„Banale Tatsachenbeschreibung“ Sarrazin kritisiert Merkels Islam-Bekenntnis

Kanzlerin Merkel stößt mit ihrem Bekenntnis, der Islam gehöre zu Deutschland, auf Kritik. Für Thilo Sarrazin verfehlt sie damit das eigentliche Thema. Auch die Türken in Deutschland reagieren zurückhaltend.

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Thilo Sarrazin: „Dem türkischen Ministerpräsidenten würde übrigens niemals der Satz von den Lippen gehen, das Christentum sei ein Teil der Türkei.“ Quelle: picture alliance / dpaFrank Rumpenhorst dpa

Berlin Der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin hat die islamfreundliche Aussage von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass der Islam zu Deutschland gehöre, scharf kritisiert. „Nimmt man sie als Tatsachenbeschreibung, dann ist sie banal“, sagte Sarrazin dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „Denn natürlich sind vier Millionen in Deutschland lebende Menschen islamischen Glaubens ein Teil dieses Landes, nicht mehr und nicht weniger als ein bayerischer Trachtenverein, der braune Sumpf der NSU oder rote Socken in der Brandenburger Provinz.“  Das alles und noch viel mehr gehöre zu Deutschland, darunter auch die in Deutschland aufgewachsenen radikalen Salafisten, die für die Terrormiliz IS in Syrien und Irak kämpfen.

„Nimmt man dagegen die Aussage als Behauptung, der Islam sei ein historisch gewachsener Bestandteil der deutschen Kultur, Tradition und Lebensart, dann ist die Antwort nein“, sagte Sarrazin weiter. Als „geoffenbarte Religion“ habe der Islam zudem wie alle Religionen „keine objektiv fassbare Gestalt sondern ist das, was Muslime glauben“, fügte er hinzu. Jede Interpretation sei genauso so gültig wie die andere.

„Das Problem des Islams ist es ja gerade, dass so viele demokratiefeindliche, gewalttätige Interpretationen dieser Religion in Umlauf sind und das Weltgeschehen bestimmen“, betonte Sarrazin. Diesem Thema weiche die Bundeskanzlerin aber aus. Dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu, so Sarrazin weiter, „würde übrigens niemals der Satz von den Lippen gehen, das Christentum sei ein Teil der Türkei“. Dort habe man ja den Anteil der Christen seit 1918 „mit Erfolg von 25 Prozent auf jetzt unter ein Prozent vermindert und ist darauf auch stolz“.

Merkel hatte nach den Terroranschlägen in Paris vor einer pauschalen Verurteilung der rund vier Millionen Muslime im Land gewarnt. Der frühere Bundespräsident Christian Wulff habe gesagt, der Islam gehöre zu Deutschland. „Dieser Meinung bin ich auch“, sagte die Kanzlerin am Montag.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland reagierte zurückhaltend auf Merkels Bekenntnis zum Islam in Deutschland. „Im jetzigen Klima ist es schön, das zu sagen. Aber es muss genau definiert werden, was man damit gemeint ist“, sagte der Bundesvorsitzende Gökay Sofuoglu der „Passauer Neuen Presse“.


Grüne für Gleichstellung des Islam

Nach den Worten Sofuoglus müssen den Worten Merkels auch Taten folgen. „Islamfeindlichkeit muss in Deutschland entschieden bekämpft werden. Die Politik sollte sich ohne Wenn und Aber von Pegida distanzieren. Es sei darüber hinaus wichtig, dass der Islam als Religionsgemeinschaft in Deutschland anerkannt werde. „Der Islam muss aus den Hinterhöfen herauskommen“, forderte Sofuoglu.

Lob für Merkel kommt aus der Unions-Bundestagsfraktion. Fraktions-Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) sagte, dies sei eine richtige Botschaft der Kanzlerin.

Auch die Grünen stellten sich hinter Merkel. Der Innenexperte der Grünen-Bundestagfraktion, Volker Beck, ging aber noch weiterund plädierte dafür, den Islam staatlich als Religionsgemeinschaft anzuerkennen und damit rechtlich den christlichen Kirchen gleichzustellen. „Die rechtliche Gleichstellung des Islam mit Christentum und Judentum ist eine wichtige Voraussetzung für eine gelungene Integrationspolitik“, sagte Beck dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Den Islam in Deutschland nur unter dem Aspekt der Gefahrenabwehr zu diskutieren – wie es CSU, AfD und Pegida täten, sei dagegen „gesellschaftspolitisch kontraproduktiv und sät eine Kultur des Misstrauens“.

„Für uns ist es selbstverständlich, dass unabhängig von ihrer Herkunft, Religion und Weltanschauung alle Menschen ihre Grundrechte und Teilhabemöglichkeiten gleichberechtigt wahrnehmen können“, sagte Beck weiter. Die vier Millionen in Deutschland lebenden Menschen muslimischer Herkunft stellten fünf Prozent der Bevölkerung dar. „Sie und ihre Religion sind selbstverständlich Teil dieses Landes, der Kultur und Gesellschaft.“

Von der Islamkonferenz erwartet Beck, dass sie sich endlich um die zentrale Frage der Religionspolitik kümmere. „Wie kommen wir zu anerkannten und gleichberechtigten islamischen Religionsgemeinschaften? Dazu müssten sich die Muslime bekenntnisförmig organisieren, und nicht entlang politischer und sprachlicher Identitäten wie gegenwärtig“, sagte der Grünen-Politiker.

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