Awal aus dem Irak „Ich glaube nicht, dass ich bleiben werde“

Awal Sameer ist aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet. 40 Tage war der Jeside unterwegs. Seine Familie wartet in einem Flüchtlingslager in der Türkei auf ihn. Lange bleiben will er daher nicht in Deutschland.

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„Ich bin dankbar für alles was Deutschland bisher für mich getan hat.“ Quelle: Kevin O'Brien

Ich bin 40 Jahre alt und komme aus Sinjar, einem Dorf im Irak. In meinem Laden im Irak habe ich gut zehn Jahre lang Kleidung - hauptsächlich für Männer - verkauft, die ich vorher aus der Türkei importiert habe.

Die Geschäfte liefen gut, ich hatte immer genügend Kunden. Ich hab Anzüge, Jeans, T-Shirts und noch viel mehr in allen möglichen Farben verkauft. Jetzt bin ich seit fast einem Monat in Deutschland. Soweit ich gesehen habe läuft es hier in der Modebranche anders. Im Irak habe ich meistens Jeans und eng anliegende Shirts und Anzüge verkauft. Hier in Deutschland war ich erst ganz verblüfft, wie sich die Leute anziehen, besonders die Frauen, die in kurzen Hosen herumlaufen.

Sowas würde man im Irak nie sehen. Ich habe dort im Grunde immer die gleichen Anziehsachen verkauft. Hier habe ich beobachtet, dass es sehr anders ist. Die berühmten Marken sind wirklich alle echt. Im Irak sind viele der Klamotten einfach Fälschungen.

Die Preise hier ähneln denen im Irak. Es gibt hier Primark, was sehr billig ist, H&M ist im mittleren Preissegment und es gibt Luxusmarken wie Hugo Boss. Ich hab im Irak auch teure Klamotten verkauft. Ein echtes Designer-T-Shirt konnte da schon mal 50 Euro kosten, aber eine Kopie davon war schon für fünf Euro zu haben.

Mein Laden im Irak habe ich nach meinem Sohn benannt, ‚Abed‘. Er ist mein einziges Kind. Meine Frau und mein Sohn sind im Moment in einem Flüchtlingslager in der Türkei. Ich bin alleine nach Deutschland gekommen.

Die Reise war wirklich, wirklich hart. Ich bin den ganzen langen und gefährlichen Weg über Albanien bis hier her zu Fuß gelaufen. 40 Tage war ich unterwegs. In der Türkei hatte ich einem Schmuggler 10.000 Dollar gezahlt, damit er mich nach Deutschland bringt.

Wir sind in einer Gruppe zu Fuß gelaufen. Er hat uns gezeigt wie wir kein Aufsehen erregen. Wir haben dann an Straßenrändern übernachtet oder sonst überall, wo wir halten konnten.

Jetzt bin ich ungefähr seit einem Monat hier und warte seit drei Tagen auf einen Termin beim Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin-Moabit. Ich hab eine Nummer gezogen. Wenn die aufgerufen wird kann ich rein gehen und mit denen sprechen.

Die haben mir 350 Euro gegeben. Ich wohne in einem Flüchtlingsheim in der in Zehlendorf. Das Heim ist sehr gut, ich werde auch gut behandelt.


„Der IS behandelt meine Leute wie Sklaven“

Aber ich glaube nicht, dass ich bleiben werde. Ich habe beschlossen in die Türkei zurückzugehen, meine Familie zu holen und mir mit ihnen ein neues Leben aufzubauen. Ich kann nicht mehr in den Irak und in mein Dorf zurück, weil das jetzt vom IS kontrolliert wird.

Kurz bevor der IS kam haben wir davon erfahren. Deshalb sind wir mitten in der Nacht geflohen. Ich habe gehört, dass die viele unserer Frauen gekidnappt und viele Männer und Kinder ermordet haben. Es ist schrecklich.

Im Irak werden wir Jesiden als die Untersten der Untersten angesehen. Der IS behandelt meine Leute wie Sklaven. Deshalb können und werden wir nicht zurückgehen. Vielleicht gehen wir nach Kurdistan. Dort ist es sicherer. Ich weiß es noch nicht. Aber hier gibt es nichts für mich. Alles ist zu anders und fremd.

Als der IS in mein Dorf kam und meine Leute bedroht hat, die Jesiden, da habe ich gesehen dass die internationalen Medien über uns berichtet haben. Das war das erste Mal, dass wir so eine Aufmerksamkeit bekommen haben. Deshalb wollte ich nach Deutschland kommen. Ich habe geglaubt, der Westen versteht in was für einer schrecklichen Situation wir Jesiden uns befinden.

Ich dachte wir würden hier besonders behandelt werden, sozusagen als eine geschützte Minderheit. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Hier bin ich nur einer von vielen anderen Flüchtlingen. Das habe ich so nicht erwartet. Deshalb werde ich wohl zurück in mein Land gehen.

Ich weiß noch nicht wie ich das machen werden. Es wird sehr viel Geld kosten. Ich spreche mit meiner Frau täglich über das Handy. Meiner Familie geht es gut, aber sie vermissen mich und ich vermisse sie. Es ist besser wenn ich zu ihnen zurückkehre obwohl ich nicht weiß was wir dann tun werden.

Ich bin dankbar für alles was Deutschland bisher für mich getan hat. Ich würde mir gerne ein Leben hier aufbauen, aber ich spreche kein Deutsch und ich weiß nicht ob ich das überhaupt kann. Aber ich möchte Deutschland sagen: Danke.

Diese Geschichte wurde aufgeschrieben von Kevin O’Brien, der Awal Sameer mit Hilfe von Abdul Dawoud, einem Übersetzer aus dem Irak, der seit über 10 Jahren in Berlin lebt, interviewt hat. Das Gespräch mit Sameer fand statt, als er mit weiteren 500 Flüchtlingen am Landessozialamt in Berlin-Moabit wartete.

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