Automatisiertes Fahren Autobauer sollen für Roboter-Autos haften

Bei automatisierten Fahrzeugen ist die Haftungsfrage ein schwieriges Unterfangen. Die Bundesregierung hat dazu noch keine endgültige Festlegung getroffen – anders als Deutschlands oberste Verbraucherschützer.

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Prototyp für autonomes Fahren: Rechtliche Fragen bei selbstfahrende Autos sind umstritten. Quelle: dpa

Berlin Geht es nach der Autoindustrie, dann werden Autos künftig zu nützlichen „Spielzeugen“, bei denen nicht nur das bloße Fahren im Vordergrund steht. Autos sollen vielmehr miteinander kommunizieren, ihren Standort und zum Beispiel den aktuellen Straßenzustand an andere weitergeben. Sie informieren automatisch die Vertragswerkstatt, wenn ein Service oder eine Reparatur fällig ist, sie checken mit Hilfe von eingebauten Computern den Stau auf dem Arbeitsweg und informieren die Fahrer über mögliche Verspätungen. Doch was wie ein großer Gewinn für die Fahrer klingt, treibt Daten- und Verbraucherschützern Sorgenfalten auf die Stirn.

Vor allem die Haftungsfrage ist ein pikantes Detail beim automatisierten und vernetzten Fahren, für das der Gesetzgeber noch keine abschließende Lösung gefunden hat. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat bereits einen Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vorgelegt, der sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet. Wie das Handelsblatt von mit dem Thema vertrauten Personen erfahren hat, soll es aber wegen etlicher offener Fragen zu dem Haftungskomplex und zum Thema Datenschutz noch „erheblichen Koordinierungsbedarf“ geben. Ein kabinettsreifer Entwurf sei daher erst im kommenden Jahr zu erwarten.

Hilfestellung für die Politik könnte ein juristisches Gutachten geben, das der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) zur Rechtssicherheit beim automatisierten und vernetzten Fahren in Auftrag gegeben hat. Im Fokus der Expertise des ehemaligen FDP-Bundesinnenministers Gerhart Baum, die am Dienstagvormittag in Berlin vorgestellt werden soll, stehen Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit sowie eine verbraucherfreundliche Regulierung von Haftungsfragen.

Laut VZBV-Chef Klaus Müller kommt das Gutachten zu dem Schluss, dass ein „angemessenes“ Datenschutz- und Datensicherheitsniveau bereits bei der Zulassung von Neufahrzeugen und auch bei regelmäßigen Hauptuntersuchungen geprüft werden müsse. „Darüber hinaus muss über den Aufbau neuer neutraler Instanzen nachgedacht werden, damit Verbraucher sich darauf verlassen können“, sagte Müller im Interview mit dem Handelsblatt.

Geht es nach den Verbraucherschützern, dann sollte die Verantwortung für selbstfahrende Autos bei den Fahrzeugherstellern und nicht bei den Haltern liegen. „Mit steigender Automatisierung muss der Verbraucher sukzessive aus der Verantwortung genommen und eine Verschiebung weg von der Halter- hin zur Herstellerhaftung erfolgen“, heißt es dazu in einem Positionspapier des VZBV, das dem Handelsblatt vorliegt. „Weil der Hersteller verantwortlich für das einwandfreie Funktionieren automatisierter Assistenzsysteme ist, muss er auch in erster Linie die Haftung für sein eigenes System übernehmen.“ Die Gefährdungshaftung dürfe daher „nicht erst beim Inverkehrbringen durch den Halter, sondern muss schon bei der Herstellung von automatisierten Autos gelten“.


Ethikkommission soll Leitlinien erarbeiten

Angesichts der zunehmenden Vernetzung und Automatisierung von Fahrzeugen warnt der VZBV zudem vor Datenmissbrauch. „Durch das Anbieten von Prämienrabatten können Verbraucher zur Übermittlung ihrer Fahrdaten ermutigt werden, ohne die langfristigen Folgen abschätzen zu können.“ Aus Sicht der Verbraucherschützer dürfen Daten etwa über Verkehrsinfrastruktur oder Parkplätze nicht Eigentum einzelner Hersteller sein und nur deren Kunden zur Verfügung stehen, sondern sie müssten Allgemeingut – Stichwort: „Open Data“ - werden.

Der VZBV plädiert überdies insbesondere bei der IT im Auto für „Datenschutzzertifizierungen“ entsprechend der Datenschutz-Grundverordnung. „Zertifizierungsdienste müssen geeignete inhaltliche und organisatorische Vorkehrungen für Datenschutzzertifizierungen im automatisierten Fahrzeug treffen“, schreibt der Verband in seinem Positionspapier. „Verbraucher müssen dem Zertifikat auch ohne Fachkenntnisse entnehmen können, was und wie geprüft wurde.“ Kritisch sehen die Verbraucherschützer auch, das fast alle Daten in Fahrzeugen durch das Fahrverhalten oder die Fahrzeugnutzung beeinflusst würden und deshalb Rückschlüsse auf persönliche Lebensverhältnisse erlaubten. Halter, Fahrer und Beifahrer müssten daher „jederzeit die Mittel haben, ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht wirksam durchzusetzen“.

Aus Sicht der Verbraucherschützer sind für das automatisierte Fahren auch „ethische Leitsätze“ notwendig. So dürften bei der Verarbeitung von Daten „keine differenzierenden (…) Merkmale wie zum Beispiel vorhandene Scoring-Werte, Informationen zum Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand oder Einkommen zur Entscheidungsfindung in unvermeidlichen Schadenssituationen, so genannten Dilemma-Situationen, hinzugezogen werden“, betont der VZBV.

Zur Begründung erklären die Verbraucherschützer, dass im Gegensatz zum intuitiven Handeln eines Menschen in schwierigen Situationen alle Aktionen eines Systems auf Algorithmen basierten, denen vorweg genommene Entscheidungen zu Grunde liegen. Keinesfalls dürften daher diese Fragen von Herstellern oder Modellen unterschiedlich geregelt werden. „Die Leitsätze dieser Entscheidungen“, so der VZBV, „müssen auf einem von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit getragenen Grundwertekanon basieren, um Akzeptanz der Technik auch unter Nichtnutzern zu garantieren.“

Solche Fragen dürften wohl auch Thema in der von Dobrindt ins Leben gerufenen Ethikkommission für das automatisierte Fahren sein. Die Kommission die vom ehemaligen Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio geleitet wird und der auch der VZBV-Chef Müller angehört, soll, so der von Dobrindt formulierte Auftrag, einen rechtlichen Rahmen erarbeiten, in dem sich von Computer gesteuerte Autos in Gefahrensituationen verhalten müssen und „an dem sich Programmierer orientieren können“.


„Wir setzen den Computer gleich mit dem menschlichen Fahrer“

Nach den Vorstellungen des Ministers soll ein Gesetz für das automatisierte Fahren Verhaltensregeln und Zuständigkeiten im Schadensfall regeln. „Wir setzen den Computer gleich mit dem menschlichen Fahrer“, sagte Dobrindt Anfang September. Damit werde eine zentrale Haftungsfrage geklärt. „Der Fahrer darf also die Hände vom Lenker nehmen, dabei ein Buch lesen oder E-Mails checken. Wenn etwas passiert, haftet der Hersteller“, erläuterte der CSU-Politiker. Eine sogenannte Blackbox im Auto soll demnach die Fahrsituationen speichern und für den Fall eines Unfalls feststellen, wer gefahren ist und wer für Fehler verantwortlich ist: der Fahrer oder der Computer.

Zuletzt teilte das Dobrindt-Ministerium in einer aus dem November stammenden Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion mit, was künftig offenbar gelten soll: „Die ordnungsgemäße Nutzung automatisierter und vernetzter Fahrzeuge darf nach Auffassung der Bundesregierung für sich gesehen gegenüber dem Fahrer den Vorwurf einer Sorgfaltspflichtverletzung nicht begründen; ihm sollen hierdurch keine zusätzlichen Haftungsrisiken aufgebürdet werden.“

Das SPD-geführte Justizministerium war bisher immer der Auffassung, dass Gerichte im Einzelfall entscheiden sollten, ob für einen Unfall der Fahrer oder das Fahrzeug verantwortlich zu machen ist. Entsprechend gereizt reagierten damals die Sozialdemokraten.

Dobrindt sei „noch immer Antworten schuldig auf einen Fragenkatalog, die wir Abgeordnete seitens der SPD an das Verkehrsministerium gesandt haben“, sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, seinerzeit dem Handelsblatt.  Dies betreffe auch Fragen bezüglich der Haftung der verschiedenen Beteiligten. „Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass das Haus von Bundesminister Dobrindt nun angeblich diese Vorfestlegungen trifft“, kritisierte Fechner. „Aus meiner Sicht sind noch zahlreiche Fragen offen.“

In der Haftungsfrage hatte Dobrindt sich schon vor Monaten positioniert. In einem Strategiepapier schrieb er damals fest, dass Autofahrer in Deutschland künftig einen Teil ihrer rechtlichen Verantwortung an den Computer abgeben können, wenn sie automatisierte Fahrsysteme nutzen. Verursacht ein Autopilot einen Unfall, könnte demnach der Fahrer dann nicht mehr beschuldigt werden, seine Sorgfaltspflicht verletzt zu haben.


Datenschützer warnt vor „rollenden  Datentonnen“

Datenschützer sehen vor allem die Risiken, die automatisierte Fahrzeuge mit sich bringen könnten. Daher mahnte der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar schon vor Wochen den Gesetzgeber zum Handeln. „Es kann  nicht sein, dass das Auto in eine rollende Datentonne verwandelt wird, die das gesamte Fahrgeschehen dokumentiert, aber keine klaren Regelungen dafür existieren, welche Daten gespeichert werden müssen, wer Zugriff auf diese Daten nehmen kann, wie diese Datenbestände gesichert sind und vor allem unter welchen Bedingungen welche Pflichten und Haftungsfolgen ausgelöst werden“, sagte Caspar damals dem Handelsblatt. „Man kann die künftigen Opfer von Unfällen doch nicht auf einen langwierigen Marsch durch Gerichtsinstanzen verweisen, um im Einzelnen zu klären, gegen wen sich die Ansprüche richten.“

Auch aus der Sicht des Fahrers sei eine „rechtssichere Klärung, wo genau die Grenze zwischen dem Status als Passagier und die eines verantwortlichen Fahrers verläuft, essentiell“, sagte Caspar weiter. „Dabei geht es vor allem darum, die Kriterien zu definieren, unter denen Maschinenbefehle individuelle rechtliche Verantwortlichkeiten auslösen.“ Dies sei eine wesentliche Frage des Schutzes von Grundrechten. „Der Rechtsstaat darf hier nicht den Kopf in den Sand stecken.“ Die Verschiebung des Vorgangs Autofahren in eine Abhängigkeit von technischen Systemen brauche daher „klare“ rechtssichere Grundlagen. „Verantwortlichkeiten bereits vorab der gerichtlichen Klärung zu überlassen, vertieft die technische Abhängigkeit in eine rechtliche.“

Caspar gab überdies zu bedenken, dass mit dem autonomen Fahren eine neue Technologie eingeführt werde, die dazu führe, dass Menschen sich von maschinellen Prozessen steuern lassen. Das sei aber „nur auf den ersten Blick ein Zugewinn an Autonomie“, betonte der Datenschützer. „Tatsächlich begibt sich der Mensch in die passive Funktion des Passagiers, ohne aber nur Passagier sein zu dürfen: Ihn trifft eine rechtliche Einstandspflicht, die durch einen maschinellen Befehl ausgelöst wird.“ Dies verändere die Verantwortlichkeit des Autofahrens grundlegend.

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