Berlin intern

Herr Deutschland

Finanzminister Schäuble soll qua Amt die Weltwirtschaft retten. Dabei würde er lieber Deutschland retten.

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Finanzminister Schäuble würde gerne auch Deutschland retten. Quelle: dpa

Wolfgang Schäuble, oberster Kassenwart der Bundesrepublik Deutschland, sitzt im Ballsaal eines Hotels in Shanghai, die örtliche Handelskammer hat geladen, jede Menge Geld ist im Publikum versammelt. Einer dieser Geldmenschen, ein Fondsmanager mit großer Brille, will jetzt von Schäuble etwas wissen, was nützlich fürs Geschäft sein könne. „Welche Auswirkungen wird die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank auf die Märkte haben?“, fragt der Mann, er spricht sehr schnell, time is money. Und wie es um die „spreads“ bestellt sei?

Es ist eine völlig legitime Frage, auch für diese Themen ist Schäuble schließlich bis nach Shanghai gereist, zum G20-Treffen der Finanzminister. Es ist nur eine Frage, die man nicht unbedingt Wolfgang Schäuble stellen darf. „Ach ja“, antwortet der Minister, er dehnt die beiden Worte, bis auch der letzte Zuhörer im Saal denken muss, was war das denn für eine alberne Frage. „Sie werden ziemlich enttäuscht sein“, sagt Schäuble schließlich, aber als Minister könne er zu diesen Geldmarkthemen wenig sagen. Das Publikum kichert.

Es sagt viel über Schäuble, dass ihm niemand derlei Launigkeit übel zu nehmen scheint. Wenn der Christdemokrat um den Globus reist, reist nicht mehr ein Finanzminister mit engem Ressortblick auf Zinsen oder Marktentwicklungen an, sondern mindestens ein Elder Statesman (mit dem Vorteil, noch im Amt zu sein). In Shanghai zeigt ein chinesischer Handelskammergast auf Schäuble und sagt aufgeregt zu seinem Tischnachbarn: „Herr Deutschland.“

Was die G20 sich vornehmen

Heimlich gefällt Schäuble diese unheimliche Wirkung. Er kokettiert damit, dass ihn der kassenwärterische Blick vieler Finanzministerkollegen langweile. Wer Schäuble zum Reden bringen will auf langen Reisen, fragt nicht nach Zinssätzen, sondern der aktuellen Polarisierung der deutschen Gesellschaft oder dem Zerfall der Volksparteien. Dazu redet der Veteran im Kabinett so klug und wach, als läge ein Rettungsplan für Deutschland bereits fertig getippt in seiner Schublade.

Deswegen war es auch kein Zufall, dass Schäuble bei der G20-Abschlusskonferenz die Forderung von Vizekanzler Sigmar Gabriel nach einem Sozialpaket für Deutsche – damit die bloß nicht neidisch auf Flüchtlinge werden – „erbarmungswürdig“ nannte. Das böse Wort war nicht geplant, aber unabsichtlich fiel es auch nicht. „Es ist Wahlkampf“, sagten seine Leuten schlicht, selbst in China.

Schäuble mag Wahlkampf. Aber er macht keinen für sich selbst. Egal, wie unpopulär Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Partei noch wird, putschen wird Schäuble nicht gegen sie. Übergangskanzler nach einem Merkel-Rücktritt? Vielleicht. Aber selbst dafür müsste ihn die SPD mit wählen. Wie skeptisch viele Sozialdemokraten Schäubles liberal-konservative Weltsicht bewerten, hat das SPD-Wutgeheul nach dessen Attacke gegen Gabriel gezeigt. Außerdem ist der Mann 73, und so viel Respekt vor Älteren wie die Chinesen haben Deutsche doch nicht.

Also wird selbst nach einer CDU-Schlappe bei den Landtagswahlen am Sonntag wohl alles bleiben wie gehabt. Schäuble kann weiter um die Welt fliegen, ein paarmal allein dieses Jahr noch zum G20-Gastgeber China. Er wird dort im Geiste und in Worten Deutschland retten, ohne es zu Hause in letzter Konsequenz tun zu dürfen. Zumindest dies dürfte ihn mit Sigmar Gabriel verbinden.

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