Barack Obama beim Kirchentag Der Präsident der Herzen

Vor dem Brandenburger Tor feiern 80.000 Besucher den früheren US-Präsidenten Barack Obama. Der übt nur indirekt Kritik an seinem Nachfolger. Neben ihm muss Kanzlerin Angela Merkel ihre Flüchtlingspolitik verteidigen.

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Der frühere US-Präsident und die Bundeskanzlerin diskutierten beim Kirchentag vor dem Brandenburger Tor. Quelle: AP

Berlin Der Jubel gilt ihm, ausschließlich ihm. „Obama, Obama“, skandieren die 80.000 Besucher vor dem Brandenburger Tor, als der frühere US-Präsident die Bühne vor dem Brandenburger Tor. Die Ehrengäste auf den wenigen Sitzplätzen ganz vorne stehen auf für den Anfangsapplaus. Sein „Guten Tag“, die einzigen Worte auf Deutsch, lösen Begeisterungsstürme aus. Dass da neben ihm die Bundeskanzlerin sitzt, nimmt die Menge wohl erst wahr, als Obama die Aufmerksamkeit von sich auf die Frau im knallhellgrünen Blazer lenkt: „Ich liebe Berlin, und ich freue mich, dass einer meiner beliebtesten Partner aus meiner Zeit als Präsident neben mir sitzt: Kanzlerin Angela Merkel.“

Es ist Evangelischer Kirchentag an diesem Himmelfahrtstag in Berlin. Zum 500. Geburtstag des Reformators Martin Luther sind 200.000 Besucher mit orangenen Halstüchern in die Stadt geströmt. Diese gleicht nach dem islamistischen Anschlag in Manchester einem Hochsicherheitstrakt. Gepanzerte Wasserwerfer blockieren die Straßen schon einen Kilometer vor dem Brandenburger Tor. Auch die Straße des 17. Juni, die bewährte Fanmeile für Großevents vor Brandenburger-Tor-Kulisse, ist weiträumig abgeriegelt.

Ohne Taschenkontrolle kommt niemand zum Hauptevent des Kirchentags, zu dem Bischof Heinrich Bedford-Strohm und Kirchentagspräsidentin Christina aus der Au Obama und Merkel eingeladen haben. Beide sind bekennende Christen. Sie wollten mit ihnen über Demokratie, Verantwortung und Glauben zu sprechen.

Obama erinnert denn auch als erstes daran, dass er seine Arbeit für das Gemeinwohl vor Jahrzehnten als Sozialarbeiter im Auftrag einer Kirche in Chicago begonnen hatte. Und dass sein Glaube ihn immer bestärkt habe, nicht nachzulassen in dem Willen, die Welt etwas besser zu machen. Worauf er denn stolz sei im Rückblick auf acht Jahre Präsidentschaft, fragt ihn Bedford-Strohm. Was Obama erst einmal zu einem Exkurs über die Grenzen des politischen Willens durch das jeweils Mögliche bringt: „Was ich als Politiker lernen musste ist, das man niemals 100 Prozent erreicht“, sagt er, um dann doch seine Gesundheitsreform Obamacare zu loben.

„Die USA sind das einzige entwickelte Land, das nicht für alle eine Krankenversicherung hatte. Immerhin 20 Millionen Menschen mehr haben nun eine, und ihr Leben ist dadurch besser geworden“, hebt er hervor, und erinnert so, ohne seinen Nachfolger Donald Trump zu erwähnen, daran, wie bedroht diese Reform gerade ist. Der Glaube lehre ihn aber auch Bescheidenheit, und er finde seine Grenze im Zweifel, ohne den Rücksicht auf andere Überzeugungen nicht möglich sei. Auch dies ein Seitenhieb auf Trump, der besessen ist von seiner ganz eigenen Wahrheit.

Trump, der Nachfolger. Er schwebt wir der Geist des Rückschritts über den beiden Weltpolitikern, die unisono die Herrschaft des Rechts, die Presse- und Religionsfreiheit für Christen, Juden und auch für Muslime beschwören. „Globalisierung und neue Technologien machen vielen Angst“, bedauert Obama und beschwört die Zuhörer: „Angst, antidemokratische Kräfte, Nationalismus und Intoleranz dürfen nicht die Demokratie zurückdrängen.“ Merkel habe hervorragende Arbeit geleistet, „nicht nur in Deutschland, sondern für die ganze Welt“, lobte er die Kanzlerin.

Es war dies einer der Augenblicke auf die sie gehofft hatten in der CDU-Parteizentrale: Obamas Glanz möge abstrahlen auf sie und ihren Vorsprung vor dem SPD-Herausforderer Martin Schulz festigen. CDU-Generalsekretär Peter Tauber freute sich im Publikum über die Gelegenheit. „Die SPD ist schon sauer, das kann man sagen“, sagte er zu seinem Sitznachbarn. Doch ein Selbstläufer sollte die Debatte vor dem traditionell linksliberalen Kirchentagspublikum für Merkel nicht werden.


Flüchtlingspolitik zwischen Barmherzigkeit und Verantwortung

Wieso sie denn jetzt angefangen habe, gut integrierte Afghanen, die einen Job gefunden hätten und deren Kinder hier zur Schule gingen, abschieben zu lassen, fragt sie der Bischof: „Das können viele von uns, die wir uns in den letzten Jahren intensiv um Flüchtlinge gekümmert haben, nicht verstehen.“

Sie sei dankbar für die Hunderttausenden, die Mitgefühl gezeigt hätten, sagt Merkel erst einmal. Aber es gehöre auch zur Herrschaft des Rechts, dass nicht alle in Deutschland bleiben könnten. Die deutsche Asylpolitik müsse sich auf diejenigen Menschen in der Welt konzentrieren, die dringend Hilfe brauchten, und davon gebe es immer noch genug. „Ich weiß, dass ich mich damit nicht immer beliebt mache“, fügte sie hinzu.

Obama springt ihr bei: Als Staats- oder Regierungschef gelte es, „Barmherzigkeit“ gegenüber Flüchtlingen zu zeigen, aber es gebe auch eine Verpflichtung gegenüber der eigenen Bevölkerung. „Das ist nicht immer einfach“, sagte er. Beide sind sich einig, dass sie als Vertreter der reichen Länder die Pflicht hätten, anderen Ländern zu helfen, Kriege und Armut hinter sich zu lassen. „Wir müssen ihnen nicht Fische geben, sondern ihnen helfen, selbst fischen zu können“, zitiert Obama die Bibel.

Auch für ihn wird es danach nicht einfach, als der Kirchentag vier junge Leute aus Chicago und Mannheim zum Fragenstellen auf die Bühne holt. Für den Drohnenkrieg mit zivilen Opfern in Afghanistan muss er sich rechtfertigen: Es gebe auch die Verantwortung, jene zu bekämpfen die Anschläge verübten wie in Manchester, so Obama. Und Merkel wiederum spricht sich zwar klar für Abrüstung aus. Doch ohne das Militär wäre es wiederum auch nicht gelungen, die Jesiden im Irak vor dem Völkermord durch IS-Islamisten zu bewahren, erinnert sie. Diese Aufgabe dürften die Europäer auch nicht allein den USA zuschieben, fügt sie noch hinzu.

In Gedanken ist sie da wohl schon in Brüssel, dem nächsten Programmpunkt: Beim Nato-Gipfel in Brüssel und anschließend beim G7-Treffen auf Sizilien ist es nicht mehr der Lieblingspartner Obama, mit dem sie Nettigkeiten austauschen kann, sondern Trump, mit dem es gilt, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Insgesamt sei Europa doch friedlicher als vor 30, 40 Jahren, erinnert Obama an Erreichtes. Im Publikum sehen dies nicht alle so. „1990 beim Kirchentag in Bochum konnten wir alle einfach so ins Stadion hinein und hinaus spazieren. Polizisten sahen wir kaum“, erinnert sich ein älterer Kirchentagsbesucher. Massenbegegnung in Zeiten der Terroranschläge von Manchester, Berlin, Paris: Der Kirchentag ist zum 500. Reformationsjubiläum auch nachdenklicher als je zuvor.

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