Berlin intern

Die innere (Un)Sicherheit

Gregor Peter Schmitz
Gregor Peter Schmitz Ehem. Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Alle Parteien überbieten sich mit Vorschlägen zum Antiterrorkampf. Aber keiner weiß, wer davon profitieren wird.

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Wovor die Deutschen Angst haben
Zusammenbruch des StromnetzesSechs Prozent der Deutschen machen sich große Sorgen um Stromausfälle. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die das Institut für Demoskopie Allensbach und das Centrum für Strategie und Höhere Führung für die Deutsche Telekom durchgeführt hat. Generell ist die Bevölkerung demnach derzeit so besorgt um ihre Sicherheit wie in keinem der vorangegangen fünf Jahre. Quelle: DPA
Verkehrsunfälle Der Umfrage zufolge machen sich 14 Prozent der Befragten Gedanken, in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden. Befragt wurden rund 1.500 Personen aus einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ab 16 Jahre im August dieses Jahres. Quelle: DPA
Spionage15 Prozent der Befragten gaben an, sich Sorgen darüber zu machen, dass andere Staaten wie die USA oder China die deutschen Bürger zu sehr überwachen, indem sie etwa ihr Telefon oder die Internetverbindung ausspionieren. Quelle: DPA
DigitalisierungNoch mehr beunruhigt die Deutschen, dass man durch die Digitalisierung von Computern abhängig ist. 16 Prozent gaben an, sich darüber große Sorgen zu machen. Quelle: DPA
ÜberwachungMehr als vor Spionage im Ausland fürchten sich die Befragten davor, dass der deutsche Staat seine Bürger zu sehr überwacht. 16 Prozent legten bei den persönlichen Interviews diese Karte auf den Stapel: große Sorgen. Quelle: DPA
Radioaktive VerstrahlungOffenbar nimmt die Energiewende den Deutschen die Angst: Auch wenn immer noch 17 Prozent Sorgen vor einem Unfall in einem Kernkraftwerk haben, gehen doch immerhin 45 Prozent davon aus, dass dieses Risiko in Zukunft weniger wird. Nur 23 Prozent glauben, es steigt. Quelle: DAPD
ArbeitslosigkeitDass nur 19 Prozent der Bevölkerung sich Gedanken darum macht, in Zukunft den Arbeitsplatz zu verlieren, führen die Autoren der Studie auf die robuste Konjunkturlage in Deutschland zurück. Vor drei Jahren waren es noch 25 Prozent. Quelle: DPA

Wer sagt denn, unsere Politiker könnten sich auf nichts mehr einigen? In der Frage, was 2017 wichtigstes Wahlkampfthema werden soll, sind sich Schwarze, Grüne, Rote und Gelbe erstaunlich einig: die innere Sicherheit. Kanzlerin Angela Merkel ließ ihren Innenminister nach den Terrortoten von Berlin eine ganz neue Sicherheitsarchitektur zimmern. Die CSU rammt dazu beinahe im Stundentakt frische Pflöcke ein. Und die Spitzen von SPD, Grünen und Liberalen streiten sich eigentlich nur noch darum, ob Sicherheit nun ein sozialdemokratisches, grünes oder gar liberales Kernthema sei.

Eins ist im politischen Geschäft mit der Sicherheit aber auch sicher: Nicht alle werden damit gewinnen. Erstaunlicherweise könnte Merkel – die sich doch anhören musste, die Berliner Toten seien auch ihre – am ehesten vom neuen Drang nach Sicherheit profitieren. Zwar gaben in einer Forsa-Umfrage rund zwei Drittel der Bürger an, eine Debatte zur inneren Sicherheit werde Merkel im Wahlkampf schaden. Aber in Zeiten der Erschütterung neigen Bürger dazu, sich hinter ihrer Regierung zu versammeln, das ist in Wahltrends diesmal auch erkennbar. Zumal die große weite Welt durch Trump, Putin oder Brexit ja kaum sicherer zu werden verspricht. Außerdem bleibt Merkel populär. Wahrscheinlich ist sie sogar für eher linke Wähler – die sie früher niemals gewählt hätten, aber ihren Flüchtlingskurs unterstützten – populärer denn je.

Ohnehin kann die SPD mit Sicherheitskompetenz kaum punkten, seit dem Abgang des roten Sheriffs Otto Schily klafft dort eine Lücke. Auch ist nicht einmal klar, wie entschlossen sich die Partei hinter Sigmar Gabriel versammelt, wenn er Ende Januar endlich seine Kanzlerkandidatur erklärt. Grüne oder Linke wiederum werden sich schwertun in einer Republik, die gerade einen latenten Rechtsruck zu vollziehen scheint.

Das heißt aber keineswegs, dass sich Merkel ihrer Sache – und eines neuen Regierungsmandats – sicher sein kann. In der alten Republik ging es bei der Kanzlerfrage meist auch um die Koalitionsfrage, ob diese nun Schwarz-Gelb versprach oder Rot-Grün. Die derzeit bestehende große Koalition will aber keiner mehr, nicht einmal die schwächelnde SPD. Doch wo ist die Alternative, wo ist die Partei, die etwa von einer Zweitstimmenkampagne profitieren könnte? Die FDP schielt eher aufs Überleben als aufs Mitregieren. Die AfD hingegen könnte kräftig zulegen, aber koalieren will niemand mit ihr.

Das macht diese Wahl so volatil, für den Wähler, aber erst recht für die Politiker. Starke Grüne könnten mit Merkel regieren, aber vielleicht auch mit den Roten und den Tiefroten. Oder doch auch mit den Gelben von der FDP? Eine Vizekanzlerin Sahra Wagenknecht wäre genauso denkbar wie ein Außenminister namens Cem Özdemir oder Christian Lindner.

Denkbar wäre sogar eine Minderheitsregierung – oder eine Koalition, deren Farben wir uns noch gar nicht vorstellen können. Beides womöglich getragen von einer Kanzlerin, die keine schlüssige Erklärung abgeben konnte, warum sie es noch mal wissen will. Zur inneren Sicherheit tragen all diese Gedanken nicht bei.

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