Außenpolitik Warum Deutschland in der Welt aktiver werden muss

Als Wirtschaftsmacht wird von Deutschland zunehmend auch internationales Engagement erwartet. Die Politik scheint diese Rolle annehmen zu wollen - doch die Bürger sind skeptisch. Was ist zu tun?

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Deutschlands Zurückhaltung in der Außenpolitik Quelle: Getty Images

Die Idylle auf dem G7-Gipfel auf Schloss Elmau hätte kaum größer sein können – und das lag nicht nur an dem Bergmassiv, das sich hinter dem Tagungsort majestätisch erhob. Trotz einiger Meinungsverschiedenheiten haben die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten Industrieländer ihre Gemeinsamkeiten betont. In der Klimapolitik hat man sich gar auf ambitionierte Ziele geeinigt.

Gastgeberin Angela Merkel zeigte sich zufrieden, sie konnte sich als Macherin positionieren. Ihre Initiativen – wie auf dem G7-Gipfel – werden beachtet, international ist kaum umstritten, dass Deutschland auf einigen Feldern mehr Führung übernimmt.

Die Krise in der Ukraine, der Kampf gegen den IS im Nahen Osten, die Euro-Krise: Deutschland ist außenpolitisch gefragt, die Erwartungen der anderen Staaten sind gestiegen, aber abseits des G7-Gipfels möchte die Bundesrepublik keine Führungsrolle übernehmen. Zu Recht? Oder sollte Deutschland aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke mehr politische Verantwortung übernehmen und außenpolitisch aktiver werden?

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„Die Rolle Deutschlands in der Welt ist ambivalent,“ sagt Christian Hacke, Politikwissenschaftler und Experte für Außen- und Sicherheitspolitik von der Universität Bonn. Auf der einen Seite sei Deutschland wirtschaftlich in jedem Fall eine Weltmacht – auf Augenhöhe mit den USA und China, aber politisch fehle es an einer klaren Linie, vor allem militärisch. Das Problem liege in der halbhegemonialen Stellung. Konkret heißt das: Deutschland ist zu groß, um ein Player von gleichen unter gleichen zu sein, aber zu klein, um zu führen.

Hinzukommen schlechte historische Erfahrungen, die Einsätzen des Militärs einen faden Beigeschmack verleihen, deshalb hält sich Deutschland aus den meisten militärischen Interventionen raus und lässt die anderen, vor allem die USA, Großbritannien und Frankreich machen. „Für das geostrategische Denken ist das alles weniger positiv: Deutschland setzt auf eine Trittbrettfahrermentalität – und geht nicht voran,“ kritisiert Hacke.

„Wir sind eine Zivilmacht ohne Zivilcourage,“ sagt er weiter und nimmt dafür die Libyen-Krise als Beispiel. „Nie wieder Libyen“ heißt auch das informelle Motto des außenpolitischen Wandels, der durch Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen 2014 angestoßen wurde. Während Frankreich, Großbritannien und die USA 2011 einig waren, eine Flugverbotszone einzurichten, stand Deutschlands abseits, fast isoliert – und enthielt sich in einer Abstimmung bei den Vereinten Nationen.

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Aber ein Nicht-Einmischen bedeutet trotzdem Verantwortung zu übernehmen, wenn auch nicht militärisch. Denn diese Interventionen sind nicht immer sinnvoll – und lösen auch selten einen Konflikt, wichtiger ist die Diplomatie. Und das ist Deutschlands große Stärke: Was Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Krisenherden in Europa und auch in der Welt macht, ist knallharte Geopolitik: Sie reiste nach Minsk, um direkt mit den Präsidenten der Ukraine und Russlands zu verhandeln, trifft in Brüssel bei einem Dreier-Gipfel auf Frankreichs Präsident, Hollande und und Griechenlands Ministerpräsidenten Alexis Tsipras – kurz: Sie ist die zentrale Figur in der Euro-Krise – und auch US-Präsident Obama lobte: „Wenn es zum Erfolg [in der Ukraine-Krise] kommen wird, dann wird das sicherlich auch mit der außerordentlichen Geduld und den Anstrengungen von Bundeskanzlerin Merkel und ihres Teams zu tun haben.“ Mehr und mehr kommt ihr die Rolle einer geschickten Außenpolitikerin zu, ohne die in keiner der Krisen etwas „läuft“ – und das liegt nicht zuletzt an ihrer ruhigen und unaufgeregten Art, mit der sie versucht, die richtigen Akzente zu setzen.

Sinnvolle, neue Strategie?

Das ist zunächst einmal gut für Deutschlands Rolle in der Welt. Die Probleme liegen an anderer Stelle: Obwohl sich eine Mehrheit der Deutschen für die Außenpolitik interessiert, nimmt der Stellenwert der Nato und anderer Bündnisse deutlich ab – und mit Militäreinsätzen ist weder im Kriegsgebiet noch bei den Wählern etwas zu gewinnen. Diese Diskrepanz zeigt sich auch deutlich in einer Studie, die in der vergangenen Woche das US-Instituts Pew Research Center veröffentlicht hat. Daraus geht hervor, dass das Vertrauen der Deutschen in die Nato sinkt und eine Mehrheit einem östlichen Bündnispartner nicht gegen einen Angriff Russlands militärisch beistehen würde.

Wenn Russland „in einen ernsthaften militärischen Konflikt“ mit einem östlichen Nato-Land eintreten würde, dann wären der Umfrage zufolge nur 38 Prozent der Deutschen für den Einsatz der Bundeswehr. Von den US-Amerikanern wären 56 Prozent für einen Militäreinsatz auf Seiten des Bündnispartners, von den Polen 48 Prozent.

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Nur noch 55 Prozent der befragten Bundesbürger sehen der Pew-Untersuchung zufolge das nordatlantische Verteidigungsbündnis positiv. 2009 waren es noch 73 Prozent. Im Osten Deutschlands sind die Nato-Kritiker sogar in der Mehrheit: Nur 43 Prozent haben eine gute Meinung von der Allianz, 46 eine negative. Von den acht von Pew untersuchten Nato-Ländern war in Polen die Zustimmung mit 74 Prozent am größten.

An dieser Stelle wird also einmal mehr deutlich, dass die deutsche Außenpolitik vor einer großen Herausforderung steht: Sie muss den Graben zwischen den politischen Eliten verkleinern, die Entscheidungen treffen und der Bevölkerung, die sich durch manche Entscheidungen schlicht überrannt fühlt.

Fakt ist: Es gibt momentan keine andere Nation, allen voran mit der Bundeskanzlerin an der Spitze, die diese Rolle in Europa und in der Welt ausfüllen kann. "Für die deutsche Außenpolitik war das Jahr 2014 eine Wasserscheide", sagt Nora Müller, Bereichsleiterin Internationale Politik und Leiterin des Hauptstadtbüros der Körber-Stiftung. Angesichts vielfältiger Krisen – allen voran der Ukraine-Konflikt – habe die Bundesrepublik den Anspruch eingelöst, mehr außenpolitische Verantwortung zu übernehmen. „Wir können aber weder ein Selbstverständnis als Insel haben noch einen Anspruch als weltpolitischer Revolutionär", wie es Außenminister Frank-Walter Steinmeier einmal formuliert hat. Vielmehr müsse sich Deutschland Gedanken machen, wo die Interessen liegen und welche Handlungsoptionen es gibt – und natürlich auch wie groß der Handlungsspielraum überhaupt ist. Deutschland ist keine Nation, die alleine bestehen kann, sondern eingebettet ist, in ein System aus Bündnissen, die zu erfüllen sind – und darin eine Führungsverantwortung übernehmen sollte.

Ähnlich sieht das der Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Eberhard Sandschneider: "Die Bundesrepublik übt eine aktive Rolle in der Welt aus – und hat nach und nach mehr Verantwortung übernommen, wie man in der Ukraine-Krise und der Griechenlandfrage sehen kann." Mehr Verantwortung zu übernehmen, heiße nicht immer automatisch, militärische Mittel einzusetzen. Das sei das äußerste Mittel. Wichtiger seien politische, soziale und wirtschaftliche Stabilität.

Aber die deutsche Außenpolitik hat sich dennoch verändert: Die Bundesrepublik nimmt deutlich häufiger ihre Verantwortung war, wenn gleich auch deutlich indirekter. Statt aktiv militärisch einzugreifen, schickt Deutschland Ausrüstung und Ausbilder in den Irak, um dort Peschmerga-Kämpfer zu unterstützen. Deutschland unterstütze „diejenigen, die die Flüchtlinge schützen und die sich dem Islamischen Staat entgegenstellen. Das sind die irakischen Streitkräfte und innerhalb der irakischen Streitkräfte auch die Kurden, die Peschmerga.“

Die neue Strategie kann man als deutlich zu langsam bezeichnen, die zu lange braucht, um Entscheidungen zu treffen und zu handeln. Man kann sie aber als unaufgeregt einschätzen, in der Entscheidungen reifen und im geopolitischen Kontext getroffen werden müssen – und das braucht Zeit. Fakt ist aber, dass "Deutschland ganz klar eine Weltmacht ist", wie Eberhard Sandschneider sagt. Aber diese Macht sei zeitlich begrenzt.

Mit Material von dpa und Reuters.

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