Berlin intern

Die wahrlich seltsame Kandidatenkür der SPD

Gregor Peter Schmitz
Gregor Peter Schmitz Ehem. Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Stur tun die Sozialdemokraten, als sei die Kanzlerkandidatur weiter offen. So zeigen sie ihr Talent zur Selbstdemontage.

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Die wahrlich seltsame Kandidatenkür der SPD. Quelle: dpa

Die SPD hat sich ganz neu aufgestellt. Vorbei die Zeiten, da Parteigewaltige – allen voran NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft – wisperten, genau zu wissen, wer ihr Kanzlerkandidat werde. Um hinzuzufügen: Sie würden es aber niemandem sagen. Mittlerweile gilt: Jeder Genosse weiß, wer Kandidat der SPD wird. Nämlich Parteichef Sigmar Gabriel. Nur darf es immer noch keiner öffentlich sagen.

Wem so eine Art von Kandidaten-Kommunikation verbesserungsbedürftig erscheint, unterschätzt das Talent sozialdemokratischer Wahlkämpfer zur Selbstbehinderung. Nach einer Klausurtagung am 29. Januar soll die Personalie endlich der Republik verkündet werden, so will es die Parteiregie. Bis dahin muss eisern getan werden, als gäbe es – nicht bloß im Falle von Krankheit oder akuter Unlust – eine Alternative zu Gabriel. Und dies, obwohl sich der einzige ernsthafte Konkurrent, Europapolitiker Martin Schulz, im Gespräch mit Vertrauten längst selber aus dem Rennen genommen hat.

Öffentlich durfte Schulz selbst das nicht tun, weil man verhindern wollte, was 2013 Peer Steinbrück widerfuhr. Der musste nach Gabriels Absage Knall auf Fall Kanzlerkandidat werden, mit bekanntem Ausgang. Ähnliches will man Gabriel ersparen. Was nicht heißen soll, dass er nicht ran muss. Schon auch aus Eigeninteresse, weil er sich nur so langfristig den SPD-Parteivorsitz sichern kann.

von Max Haerder, Gregor Peter Schmitz, Silke Wettach

Auch vielen Genossen wird das Warten aber lang. Daher könnte die Sache nun ihre eigene Dynamik entfalten, heißt es. Sprich: Schon nach einem Geheimtreff am 10. Januar bei Düsseldorf – Teilnehmer unter anderem: Gabriel, Schulz, Kraft und wenige SPD-Auserwählte – könnte die SPD Gabriel öffentlich ins Rennen gegen Kanzlerin Angela Merkel schicken.

Vielleicht hat Gabriel als offizieller Kandidat mehr Glück als in den vergangenen Wochen als Kandidaten-Kandidat. Da hatte er sich einen Termin für eine – wegen Diabeteserkrankung angezeigten – Operation auf die ruhige Vorweihnachtszeit gelegt. Aber die Terrornacht von Berlin warf dann doch die Frage auf, wo der SPD-Chef stecke, und lenkte das Licht grell auf die Magenverkleinerung, die seine Leute wohl gerne klein gehalten hätten.

Die Stärken und Schwächen der möglichen SPD-Kanzlerkandidaten

Und dann setzte sich der als eifriger (Selbst-)Schreiber bekannte Gabriel zwischen den Jahren hin, um ein Papier zur inneren Sicherheit zu entwerfen – weil er weiß, dass seit dem Abgang von Otto Schily dort eine echte Lücke für die SPD klafft, weswegen sie von Merkels Schwäche bei diesem Thema kaum profitieren kann. „Zeit für mehr Sicherheit in Zeiten wachsender Unsicherheit“, hieß das sieben Seiten lange Werk, darin kluge Sätze, etwa dass öffentliche Sicherheit ein „ursozialdemokratisches Thema“ sei. Doch als Gabriel es am Dienstag in der Tagesschau exklusiv enthüllte, überschlug sich Berlin schon zu den Forderungen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (siehe Seite 26). Verschnupft konterte Gabriel, solche Pläne dauerten Jahre, und dann „würden sich die Sicherheitsbehörden mit sich selber beschäftigen, statt Verbrecher und Terroristen zu jagen“. Man sollte dem Mann zuhören: Wie es ist, sich mit sich selber zu beschäftigen, weiß niemand besser als ein Chef der SPD.

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