Und wie soll das gehen?
Anders als früher kann sich Deutschland die Ordnung nicht mehr von anderen Staaten einkaufen – sondern muss selber aktiv werden. Das heißt: Strategien entwickeln, Europa stärken – aber auch militärisch zulegen.
Das könnte teuer werden.
Teuer wird es so oder so. Um eine Ordnung aufrecht zu erhalten, muss man ständig in sie investieren, da gibt es keine Pause. Das fängt bei der EU an: Die müssen wir kontinuierlich reformieren. Und in die Nato müssen wir beständig investieren. Natürlich ist das teuer – und natürlich ist das unangenehm. Aber es gibt keine Alternative mehr. Deutschland ist zu stark geworden – und viele andere Länder sind zu schwach.
Sie fordern von Deutschland ein stärkeres Engagement in der Außenpolitik. Gibt es innenpolitisch nicht schon genug für die Regierung zu tun?
Das ist eine Milchmädchenrechnung. Außenpolitik und Innenpolitik sind immer miteinander verwoben. Es gibt kaum noch Themen, bei denen man da eine rote Linie ziehen könnte. Nehmen Sie zum Beispiel Syrien: Da hatte ein außenpolitisches Versagen knallharte innenpolitische Folgen. Oder Russland: Der Kreml greift massiv in die deutsche Innenpolitik ein. Wer sich nun zurücklehnt und sich auf die Innenpolitik besinnt, begeht einen schweren Fehler.
Probleme im deutsch-türkischen Verhältnis
Im Juni 2016 beschließt der Bundestag eine Resolution, die die Gräuel an den Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren als Völkermord einstuft. Die Türkei reagiert erbost und unter anderem mit dem Besuchsverbot für Incirlik. Kanzlerin Angela Merkel erklärt Anfang September, die Resolution sei rechtlich nicht bindend - aus Sicht Ankaras die geforderte Distanzierung von dem Beschluss. Das Besuchsverbot wird aufgehoben, doch vergessen ist die Resolution nicht.
Die Türkei hat sich verärgert darüber gezeigt, dass sich nach dem gescheiterten Putsch keine hochrangigen Mitglieder der Bundesregierung zum Solidaritätsbesuch haben blicken lassen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) plant zwar einen Besuch, der aber immer noch nicht stattgefunden hat. Der türkische EU-Minister Ömer Celik kritisiert, stattdessen seien aus Deutschland vor allem Mahnungen zur Verhältnismäßigkeit gekommen: „Bei hundert Sätzen ist einer Solidarität mit der Türkei, 99 sind Kritik.“
Ankara droht immer wieder damit, die Zusammenarbeit mit der EU in der Flüchtlingskrise aufzukündigen. Hintergrund ist unter anderem eine EU-Forderung, die Türkei müsse Anti-Terror-Gesetze reformieren, damit diese nicht politisch missbraucht werden. Ohne diese Reform will die EU die Visumpflicht für Türken nicht aufheben - ohne Visumfreiheit aber fühlt sich Erdogan nicht an die Flüchtlingsabkommen gebunden.
Auf Betreiben Erdogans beschließt das türkische Parlament, vielen Abgeordneten die Immunität zu entziehen. Betroffen ist vor allem die pro-kurdische HDP, die Erdogan für den verlängerten Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK hält. Parlamentariern droht Strafverfolgung - für Merkel „Grund tiefer Besorgnis“. Apropos PKK: Ankara fordert ein härteres Vorgehen gegen PKK-Anhänger in der Bundesrepublik, wo die Organisation ebenfalls verboten ist.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem Putschversuch und dem anschließend verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Seitdem sind Dutzende weitere Medien geschlossen worden. Für Aufregung sorgt zudem, dass der türkische Sportminister Ende September die Aufnahme eines Interviews mit der Deutschen Welle konfiszieren lässt. Die Deutsche Welle klagt auf Herausgabe.
Ankara fordert von Deutschland die Auslieferung türkischer Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, den die Regierung für den Putschversuch von Mitte Juli verantwortlich macht. Neuer Streit ist damit programmiert.
Was passiert mit der westlichen Ordnung, wenn Deutschland seine Rolle nicht findet?
Dann entsteht ein geopolitisches Vakuum in der Mitte Europas. Dann ist die reichste Nation der EU ein strategischer Ausfall. Soweit darf es nicht kommen. Aber danach sieht es derzeit auch nicht aus. Deutschland übernimmt in vielen Bereichen bereits Verantwortung. Allerdings muss das noch deutlich stärker werden, denn die Lage spitzt sich zu. Deutschland muss ambitionierter werden – und als kluger Anführer auftreten. Nicht als Muskelprotz, sondern als Diener, der die eigenen Interessen auch mal zurückstellt.