Ausblick Finanzkrise: Wer gewinnt und wer verliert

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Finanzplatz Frankfurt: Die Gefahr, dass das System kollabiert, war zu groß. Quelle: dpa

Allerdings ist das ein großes Risiko. Denn wie begrenzt tatsächlich der Einfluss des Staates ist, zeigen die Blicke auf die Börsentafeln der Welt. Nach Bekanntgabe der konzertierten Rettungsaktionen der Euroraum-Länder und Großbritanniens mit einem Volumen von annähernd einer Billion Euro sprang beispielsweise der Dax-Leitindex der 30 größten Aktienwerte an der Frankfurter Börse zwar Anfang voriger Woche um gut elf Prozent in die Höhe – nachdem der Dax-Index in der Vorwoche um knapp 23 Prozent in den Keller gesaust war.

Doch schon am Mittwoch – in Berlin feierten sich die Politiker als Retter des Finanzsystems mit einem 500-Milliarden-Euro-Paket – brachen der Dax und mit ihm alle anderen Leitindizes auf der Welt wieder ein. Zwar mögen die Politiker die Vertrauenskrise des Bankensystems mit dem Rettungspaket bewältigen. Nun aber tritt wieder die konjunkturelle Entwicklung der so- genannten „Real“-Wirtschaft in den Vordergrund – und hier sind staatliche Konjunkturprogramme seit jeher machtlos.

Schon vor dem letzten Fieberschub der Finanzmarktkrise deuteten die Konjunkturindikatoren nach unten, auch wenn kein Politiker das R(ezessions)-Wort in den Mund nahm. Nun sagen es die führenden Wirtschaftsinstitute selbst. „Deutschland am Rande einer Rezession“ lautet der Titel ihres Herbstgutachtens, das sie an vorigen Dienstag in Berlin vorstellten. Nur noch 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum prognostizieren die Wissenschaftler für die deutsche Wirtschaft im nächsten Jahr. Auch ein Minus wollen sie nicht ausschließen.

Selbst innerhalb von Unternehmen gehen die Entwicklungen auseinander, sagt Carl Martin Welcker von der Kölner Firma Schütte. Rund 80 Prozent aller Autozündkerzen weltweit werden auf Mehrspindeldrehautomaten von Schütte hergestellt. In dieser Sparte verzeichnet Welcker in diesem Jahr gegenüber 2007 einen Einbruch von 25 Prozent – als Folge der schlechten Lage in der Automobilindustrie. Entlassungen sind bei Schütte nicht geplant. „Als Familienunternehmen denken wir langfristig“, erklärt Welcker, „und außerdem haben wir eine starke Beziehung zu unseren Mitarbeitern.“ Eher überlegt sich Welcker, wie er die weltweite Krise im Automobilbau nutzen kann, um seinen Marktanteil auszubauen.

So denken viele Mittelständler in diesen Tagen, bestätigt Wittenstein vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA): „Jetzt werden Marktanteile neu verteilt, und wir wollen hinzugewinnen.“ Die deutsche Industrie befinde sich mit ihrer innovativer Produktvielfalt in einer guten globalen Wettbewerbsposition.

Eine Wende zum Schlechteren

Deutschland profitiert von den vielen mittelständischen Familienunternehmen, die nie den „gigantischen Unfug mit Finanzspekulationen“ (Wittenstein) mitgemacht haben. Stützend wirkt auch die Industrie, von der sich Deutschland entgegen dem allgemeinen Trend vieler Länder zur postindustriellen Gesellschaft nicht verabschiedet hat. Nun lassen sich die Konjunktureinbrüche leichter verkraften als in den USA oder Großbritannien, wo die Bankenkrise die gesamte Wirtschaft ungleich stärker nach unten reißt.

Natürlich gibt es auch in Deutschland Verlierer. Dazu zählen konsumnahe Branchen – wie die Autohersteller. Einzelhandel und Handwerk leiden unter der Verunsicherung bei den Bürgern, die nun erst recht ihr Geld beisammenhalten.

Für den Arbeitsmarkt verheißt das nichts Gutes. Dieser reagiert traditionell mit Verzögerung von rund sechs Monaten auf die Konjunktur-Entwicklung. Da das BIP bereits im zweiten Quartal einbrach, muss für das Winterhalbjahr 2008/09 mit einer Wende zum Schlechteren auf dem Arbeitsmarkt gerechnet werden. Sollte die Wirtschaft im nächsten Jahr tatsächlich stagnieren, wird auch die Arbeitslosigkeit drastisch und schnell zunehmen.

Vielleicht kommen die Beschäftigten jedoch mit einem blauen Auge davon. Denn ungeachtet der absehbaren Konjunktureintrübung stellen die Unternehmen nach wie vor ein, steigt die Zahl der neuen Ausbildungsverträge auf Rekordniveau. Der Grund: Viele Unternehmen haben nach wie vor dicke Auftragspolster, die abgearbeitet werden müssen. Hinzu kommen die Lehren aus der letzten Krise Anfang des Jahrzehnts, als sich die Wirtschaft mit Abfindungen vieler Mitarbeiter entledigte, die sie danach gleich wieder einstellen musste.

Auf eine rasche Normalisierung darf die Finanzwirtschaft hingegen nicht hoffen. Klar ist: Eigenkapitalrenditen von 25 oder mehr Prozent gehören erst einmal der Vergangenheit an. Vor allem im Investmentbanking sind die goldenen Zeiten vorbei. Das Verbriefungsgeschäft, der Ausgangspunkt der Krise, wird wohl nie wieder die gekannten Dimensionen erreichen. Aber auch andere Segmente wie Unternehmensübernahmen und Börsengänge finden nur in bescheidenem Umfang statt. Im Fokus steht nun das in der Vergangenheit oft vernachlässigte Filialgeschäft mit Privat- und Firmenkunden. Das also, was die Sparkassen seit jeher als Brot- und Buttergeschäft betreiben.

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