Merkwürdig, dass sich die Freunde des Bargelds dieser Tage ständig auf Fjodor Dostojewski berufen. Sicher, der russische Romancier ist mit dem hübschen Satz „Geld ist geprägte Freiheit“ in unseren Zitate-Fibeln verewigt. Aber natürlich hat Dostojewski das ganz trivial gemeint. Dostojewski ging mit Geld um, als sei es purer Unsinn; er hatte stets zu viel und zu wenig davon, aber niemals genug, weil er jeden Rubel verschwendete.
Dostojewski kaufte seiner Frau Diamanten und Vasen aus sächsischem Porzellan – und verpfändete ihre Mitgift. Er flüchtete der Schulden wegen ins Ausland und ließ sich einen Mantel aus englischem Kaschmir schneidern.Er führte peinlich Buch über die Tantiemen für seine Romane und verschleuderte Unsummen beim Roulette in Bad Homburg oder Wiesbaden.
Ob geprägt oder nicht – für Dostojewski bedeutete Geld im schlichtesten Sinne des Wortes: Freiheit, hier und jetzt, nicht mehr und nicht weniger. Ganz im Gegensatz zu Leo Tolstoi übrigens, der sein Dichterleben lang versuchte, das Wesen des Geldes zu ergründen, und dabei zu dem Schluss kam: „Geld ist (eine neue Form von) Sklaverei.“ Tolstoi, der frühalternative Ökomarxist, meinte damit die unpersönliche „Herrschaft des Geldes“ – vor allem seine koloniale Fähigkeit, in traditionelle Gesellschaften einsickern, sie seiner Anonymität und Logik unterwerfen zu können …
Allein: Um „Freiheit“ oder „Sklaverei“ geht es beim Kampf ums Bargeld zunächst nicht. Sondern um eine dritte Dimension des Geldes: um das Vertrauen, das es zwischen seinem Emittenten und seinen Benutzern stiftet.Man muss nur einen flüchtigen Blick auf antike und mittelalterliche Münzen werfen, um zu begreifen, dass „geprägte Freiheit“ einen Bund zwischen Königsherrschaft und Kaufmannsfreiheit schmiedet: Der Kopf des Souveräns auf der einen Seite der Münze verleiht der Zahl auf der anderen Seite Autorität und Geltung – und umgekehrt: Vom garantierten Wert der Zahl auf der einen Seite der Münze hängt der Kredit ab, den der Herrscher auf der anderen Seite bei seinen Untertanen genießt.
Es ist daher auch kein Zufall, dass die „Zahl“ in der römischen Kaiserzeit durch Personifikationen der Fürsorge (providentia), Sicherheit (securitas) und Eintracht (concordia) ergänzt wird. Die Regenten bringen mit geprägtem Silber und Gold den Glauben an stabile Verhältnisse in Umlauf. Ihr Münz-Geld ist nicht nur ein funktionales Zahlungsmittel, sondern auch eine juristische Urkunde: Ausdruck und Träger eines vertikalen Gesellschaftsvertrages zwischen Souverän und Volk.
Nur Bargeld erfüllt das Versprechen der Freiheit
Und das ist noch nicht alles. Der Soziologe Niklas Luhmann hat den Vertragscharakter des Geldes in seiner Systemtheorie aufgewertet und dabei auf die Bedeutung des Geldes als Kommunikationsmedium hingewiesen.
Dahinter steht der aristotelische Gedanke, dass die Zahlung den direkten Austausch von Gütern gewissermaßen unterbricht – und dass das Geld bei diesem Austausch eine Schuld speichert, die erst beglichen ist, wenn der Empfänger einer Zahlung seinerseits eine Zahlung leistet: Das Geld, so Aristoteles, ist „für einen späteren Austausch gleichsam Bürge“. Der spezifisch moderne Clou der Überlegung besteht nun darin, dass durch eine schier endlose Zahlungskette eine Art horizontaler Gesellschaftsvertrag zwischen den Benutzern des Geldes gestiftet wird: Mit der allseits akzeptierten und stets sichtbaren (!) Verwendung von Geld versichern sich die Bürger laufend seines materiellen und sozialen Wertes.
„Der wichtigste Effekt des Mediums Geld“, so Luhmann, besteht darin, „dass die Zahlung Dritte beruhigt“, die Zeugen dieser Zahlung sind. Anders gesagt: Geld stiftet ein soziales Band, eine Gemeinschaft der Geldbenutzer, in der es jedem Einzelnen erlaubt ist, mit der ideellen Zustimmung aller auf knappe Güter zuzugreifen.
Dieses Band der Solidarität wird mit der Abschaffung des Bargelds zerrissen: Das Geld ist keine Nachricht mehr, in der sich Bürger wechselseitig über die Funktionstüchtigkeit der Wirtschaftsordnung informieren – der horizontale Gesellschaftsvertrag zerstört. Stattdessen ist Geld als soziale Tatsache nur noch vertikal sichtbar, als Datenaustausch zwischen Emittent und Bürger.
Aus welchen Gründen Amerikaner auf das Bezahlen per Handy verzichten
Befragt wurden 1386 US-Amerikaner über 18, die auf das mobile Bezahlen per App verzichteten.
Quelle: Thrive Analytics/Statista
7 Prozent fanden es zu zeitaufwändig, ihr Smartphone für mobiles Bezahlen einzurichten.
8 Prozent sagten, ihr Handy biete nicht die nötigen Voraussetzungen, um mobile Bezahldienste zu nutzen.
18 Prozent sahen keinen Vorteil in der neuen Zahlungsmethode.
32 Prozent sagten, sie hätten schlichtweg noch nicht darüber nachgedacht.
37 Prozent antworteten, sie fänden es einfacher, mit Geld- oder Kreditkarte zu zahlen.
46 Prozent gaben an, auf das Bezahlen per Handy zu verzichten, weil sie sich Sorgen um die Sicherheit dieser Zahlungsmethode machen.
6 Prozent nannten "andere Gründe".
Noch schwerer wiegt, dass auch der vertikale Vertrag zwischen Souverän (modern: das Ensemble von Regierungen, Notenbanken und Geschäftsbanken) und Bürger mit dem Verschwinden des Bargelds irreparabel beschädigt, weil nur noch einseitig kündbar ist: Ein Misstrauensvotum des Bürgers (bank run) gegenüber seinem Souverän ist nicht mehr möglich, während umgekehrt dem Souverän bei der Umstellung von Marktwirtschaft auf Geldsozialismus keine Zins- und Inflationsgrenzen mehr gesetzt sind.
So gesehen, hätten am Ende Dostojewski und Tolstoi recht. In einer bargeldlosen Welt ist Geld kein privates Eigentum, für dessen bleibenden Wert der Emittent bürgt, sondern ein Kredit auf der Basis asymmetrischer Machtverhältnisse – ein Kredit, der dem Geld das ihm innewohnende Vertrauen entzieht, weil er vom Souverän jederzeit widerrufen werden kann. Ein solches Geld ist kein Versprechen der Freiheit mehr. Sondern ein Synonym staatlicher Willkür.