Bedrohte Gülen-Anhänger Grüne fordern Ausweisung türkischer Agenten

Der türkische Geheimdienst steht im Verdacht, auch in Deutschland gegen Oppositionelle vorzugehen. Die Grünen haben dafür konkrete Anhaltspunkte und fordern nun ein Einschreiten der Bundesregierung.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Demo gegen Kritiker des türkischen Staatspräsidenten Erdogan in Köln: Auch in Deutschland gerät die Gülen-Bewegung zunehmend ins Visier Ankaras. Quelle: AP

Berlin Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele hat die Bundesregierung aufgefordert, gegen die Bedrohung türkischer Oppositioneller in Deutschland durch den türkischen Geheimdienstes MIT vorzugehen. „Gegen mutmaßliche Agenten muss ein Strafverfahren eingeleitet werden, mit der möglichen Konsequenz, dass die Beschuldigten bestraft und ausgewiesen werden“, sagte Ströbele dem Handelsblatt. Es gehe hier um Straftaten. „Geheimdiensttätigkeiten für eine fremde Macht gegen Deutschland sind strafbar.“

Auch der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sieht Handlungsbedarf. „Der türkischen Regierung muss die Bundesregierung unmissverständlich klarmachen, dass man es nicht toleriert, wenn der Geheimdienst eines zunehmend autoritär geführten Landes glaubt, derart in Deutschland agieren und Einfluss auf das Leben von Menschen und öffentliche Diskussionen nehmen zu können“, sagte von Notz dem Handelsblatt. Es sei nicht hinnehmbar, wenn ausländische Geheimdienst-Mitarbeiter versuchten, „bei uns lebende Menschen einzuschüchtern und verdeckt Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen“. Die geheimdienstlichen Aktivitäten müssten „schnellstmöglich“ unterbunden werden.

Die Aktivitäten türkischer Agenten waren vergangene Woche auch Thema einer Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr), das für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig ist. Ströbele ist Mitglied in dem Gremium ist. Zum Inhalt der Sitzung machte er keine Angaben. Es gebe nach seiner Kenntnis jedoch „durchaus Anhaltspunkte dafür, dass mutmaßliche Agenten im Auftrag der türkischen Regierung versuchen, Einfluss auf Oppositionelle in Deutschland auszuüben“, sagte er.

„An mich haben sich zwei Leute türkischer Herkunft gewandt, die mir berichtet haben, dass auf sie Druck von türkisch sprechenden Personen ausgeübt worden sei und sie bedroht worden seien.“ Er erwarte daher, dass die Bundesregierung und die Sicherheitsbehörden der Sache auf den Grund gehen. „Solche Einflussnahme durch türkische Agenten muss unterbunden werden - die notwendigen Konsequenzen müssen gezogen werden“, betonte Ströbele.

Über die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes in Deutschland berichtete jüngst die „Welt am Sonntag“. Danach soll der MIT ein umfangreiches Agenten- und Spitzelnetzwerk in der Bundesrepublik aufgebaut haben. Hauptzielrichtung der Agenten sind demnach inzwischen vor allem die Anhänger des Islam-Predigers Fetullah Gülen.


Brisante Erkenntnisse in NRW über islamisch-türkischen Dachverband

Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Ali Toprak (CDU), sagte der Zeitung: „Die Erdogan-nahen Organisationen in Deutschland wie der Islamverband Ditib oder der AKP-Ableger UETD müssen verstärkt unter die Lupe genommen werden. Da ist auch der Verfassungsschutz gefordert.“

Die Forderung erhält zusätzliches Gewicht durch Erkenntnisse der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, wonach der Ditib-Dachverband gegen Anhänger der Gülen-Bewegung vorgeht. Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) berichtete am Montag in Düsseldorf über entsprechende Ermittlungsergebnisse. Demnach sei von einem Imam der Ditib-Moschee in Iserlohn dazu aufgerufen worden, der türkischen Regierung Gülen-Sympathisanten zu melden. Anderenorts sei der Zutritt zum Freitagsgebet verwehrt worden. Nach Angaben des Ministers habe es außerdem Verabredungen zu Gewalttaten gegen regierungskritische Gülen-Anhänger gegeben.

In Hessen soll der Ditib-Verband nach den Worten von Landeskultusminister Lorz auf seine Eignung als Kooperationspartner beim Religionsunterricht überprüft werden. Bisher gebe es jedoch keine Rückmeldungen, die Anlass zu Bedenken böten, sagte der CDU-Politiker der FAZ.

Der Dachverband Ditib hat in der Vergangenheit stets auf seine Unabhängigkeit von der türkischen Regierung hingewiesen. Doch daran gibt es schon länger Zweifel.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan macht den im US-Exil lebenden Prediger Gülen und dessen Anhänger für den Putschversuch von Militärs Mitte Juli verantwortlich. Belege dafür blieb Erdogan bislang schuldig. Gleichwohl versucht seine Regierung seit Wochen, Deutschland und andere Staaten für einen harten Kurs gegen die Gülen-Bewegung zu gewinnen. So schickten die türkischen Behörden zwischen dem 15. Juli und dem 17. August 40 Fahndungs- und drei Auslieferungsersuchen an die Bundesregierung sowie drei Ersuchen in anderen Rechtshilfeangelegenheiten. Derart viele Anfragen aus der Türkei kommen sonst nicht.


Größeres Agentenheer als die Stasi

Der „Welt am Sonntag“ sagte kürzlich ein Sicherheitspolitiker, der MIT verfüge neben einer großen Zahl hauptamtlicher Agenten bundesweit über ein Netz von 6000 Informanten. Somit käme ein Zuträger auf 500 türkischstämmige Bürger. „Hier geht es längst nicht mehr um nachrichtendienstliche Aufklärung, sondern zunehmend um nachrichtendienstliche Repression“, sagte der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom dem Blatt. Die Überwachungsdichte sei enorm: „Selbst der Stasi ist es nicht gelungen, in der Bundesrepublik ein so großes Agentenheer aufzubauen.“

Die Kanzlerin schweigt zu den Vorwürfen gegen den wichtigsten Partner im Flüchtlingsdeal. Man wolle demnächst aber den Bundestag informieren – womöglich ist dies bereits geschehen, in der Sitzung des parlamentarischen Geheimdienstgremiums vergangene Woche. Dass die türkischen Dienste in Deutschland tätig sind, ist unbestritten. Im vergangenen Jahr mussten sich in Koblenz drei Männer vor dem Oberlandesgericht wegen Spionage verantworten. Ihnen wurde vorgeworfen, in Deutschland Kritiker Erdogans ausgespäht zu haben.
Die Beziehungen der deutschen Dienste zum MIT sind nicht zu unterschätzen, etwa was die Zusammenarbeit im Antiterrorkampf anlangt. Der Grünen-Politiker Ströbele hält eine Kooperation im Rahmen der Terrorabwehr auch für sinnvoll. „Allerdings haben die türkischen Agenten auch viele hier in Deutschland lebende Türken im Visier, die mit Terrorismus überhaupt nichts zu tun haben, sondern mit Oppositionellen“, sagte Ströbele. „Das können wir nicht hinnehmen.“
Für den Grünen-Fraktionsvize von Notz stellt in dieser Hinsicht nicht nur die Türkei ein Problem dar. „Ein ähnliches Agieren beobachten wir seit Monaten auch von anderen Regierungen und ihren Geheimdiensten“, sagte von Notz. „Die Bundesregierung muss ihre Bemühungen dringend intensivieren, Desinformation, illegitime Einflussnahme und Einschüchterung von bei uns lebenden Menschen durch Geheimdienste autoritärer Länder effektiv zu unterbinden.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%