Bedingungsloses Grundeinkommen Geld für gar nichts?

Bedingungsloses Grundeinkommen: Faulenzen im Garten. Quelle: Getty Images

1000 Euro im Monat, einfach so und für jeden? Die Idee eines staatlich finanzierten Grundeinkommens wird konkret. Doch ist sie eine Revolution oder Attacke auf die Arbeitsmoral? Ein Streitgespräch.

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WirtschaftsWoche: Herr Straubhaar, als einer der wenigen deutschen Ökonomen werben Sie für das bedingungslose Grundeinkommen. Haben Sie sich mit einer Position schon einmal derart ins Abseits manövriert?
Straubhaar: Bei der Agenda 2010 vielleicht. Da hatte ich auch versucht, das Grundeinkommen unterzubringen. Schon da sagten die meisten: Wie kann ein Neoliberaler so etwas vorschlagen?

Und Ihre Antwort darauf?
Straubhaar: Seit meinem Studium bin ich sozialliberal. Mein Grundsatz war schon immer, dass es zwischen Markt und Effizienz auf der einen und Gerechtigkeit und Umverteilung auf der anderen Seite keine Gegensätze gibt, sondern eine „Irenik“ – also eine Harmonie, wie Alfred Müller-Armack, der geistige Vater der Sozialen Marktwirtschaft, dies nannte.

Hassel: Aber aus diesem Grundsatz ergibt sich doch keine Notwendigkeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen! Was die Menschen brauchen, ist eine gute Schulbildung, eine gute Ausbildung und ein funktionierender Arbeitsmarkt. Das wird vom Grundeinkommen nicht geleistet, im Gegenteil. Alles, was der Staat bislang an Unterstützung leistet, wäre dann nicht mehr wichtig, weil es in die Hand des Individuums gelegt wird. Diesen Weg finde ich falsch.

Straubhaars Modell zur Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens

Als Vertreterin einer gewerkschaftsnahen Institution müssten Sie diese massive Umverteilung eigentlich gut finden.
Hassel: Nein, denn dadurch würden ja alle sozialen Sicherungssysteme wegfallen. Das wäre ein fataler Fehler. Wir würden alles dem Einzelnen oder dem Markt überlassen, also den privaten Kranken- und Rentenversicherungen. Doch das sind keine Solidargemeinschaften. Das wäre ein Rückschritt in unserer Entwicklung des Wohlfahrtsstaates. Stattdessen hätten wir eine Gießkanne, die über alle Menschen einen gewissen Geldbetrag ausschüttet.

Straubhaar: Mit der Gießkanne hat das gar nichts zu tun. Derzeit ist es so, dass von den 1,5 Billionen Euro, die der Staat jährlich ausgibt, etwa zwei Drittel für den Sozialstaat verwendet werden und etwa ein Drittel für alle übrigen Staatsaufgaben, also auch Bildung und Sicherheit. Vom letzten Drittel würde ich nicht einen Euro wegnehmen. Aber die 1000 Milliarden, die man für den Sozialstaat ausgibt, sollte man so effizient wie möglich einsetzen.

Wie denn?
Straubhaar: Ich schlage ein System vor, bei dem alle ein gleiches Grundeinkommen erhalten. Alle zahlen auf jeden Euro, den sie verdienen – unabhängig ob aus Arbeit, Zinsen, Gewinnen, Dividenden, Mieteinnahmen oder sonst woher –, vom ersten bis zum letzten Euro immer einen gleichbleibenden Steuerbetrag von beispielsweise 50 Prozent. Mit einer Gießkanne hat es deshalb nichts zu tun, weil in der Gesamtabrechnung nur Arme netto vom Staat Geld erhalten, Gutverdienende aber – wie bisher auch – netto Steuern zahlen.

Konzepte zur Förderung eines bedingungslosen Grundeinkommens

Ist das Grundeinkommen also in Wahrheit nur eine etwas ambitioniertere Steuerreform?
Straubhaar: Es gibt vier Eckpfeiler, die das Grundeinkommen nötig machen: Wir müssen weg von einem Sicherungssystem, das auf dem Faktor Arbeit basiert, und stattdessen auch Kapital, unternehmerische Wertschöpfung und alle anderen Einnahmen angemessen besteuern. Es wird durch den technischen Fortschritt künftig weniger Arbeit geben. Dann müssen wir das Sozialsystem einfacher machen, denn jede Ausnahme ist ein Privileg für wenige und belastet alle anderen. Wir sollten außerdem die Menschen ermächtigen, selbst zu entscheiden, ob und was sie arbeiten. Und wir müssen Geringverdiener entlasten.

Hassel: Ich habe überhaupt nichts dagegen, Kapitaleinkommen höher zu besteuern. Womit ich ein Problem habe, ist die Grundannahme, dass wir Beschäftigung verlieren. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen. Wir haben den höchsten Beschäftigungsstand seit 25 Jahren. Mit dem Grundeinkommen gäbe es eine Gruppe, die nicht mehr am Erwerbsleben teilnehmen würde. Das wäre ein Nachteil für die soziale Mobilität in diesem Land.

Wie viele Menschen würden denn auf Arbeit verzichten – und mit dem Grundeinkommen das Leben genießen?
Hassel: Es hat in den Siebzigerjahren einige Experimente mit Grundeinkommen in den USA gegeben. Das Ergebnis: Das Beschäftigungsvolumen derjenigen, die an dem Programm teilnahmen, sank um ungefähr fünf Prozent.

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