Automatisierung Alle Macht den Digital-Arbeitern

Personalvorstände und Wissenschaftler werben heute im Kanzleramt für ihre Vorstellungen von der künftigen Arbeitswelt. Sie fordern Experimentierklauseln bei der Arbeitszeit. Ärger mit den Gewerkschaften ist absehbar.

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Wie die Regierung auf die Entwicklung zur Arbeit 4.0 reagieren soll, ist umstritten. Quelle: dpa

Berlin Arbeit 4.0 ist ein zwiespältiger Begriff: Die einen hoffen auf ein Jobwunder, die anderen fürchten einen Jobkiller. Personalvorstände sagen: Staat und Gewerkschaften müssen den Unternehmen und Mitarbeitern mehr Spielraum lassen, damit sie gemeinsam herausfinden können, was funktioniert und nicht schadet. Nur so könne eine „Win-win-Situation“ entstehen, heißt es in einem Bericht, den Personalvorstände und Wissenschaftler der Akademie der Technikwissenschaften Acatech heute im Kanzleramt vorstellen. Ihre Vorstellungen für die Flexibilisierung der Mitbestimmung dürfte allerdings den Widerstand der Gewerkschaften hervorrufen.

Eine Kernaussage des Berichts ist: Die Beschäftigten selbst sind die besten Experten zur Gestaltung ihrer eigenen Arbeitswelt. Sie sollten daher die digitale Transformation selbstbestimmt mitgestalten können und „nicht nur mitgenommen werden“, mahnen die Personal-Experten. „Entscheidend wird sein, dass wir den Mitarbeitern mehr zutrauen und dass sie als mündige Menschen den Wandel aktiv und selbstbestimmt mitgestalten können“, sagt Acatech-Präsident Kagermann.

Das aber erfordere ein Umdenken – „sowohl bei Führungskräften als auch bei Betriebspartnern und beim Gesetzgeber“, heißt es im Bericht. Gerade weil es keinen Masterplan für die Arbeit 4.0 gebe, könne der Weg nur über ein Experiment führen: Daher „brauchen wir regulatorische Freiräume für Experimentierzonen, in denen wir neue Formen der Arbeit gemeinsam mit den Arbeitnehmern erproben“, sagt Uwe Tigges, Personalvorstand des Energieunternehmens Innogy SE.

Solche Experimentierklauseln wollte auch Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) – scheiterte damit aber am Widerstand der Union. Geplant hatte die Sozialdemokratin etwa, dass Pausen zur Kinderbetreuung, Homeoffice am Abend oder Arbeitszeiten jenseits gesetzlicher Regeln ermöglicht werden. Nicht nur die Union, auch die Linke war dagegen. Sie fürchtet „Experimente auf Kosten der Gesundheit von Beschäftigten“, das Arbeitszeitgesetz müsse ein „Schutzgesetz“ bleiben.

Konkret fordert der Acatech-Arbeitskreis Möglichkeiten, dass Beschäftigte „nicht mehr, sondern flexibler arbeiten“. Dazu brauche es dringend „neue Regelungen zu Höchstarbeitszeit, Mindestpausen, Ruhezeiten sowie Arbeit an Sonn- und Feiertagen“. Das Arbeits-, Sozialversicherungs- und Betriebsverfassungsrecht müsse so geändert werden, dass die befristete Beschäftigung von freien Mitarbeitern – etwa auf Projektbasis – einfacher werde. Dann würden sich Unternehmen hier „nicht länger in einer Grauzone bewegen“.

Experimentierzonen sind allerdings auch eine Herausforderung für die betriebliche Mitbestimmung. Diese müsse „als ein Erfolgsfaktor der sozialen Marktwirtschaft im Sinne einer gemeinsamen Zukunftsentwicklung für Beschäftigte und Unternehmen weiterentwickelt werden“, sagt Ulrich Weber, Personalvorstand der Deutschen Bahn AG.

Der Gesetzgeber soll dafür sorgen, dass die Mitbestimmungsprozesse in den Betrieben beschleunigt werden, fordert der Bericht. Zudem müsse die „Mitbestimmungskultur der Zukunft auch loslassen können“. Ein Dorn im Auge sind den Personalern und Wissenschaftlern beispielsweise bestimmte Mitsprachereche der Betriebsräte bei neuen IT-Instrumenten. Hier sollte sich die Mitbestimmung auf die IT-Tools konzentrieren, „die tatsächlich zur Verhaltens- und Leistungskontrolle genutzt werden sollen – nicht auf jene, die technisch dazu nur geeignet wären“. Das birgt jede Menge Zündstoff in der Diskussion mit den Gewerkschaften, die in der Regel auch solche theoretischen Kontroll-Möglichkeiten gern von vornherein ausschließen.

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