Bahnstreik „Nahles will die Lokführergewerkschaft auflösen“

Im Konflikt der Bahn mit der Gewerkschaft GDL gerät nun auch Arbeitsministerin Nahles in die Schusslinie. Politiker geben ihr eine Mitschuld an dem Rekordstreik, weil sie die Lokführer per Gesetz ausbremsen will.

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Die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles mischt sich in die aktuelle Diskussion ein. Quelle: dpa

Berlin Claus Weselsky und seiner Lokführergewerkschaft GDL läuft die Zeit davon. Denn das von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorgelegte Tarifeinheitsgesetz war bereits in erster Lesung im Bundestag. Am Montag – zum Beginn der Streikrunde Nummer acht im Tarif-Dauerkonflikt zwischen der Deutschen Bahn und der GDL – folgte nun eine Experten-Anhörung im Arbeitsausschuss. Noch im Mai sind die abschließenden Beratungen geplant, so dass das umstrittene Gesetz möglicherweise schon zum 1. Juli in Kraft treten könnte.

Damit würden die Bemühungen der Gewerkschaft, ihren Einfluss bei der Bahn auf andere Berufsgruppen auszuweiten, jäh ausgebremst. Es sei denn, die GDL hat vorher Erfolg bei den Verhandlungen. Der Vorwurf Weselskys, die Bahn spiele mit ihren Angeboten auf Zeit, scheint vor diesem Hintergrund nicht ganz von der Hand zu weisen zu sein. Auch unter Experten und in der Politik wird ein Zusammenhang gesehen zwischen dem derzeitigen Rekordstreik und der Regierungsplänen für ein Tarifeinheitsgesetz.

Für den ehemaligen Chefs der Monopol-Kommission, Justus Haucap, liegt es auf der Hand, das deshalb die schwarz-rote Bundesregierung mitverantwortlich für die Eskalation im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn ist. Die aktuellen Streiks seien in gewisser Weise bedingt durch die Einführung des Tarifeinheitsgesetzes.

„Einer der ganz wesentlichen Streitpunkte ist ja die Forderung der Lokführergewerkschaft GdL, nicht nur für Lokführer, sondern auch Zugbegleiter und Rangierführer eigene Verträge abzuschließen“, sagte Direktor des Instituts für Wettbewerbsökonomie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „Nur wenn ihr dies gelingt, hat die GDL eine Chance auch nach dem Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes weiter zu überleben.“

Ähnlich äußerten sich Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler. Als Eigentümer der Bahn moderiere die Bundesregierung den Konflikt nicht, sondern ergreife einseitig Partei, sagte Hofreiter dem Südwestrundfunk (SWR). Zusätzlich gieße sie mit dem geplanten Tarifeinheitsgesetz „Öl ins Feuer“. Das Gesetz habe, obwohl es noch gar nicht in Kraft sei, schon eine ganze Reihe von Tarifkonflikten massiv verschärft. Es verführe die Gewerkschaften zum verstärkten Konkurrenzkampf.

„Man kann diesen Arbeitskampf nur entschärfen, wenn die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf über die Tarifeinheit zurückzieht“, sagte Geißler der Zeitung „Münchner Merkur“. Kleinere Gewerkschaften könnten ihr Streikrecht nicht mehr ausüben, wenn das Gesetz wie geplant in Kraft trete.


„Die GdL streikt um ihr Überleben“

Mit dem Tarifeinheitsgesetz soll festgelegt werden, dass in einem Betrieb in einer Berufsgruppe keine voneinander abweichenden Tarifverträge gelten können. Dabei soll die sogenannte Mehrheitsregel greifen: Es ist dann nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft anwendbar, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat.

Haucap sagte dazu, solange der Chef der GdL, Claus Weselsky , nur die Lokführer hinter sich bringe und keine anderen Bahn-Mitarbeiter, werde das das Ende für die GDL sein. „Die GdL streikt sozusagen um ihr Überleben. Ohne ein geplantes Tarifeinheitsgesetz würden wir garantiert jetzt nicht so heftige Streiks sehen.“ Das lasse sich insbesondere dadurch erklären, dass Arbeitsministerin Andrea Nahles „im Grunde indirekt Weselksys Gewerkschaft auflösen will“. Das Tarifeinheitsgesetz der Ministerin sei zwar aller Voraussicht nach „nicht verfassungskonform“, fügte Haucap hinzu. „Aber bis die GdL das durchgeklagt hat, dürften ein paar Jahre vergehen.“

Geißler bezeichnete den vorgelegten Gesetzentwurf von Nahles als „Frechheit“. Er werde ohnehin nie gültig werden, da er verfassungswidrig sei. Kleinere Spartengewerkschaften, aber auch große Arbeitnehmervereinigungen wie Verdi haben bereits Verfassungsbeschwerden angekündigt.

Ein viel besserer Ansatz wäre aus Sicht des Ökonomen daher gewesen, das Streikrecht „maßvoll“ an die Marktmacht von Gewerkschaften zu koppeln. „So wie marktmächtige Unternehmen nicht alles tun dürfen, was kleine Unternehmen tun dürfen, sollte man auch das Streikrecht anpassen, sodass auch eine besondere Machtfülle von Gewerkschaften nicht zu Lasten Dritter missbraucht werden darf“, erläuterte Haucap. „Die negativen Auswirkungen auf unbeteiligte Dritte, die nichts zur Lösung des Tarifkonfliktes beitragen können, müssten dann stärker berücksichtigt werden.“

Während es beispielsweise vertretbar erscheine, etwas länger auf die Auslieferung eines Autos zu warten oder die Supermarktkette einmal zu wechseln, hätten Bahnreisende oft nur schlechte Ausweichmöglichkeiten, insbesondere wenn Streiks recht kurzfristig angekündigt würden. „Ein komplettes Streikverbot wäre jedoch übertrieben und sicher auch nicht verfassungskonform“, ist Haucap überzeugt. „Eine maßvolle Anpassung des Streikrechts wäre aber möglich und auch sinnvoll.“


Reputationsverlust Deutschlands bei ausländischen Investoren

Derweil wird am Tag zwei des Lokführerstreiks das ganze Ausmaß des Konflikts deutlich. Besonders der Fernverkehr ist beeinträchtigt. Nach Angaben der Bahn fallen heute bundesweit etwa zwei Drittel der Fernverbindungen aus, im Regionalverkehr etwa ein Drittel.

Besonders betroffen sind demnach die ostdeutschen Bundesländer sowie die Ballungsräume Berlin, Halle, Frankfurt am Main und Mannheim. Die Bahn veröffentlichte im Internet Ersatzfahrpläne. Der bisher längste Ausstand im Personenverkehr begann heute früh um zwei Uhr und soll bis zum Sonntagmorgen dauern. Der Güterverkehr wird bereits seit gestern Nachmittag bestreikt.

Eine Beilegung des Tarifstreits mit der Lokführergewerkschaft GDL scheint derzeit nicht in Sicht. Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber sagte im Deutschlandfunk, man werde darauf beharren, in die Schlichtung zu gehen. Es gebe keine Argumente dagegen. Der Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL, Claus Weselsky, hatte jedoch eine auch von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Verkehrsminister Alexander Dobrindt geforderte Schlichtung schon am Montag abgelehnt.

Aus der Union wurde daraufhin eine Zwangsschlichtung ins Spiel gebracht. Der Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion, Michael Fuchs (CDU), sprach sich in der „Bild“ für die Einführung eines gesetzlichen Schlichtungsverfahrens im Bahn- und Luftverkehr aus. „Bevor gestreikt wird, sollen die Parteien miteinander reden – wie erwachsene Menschen.“ Fraglich ist jedoch, ob der Vorstoß im aktuellen Konflikt die Lösung bringen könnte.

Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt auch der Umstand, dass der längste Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn die deutsche Konjunktur bremsen wird. Die Kosten in dem aktuellen Bahnstreik könnten sich auf bis zu 750 Millionen Euro summieren, wie Konjunkturexperte Stefan Kipar von der BayernLB sagte. Damit dürfe die Wachstumsrate des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) im zweiten Quartal um etwa 0,1 Prozentpunkte geringer ausfallen als ohne Streik.

Insgesamt ändere der Bahnstreik zwar die positive Konjunkturerwartung in Deutschland nicht. Allerdings sei ein möglicher Reputationsverlust des Standorts Deutschland bei ausländischen Investoren ein großes Risiko.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hatte am Montag gesagt, dass der deutschen Wirtschaft durch den Arbeitskampf Schäden von täglich 100 Millionen Euro drohten. Wie Kipar betont, nehmen die täglichen Kosten zu, je länger der Streik dauert: „Grund hierfür ist, dass mit steigender Dauer über Zweitrundeneffekte eine wachsende Anzahl an Betrieben die Produktion drosseln oder einstellen müsste, womit die Verluste pro Tag zunehmen.“

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