Beatrix von Storch AfD-Europaabgeordnete im Zwielicht

Eine Studie erhebt schwere Vorwürfe gegen Beatrix von Storch. Die AfD-Politikerin soll eine Hetzkampagne gegen einen „Sexualausbildungsleitfaden“ für Kinder und Jugendliche forciert haben. Von Storch streitet das ab.

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Die AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch: „Sexualausbildungsleitfäden für Kinder und Jugendliche, die Analverkehr und Sexspielzeuge zum  Inhalt haben, sind pervers.“ Quelle: picture alliance/dpa

Berlin Konservative Vertreter der Alternative für Deutschland (AfD) sympathisieren offenbar mit aggressiven Kampagnen gegen Wissenschaftler, die sich mit Themen der Geschlechter- oder Sexualitätsforschung beschäftigen. Zu diesem Schluss kommt eine dem Handelsblatt (Online-Ausgabe) vorliegende noch unveröffentlichte Studie des Soziologen Andreas Kemper im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung.

Im Fokus steht dabei auch die AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch. Ihr Kampagnen-Netzwerk „Zivile Koalition“ sei während einer von dem Bestseller-Autor Akif Pirincci angestoßenen „Hetzkampagne“ gegen die Kasseler Universitätsprofessorin Elisabeth Tuider durchgehend als „Multiplikator“ aufgetreten.

So sei in der zum Von-Storch-Netzwerk zählenden Internet-Zeitung „Freie Welt“ oder den Internet-Präsenzen „Familien-schutz.de“ und „Abgeordneten-Check.de“ entsprechende Beiträge „gespiegelt und verlinkt“ worden. „Hier fanden auch entsprechende Verharmlosungen statt“, heißt es in der Untersuchung mit dem Titel „Keimzelle der Nation. Zur Geschlechterpolitik der AfD nach der Europawahl 2014“.

Von Storch wies die Vorwürfe scharf zurück: „Weder ich noch meine Netzwerke beteiligen sich an Hetzkampagnen. Dieser Vorwurf ist seinerseits eine Hetzkampagne, wie von dem linksradikalen Autor Andreas Kemper aber auch nicht anders zu erwarten ist“, sagte die AfD-Politikerin dem Handelsblatt. Gleichwohl erklärte von Storch auch, dass die inhaltlichen Vorwürfe an Tuider „in der Sache uneingeschränkt zutreffend“ seien. „Sexualausbildungsleitfäden für Kinder und Jugendliche, die Analverkehr und Sexspielzeuge zum  Inhalt haben, sind pervers. Punkt.“

Konkret geht es um den von Wissenschaftlerin Tuider herausgegebenen Sammelband „Sexualpädagogik der Vielfalt“. Tuider wirbt in dem Buch für einen Sexualkundeunterricht, in dem es auch um Analverkehr oder Sexspielzeuge geht. Sie begründet ihren Vorstoß damit, dass die sexualpädagogische Praxis zeige, dass Kinder und Jugendliche Fragen auch zu solchen Themen hätten.

Pirincci nahm dazu am 3. Juli 2014 auf seiner Facebook-Seite Stellung – in einem Text, der, wie es in der Studie heißt, „in einer derartigen Hass-Sprache verfasst wurde, dass etliche Facebook-Nutzer Pirincci beipflichteten und die Hass-Spirale noch weiterdrehten“. Es sei „offen und mit eigenem Namen mehrfach zu Mord und Vergewaltigung gegen eine der Mitverfasserinnen des Sammelbandes von 2008 aufgerufen“ worden.

In dem Text von Pirincci heißt es mit Blick auf die Wissenschaftlerin untern anderem: „Noch vor 30 Jahren hätte man so eine Alte in den Knast gesteckt und sie so lange dort behalten, bis sie verrottet wäre.“ Tuider sei eine „dumm schwätzende und ausschließlich ihr abartiges Sexualleben im Auge behaltende irre Lesbe“ und „sexbesessene Zwangsjackenkandidatin“.

Die Online-Zeitung „Freie Welt“, die Sven von Storch, der Ehemann Beatrix von Storchs, herausgibt, greift die Attacken Pirinccis am 29. Juli 2014 in einem Beitrag von Georg Alfes auf. Alfes Artikel mit der Überschrift „Sachlich auseinandergesetzt“, so die Studie des Soziologen Kemper, suggeriere mit rhetorischen Fragen, dass die Auseinandersetzung des Autors Pirincci mit dem Sammelband „Sexualpädagogik der Vielfalt“ durchaus sachlich sei.

Pirincci ist bei der AfD ein gern gesehener Gast – trotz seiner heftigen Ausfälle. In Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen habe er Lesungen gehalten, die von der Alternative für Deutschland mitveranstaltet beziehungsweise mitfinanziert worden seien. Die Lesung in Sachsen, bemerkt Kemper, habe im Landeswahlkampf stattgefunden - nach den Schmähungen und Angriffen auf die Geschlechterforscherin.


Soziologenverband empört über „gewaltverherrlichende Tiraden“

Für Aufsehen sorgte nicht nur Pirincci. In der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung werden die Aktivitäten der AfD gegen sexualpädagogische Reformen generell kritisch gesehen. „Die Auseinandersetzung um Sexualpädagogik wurde von konservativer Seite nicht nur mit demokratischen Mitteln geführt, sondern ging mit persönlichen Angriffen einher, die in Mord- und Vergewaltigungsaufrufen mündeten“, heißt es in der Untersuchung. Und immer wieder werden Bezüge zum Von-Storch-Netzwerk hergestellt.

So etwa auch im Fall der Publizistin Birgit Kelle. Ihr Artikel „'Puff für alle' als pädagogisches Stilmittel“, der heftig gegen Tuiders Sammelband „Sexualpädagogik der Vielfalt“ polemisiert, wurde in der „Freien Welt“ veröffentlicht. Der Text taucht auch auf der Webseite „Familien-Schutz.de“ auf – als Link, der auf den Text bei der „Freien Welt“ zurückverweist.

Die Initiative Familienschutz führt im Impressum Hedwig Freifrau von Beverfoerde als Sprecherin auf. Der Name von Storch steht dort zwar nicht. Allerdings ist die Berliner Postadresse der Initiative identisch mit der Adresse der „Zivilen Koalition“ der Familie von Storch. Dort ansässig ist auch das Aktionsbündnis „Demo für alle“, hinter dem von Beverfoerde steht. „Wir gehen auf die Straße, um für die Wahrung der Elternrechte, Ehe und Familie und gegen Gender-Ideologie und Sexualisierung der Kinder zu demonstrieren“, heißt es in der Selbstdarstellung des Bündnisses.

Angesichts der gehäuften Aktionen und Attacken sah sich die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) veranlasst, sich nicht nur mit der Kasseler Professorin Tuider, sondern mit allen Wissenschaftlern, die sich mit den Themen Geschlechter- oder Sexualforschung beschäftigen, solidarisch zu erklären. Die Autoren solcher Attacken „verlassen mit ihren auf Personen zielenden, teilweise gewaltverherrlichenden Tiraden das gesellschaftliche Feld einer respektvoll und friedlich diskutierenden Öffentlichkeit“, heißt es in einer Stellungnahme des DGS-Vorstands. „Hier werden einzelne Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in einer Weise attackiert, die völlig unsachgemäß ist und in ihrem mehr als fragwürdigen Stil letztlich auf die Urheber selbst zurückfällt.“


Prominenteste Vertreterin des rechtskonservativen AfD-Flügels

Der Vorstand der Fachgesellschaft Gender e.V. beklagte am 23. Juli 2014 ebenfalls, dass Kollegen seit Monaten „in äußerst gewalttätiger Form“ diffamiert und bedroht würden. Bei den sexistischen und anti-demokratischen Beleidigungen handle es sich auch um einen „Angriff auf eine breite wissenschaftliche, soziale und kulturelle Bewegung, die ihren Ausdruck in den Arbeiten der betroffenen KollegInnen finden und deren Teil auch die Fachgesellschaft Geschlechterstudien ist.“

Die Angriffe versuchten, das interdisziplinäre Feld der Geschlechterforschung zu „diskreditieren und als unwissenschaftlich“ zu denunzieren. „Es geht also darum, den wissenschaftlichen Belang und die gesellschaftliche Autorität von Positionen in Frage zu stellen, die das, was als normal und gegeben erscheint, zum Gegenstand wissenschaftlicher Befragung machen.“

Dass im Zusammenhang mit Geschlechter- oder Sexualitätsforschung immer wieder Beatrix von Storch in Erscheinung tritt, kommt nicht von ungefähr. Die Familienpolitik ist ein Thema, dem sich von Storch auch als Europaabgeordnete verschrieben hat. „Für das Kindeswohl ist es am besten, in einer Familie mit seinem Vater und seiner Mutter aufzuwachsen“, ist sie überzeugt.

Die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften lehnt sie ebenso strikt ab wie die Politik des Gender Mainstreaming. „Der bipolare Geschlechterzwang, also die Biologie des Menschen, seine Natur, soll abgeschafft werden“, hatte sie einmal in einem YouTube-Video gesagt. Der „Tagesspiegel“ schrieb, sie werfe der EU vor, eine „Sexualausbildung ab der Grundschule“ zu planen, „Masturbationslerneinheiten für Null- bis Vierjährige“ zu fordern, und ein Recht auf Abtreibung als „europäisches Menschenrecht“ einführen zu wollen.

Beatrix von Storch, die einst für die Rückgabe von Ländereien und Schlössern zwischen Sachsen und Neubrandenburg zu Felde zog, die den meist adligen Besitzern von der Sowjetunion 1945 bis 1949 „unrechtmäßig entrissen“ wurden, ist die prominenteste Vertreterin des rechtskonservativen AfD-Flügels.

In einer von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung erstellten Analyse aus dem vergangenen Jahr, wird aufgelistet, mit welchen Mitteln die geborene Herzogin von Oldenburg versucht, sich mit ihrer Politik Gehör zu verschaffen. Dazu zähle die „vielfach als rechts eingestufte“ Internet- und Blogzeitung „Freie Welt“ und das Internetportal www.Abgeordneten-Check.de.

Das mit dem renommierten Grimme Online Award ausgezeichnete lobbykritische Onlinelexikon Lobbypedia kam zu dem Ergebnis, dass von Storch diese Plattformen für ihre „marktradikal-rechtspopulistischen Positionen und eine christlich-konservative Familienpolitik“ nutzt. Auch das Magazin „Cicero“ gab einen Einblick in die Arbeitsweise der von Storchs.

Demnach dient der von ihnen 2004 gegründete Verein „Zivile Koalition“ als zentrale Stütze für ihren Widerstand gegen den Euro-Rettungskurs, schreibt „Cicero“ in einem Von-Storch-Porträt mit der Überschrift „Ihr Hauptberuf ist Protest“ von Juni 2013. Angeschlossen an das straff organisierte kleine Protest-Unternehmen sei die „Initiative Familienschutz“, die sich für das Betreuungsgeld und gegen die Homo-Ehe stark macht.


Auch CDU-Politikerin ist Teil des Von-Storch-Netzwerks

Argumente für die politischen Positionen entwickelt der hausinterne Think-Tank „Institut für strategische Studien“. In die Öffentlichkeit getragen werden sie über die eigene Online-Zeitung „Freie Welt“. Mit Hilfe der die Website „Abgeordneten-Check“ würde zudem Druck auf Parlamentarier ausgeübt.

Zu von Storchs Netzwerk zählen weitere Vereine, die ihr als politische Kampfinstrumente dienen: Mit der „Allianz für den Rechtsstaat“ machen sie und ihr Mann, der den Verein anführt, dagegen mobil, dass Helmut Kohl einst die Enteignungen der DDR-Bodenreform anerkannt hat.

Der „BürgerKonvent“, der neben von Beatrix von Storch unter anderem auch von der ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld angeführt wird, setzt sich laut Recherchen der CDU-nahen Adenauer-Stiftung als „Apo von rechts“ für die Rückführung des Staates auf Kernkompetenzen und den Abbau von Sozialleistungen zugunsten privater Vorsorge ein.

Auf Politiker solle Druck in diese Richtung ausgeübt werden mittels eingekaufter und professioneller Kampagnenpolitik, die „von oben“ zum Protest aufrufe, schrieben die Experten Stiftung in ihrer AfD-Analyse. „Die Strukturen sind intransparent und nicht demokratisch.“

AfD-Chef Bernd Lucke fand bisher nichts Anstößiges an den Aktivitäten der Juristin von Storch. Privatrechtliche Auseinandersetzungen kenne er ohnehin nicht und kommentiere sie daher auch nicht, wiegelte er schon vor einem Jahr ab. „Frau von Storch hat sich mit ihrem Kampf gegen die angebliche Rettungspolitik große Verdienste erworben“, sagte er stattdessen. Und fügte hinzu: „Sie ist eine untadelige Demokratin.“

Eine Anfrage des Handelsblatts zu den möglichen Verstrickungen von Storchs in Hetzkampagnen gegen Wissenschaftler ließ Lucke unbeantwortet.

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