eigener Leib- und Magenthemen bei niedrigen Umfragewerten verharrt.

Führende Christdemokraten dagegen verweisen darauf, dass es fernab von Berlin in etlichen Landesverbänden gärt, weil die Union mit ihrem Wahlergebnis von 41,5 Prozent nicht präsent genug sei. „Kompassnadeln können durch Irritationen von außen aus der Bahn geworfen werden“, warnte etwa der Chef des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk. „Die SPD ist ein solch irritierender Faktor.“ Dann wirft er der Kanzlerin vor, dass sie immer mehr staatliche Eingriffe hinnehme. „Mit Verlaub: Soziale Marktwirtschaft geht anders.“

Merkel kontert solche Vorwürfe etwa beim Sommerfest des Parlamentskreises Mittelstand wie früher weniger mit inhaltlichen Argumenten, sondern mit dem schlichten Hinweis auf eine „Alternativlosigkeit“. Denn nach der Bundestagswahl habe man eben nur ein Bündnis mit der SPD schmieden können – dafür müsse man Kompromisse hinnehmen.

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