Außenpolitik Türkei und Russland sind "ungleiche Partner"

Die Türkei braucht den Westen, Russland will ein Gegenmodell aufbauen. Die Staatschefs treffen nun aufeinander. Es ist ein Zweckbündnis, sagt Politikwissenschaftler Jan Techau. Aber Deutschland muss seine Rolle finden.

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Erdogan und Putin schmieden Allianz. Deutschland muss seine Rolle finden. Quelle: imago images

WirtschaftsWoche: Herr Techau, am Mittwoch empfängt Wladimir Putin den türkischen Staatschef Erdogan in Sotschi. Bahnt sich da eine antiliberale Allianz gegen den Westen an?
Jan Techau: Ich glaube, das ist eher ein Zweckbündnis auf Zeit. Die Türkei und Russland sind zwei ungleiche Partner, teilweise sogar Rivalen. Putin hat ganz klar das Ziel ausgegeben, die liberale Ordnung zu unterminieren. Er baut sein Russland als Gegenmodell zum Westen auf. Bei Erdogan hört man solche antiliberalen Töne auch. Aber er braucht den Westen auch. Ihm geht es mehr um die Machtsicherung zuhause.

Dafür nimmt er die Zerstörung des Rechtsstaats in Kauf.
Ja, das ist erschreckend. Aber wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen, alle Beziehungen zur Türkei abzubrechen. Auch wenn Erdogans Politikstil absolut nichts mehr mit unserem Wertekanon zu tun hat, sollten wir versuchen, eine einigermaßen belastbare Verbindung zur Türkei zu behalten.

Und dafür zum Beispiel die Inhaftierung von Deniz Yücel ignorieren?
Nein, auf keinen Fall. Hier sind klare Worte unabdingbar. Es braucht die richtige Balance zwischen Kritik und Nähe. Wir benötigen die Türkei in vielen Gebieten noch: Flüchtlinge, Wirtschaft, Nato. Sicherlich ist es derzeit einfach, sich über Erdogan zu empören. Aber es wird auch eine Zeit nach Erdogan geben. Und wenn wir jetzt die Verbindungen kappen, servieren wir die Türkei Russland auf dem Silbertablett.

Zur Person

Russland ist also unser größter Rivale?
Russland ist kein Rivale, aber Russland strebt eine Rolle als Veto-Macht in Europa an. Das können wir nicht zulassen. Wir haben es mit einem Land zu tun, das sich gegen das westliche Modell stellt – und dazu noch den Energiehebel hat. Russland arbeitet gezielt daran, illiberale Parteien in Europa zu unterstützen. Das alles ist höchst problematisch.



Viele Politiker bedienen sich der Strategie, mit Außenpolitik von innenpolitischen Pleiten abzulenken.
In Deutschland sehe ich diese Gefahr nicht. Kein Kanzler hat so etwas in der Geschichte der Bundesrepublik getan. Das machen eher Diktatoren oder Autokraten. Auch in den USA gibt es diese Versuchung. Denn US-Präsidenten sind traditionell innenpolitisch schwach, aber außenpolitisch sehr mächtig. In Deutschland steckt man außenpolitisch lieber den Kopf in den Sand. Genau das aber darf Deutschland nicht mehr tun.

Sondern?
Deutschland muss sich überlegen, welche Weltordnung es haben will. Die Bundesrepublik lebt in einem Dilemma: Unser wirtschaftlicher Erfolg hängt von der liberalen, westlichen Grundordnung ab – aber die können wir selbst nicht garantieren. Zumindest nicht allein. Trotzdem muss diese Ordnung intakt bleiben, damit Deutschland prosperieren und in Frieden leben kann. Wir müssen uns also überlegen, wie wir  Ordnung produzieren können, anstatt sie bloß zu konsumieren.

Stärkeres Engagement in der Außenpolitik

Und wie soll das gehen?
Anders als früher kann sich Deutschland die Ordnung nicht mehr von anderen Staaten einkaufen – sondern muss selber aktiv werden. Das heißt: Strategien entwickeln, Europa stärken – aber auch militärisch zulegen.

Seit vielen Jahren waren die türkisch-deutschen Beziehungen nicht so schlecht wie heute. Dabei sind die unzähligen persönlichen Verbindungen zwischen beiden Ländern ein großes Kapital.
von Philipp Mattheis

Das könnte teuer werden.
Teuer wird es so oder so. Um eine Ordnung aufrecht zu erhalten, muss man ständig in sie investieren, da gibt es keine Pause. Das fängt bei der EU an: Die müssen wir kontinuierlich reformieren. Und in die Nato müssen wir beständig investieren. Natürlich ist das teuer – und natürlich ist das unangenehm. Aber es gibt keine Alternative mehr. Deutschland ist zu stark geworden – und viele andere Länder sind zu schwach.

Sie fordern von Deutschland ein stärkeres Engagement in der Außenpolitik. Gibt es innenpolitisch nicht schon genug für die Regierung zu tun?
Das ist eine Milchmädchenrechnung. Außenpolitik und Innenpolitik sind immer miteinander verwoben. Es gibt kaum noch Themen, bei denen man da eine rote Linie ziehen könnte. Nehmen Sie zum Beispiel Syrien: Da hatte ein außenpolitisches Versagen knallharte innenpolitische Folgen. Oder Russland: Der Kreml greift massiv in die deutsche Innenpolitik ein. Wer sich nun zurücklehnt und sich auf die Innenpolitik besinnt, begeht einen schweren Fehler.

Probleme im deutsch-türkischen Verhältnis

Was passiert mit der westlichen Ordnung, wenn Deutschland seine Rolle nicht findet?
Dann entsteht ein geopolitisches Vakuum in der Mitte Europas. Dann ist die reichste Nation der EU ein strategischer Ausfall. Soweit darf es nicht kommen. Aber danach sieht es derzeit auch nicht aus. Deutschland übernimmt in vielen Bereichen bereits Verantwortung. Allerdings muss das noch deutlich stärker werden, denn die Lage spitzt sich zu. Deutschland muss ambitionierter werden – und als kluger Anführer auftreten. Nicht als Muskelprotz, sondern als Diener, der die eigenen Interessen auch mal zurückstellt.

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