Berlin intern

Hinterm Steuer sind Politiker auch nur Menschen

Cordula Tutt Quelle: Barbara Dietl
Cordula Tutt Autorin Wirtschaft & Politik (Berlin)

Politiker sind im Wahlkreis ihr eigener Chauffeur – und kommen zwischen Schützenfest und Sozialstation mit Verkehrsregeln ins Gehege. Das interessiert die Wähler zu Recht - und gefährdet immer wieder das Politiker-Image.

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Andrea Nahles Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche

Es trifft alle: Schwarze, Rote, Grüne, Männer und Frauen. Mal fahren sie zu schnell, mal klappt das Einparken nicht, vielleicht ist Alkohol im Spiel. Zuletzt musste sich der Chef des Verkehrsausschusses im Bundestag, Martin Burkert (SPD), erklären.

Der Nürnberger Abgeordnete schildert, sein Wagen sei auf der A 6 von einem Fahrzeug berührt worden. Er habe in eine Ausfahrt ausweichen können. Dann sei er zur Polizei gefahren. Die andere Fahrerin gab hingegen an, der Politiker habe sie abgedrängt, sie sei gegen dessen Pkw geprallt. Ermittelt werden soll wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Burkert: „Heute weiß ich, das Beste ist: Anhalten, Handy nehmen, Polizei holen.“ Er sei nicht alkoholisiert gewesen.

Mit den Behörden zu tun hat auch Bodo Ramelow (Die Linke), wohl nächster Ministerpräsident in Thüringen. „Bild“ zeigte ein Foto auf der B 7 vom April. Ein Skoda, der dem Linken-Vormann gehört, wurde mit 96 Stundenkilometern geblitzt, erlaubt sind 60. Zu sehen sind ein Fahrer mit Ramelow-typischem Rollkragen, ein ihm ähnliches Kinn und der Rand der bekannten Brille. Doch der Rückspiegel verdeckt die Augen. Auf seiner Netzseite bestreitet Ramelow nicht direkt, dass er fuhr. Trotzdem wehrt er sich: „Laut meinem Kalender war ich da aber gerade auf dem Weg nach Wien.“ Gegen den Strafzettel schaltete er einen Anwalt ein.

So viel nehmen deutsche Städte mit Blitzern ein
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat 150 Städte befragt, wie hoch ihre Einnahmen aus Geschwindigkeitskontrollen im Jahr 2012 gewesen sind. Nicht im Ranking enthalten sind Großstädte wie Berlin, Hamburg und München, da die Städte trotz gesetzlicher Auskunftspflicht nicht auf die Anfrage des DAV reagiert haben. "Von den angeschriebenen Städten haben wir bisher nur 34 Fragebögen, zum Teil mit unvollständigen Angaben, zurückbekommen. Sechs dieser Städte haben außerdem die übermittelten Daten nicht zur Veröffentlichung freigegeben", sagte Jens Dötsch vom DAV gegenüber der Bild-Zeitung. Quelle: dpa
Die meisten Radarfallen gibt es übrigens in Berlin: In der Hauptstadt stehen 22 festinstallierte Blitzer. Hinzu kommen 100 mobile Geschwindigkeitskontrollen. Zweitplatzierter ist Düsseldorf mit 37 stationären und mobilen Radarfallen. Danach kommt Hamburg mit 34 Blitzern, Stuttgart mit 32, Freiburg mit 24 sowie Bremen und Aalen mit je 20 Blitzern. Die 34 Städte, die der DAV ausgewertet hat, haben zusammen mehr als 500 stationäre und mobile Blitzsysteme. Quelle: dpa
Platz zehn: PforzheimDie baden-württembergische Stadt Pforzheim hat laut DAV-Angaben im vergangenen Jahr 1,4 Millionen Euro durch Radarkontrollen eingenommen. Zweckgebunden sind die Gelder, die Raser an die Kommunen zahlen übrigens nicht. Sie fließen in den Gesamthaushalt.
Platz neun: MünchenDie bayerische Landeshauptstadt verdiente an Autofahrern mit Bleifuß vergangenes Jahr 1,9 Millionen Euro. Quelle: AP
Platz acht: BonnAuch die frühere Bundeshauptstadt Bonn konnte sich 2012 über Zusatzeinnahmen aus den Radarkontrollen freuen: Insgesamt flossen 2,5 Millionen Euro in den Haushalt der Stadt. Und es dürfte künftig noch mehr werden: Die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen dürfen nämlich künftig ohne polizeiliche Zustimmung blitzen. Radarfallen können also auch in Bonn in Zukunft unabhängig von dem Gefahrenpotential einer Verkehrsstelle aufgebaut werden. Der DAV vermutet hinter dieser Regelung Abzocke der Autofahrer. Quelle: dpa
Platz sieben: FrankfurtNach Meinung des Deutschen Anwaltverein werden die anderen Bundesländer dem Beispiel Nordrhein-Westfalen folgen. Allein dem hessischen Frankfurt könnte eine solche Lockerung der Blitzer-Richtlinien einiges einbringen. Im vergangenen Jahr verdiente die Bankenstadt am Main 2,7 Millionen Euro mit Rasern. Quelle: dpa
Platz sechs: NürnbergIm fränkischen Nürnberg konnte sich die Stadtverwaltung 2012 über 2,8 Millionen Euro an zusätzlichen Einnahmen freuen. Quelle: dpa

Als Autofahrer reagieren Politiker wie Normalos. Wähler strafen ihre Abgeordneten selten für ein Versagen, eher dafür, wie sie mit Fehlern umgehen. In puncto Reue schneidet Burkert besser ab als Ramelow.

Bosbach bittet um Verständnis

Auf Diskretion hoffen Politiker umsonst. Staatsanwälte melden sich mit dem Knöllchen beim Bundestag, der Immunitätsausschuss hat 48 Stunden Zeit. Erfolgt kein Einspruch, wird der Bescheid verschickt. Doch irgendwer sticht immer was durch.

Das findet Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses, in Ordnung. „Natürlich haben die Leute auch jenseits der Politik ein großes Interesse an uns.“ Der Rheinländer, der zeitweilig 14 Punkte auf dem Flensburger Konto hatte, machte den „Idiotentest“ deshalb lieber fern der Wähler, in der Hauptstadt. Er rät den Kollegen: „Nicht tricksen, sondern offen sein.“ Aber Bosbach bittet auch um Verständnis. „Nach einer Veranstaltung um 22 oder 23 Uhr hat man nur noch den Wunsch: nach Hause!“

Bekannt wurden die Vergehen heutiger Bundesministerinnen der SPD – beide mit ländlichem Wahlkreis und viel Fahrpraxis. Nach Medienberichten verursachte Umweltministerin Barbara Hendricks 2013 beim Ausparken einen harmlosen Blechschaden und hinterließ zunächst die Visitenkarte. Den Schaden beglich sie, doch ermittelte die Polizei wegen Fahrerflucht.

Ähnlich erging es Arbeitsministerin Andrea Nahles bereits 2008. Sie zahlte ein Bußgeld, weil sie die Visitenkarte ans touchierte Auto klemmte, aber nicht lange wartete.

Tragischer mutete 2011 Andreas Schockenhoffs Patzer an – auch beim Parken. Schnell wurde über Ermittlungen wegen Unfallflucht und Trunkenheit berichtet. Der CDU-MdB räumte ein Alkoholproblem ein.

Das zeigt, dass autofahrende Politiker ihr Image gefährden. Dagegen wehrte sich jüngst Tübingens OB Boris Palmer (Grüne). Er fand den städtischen Parkplatz verstellt und parkte das andere Auto zu. Die Falschparkerin zeigte an, ihr Lack sei beschädigt. Die Posse drang im Wahlkampf schnell an die Öffentlichkeit. Nicht gut schnitt dabei die Fitnesskette „Clever Fit“ ab, zu der das Auto gehörte. Schlau eingeparkt hatte die Mitarbeiterin wirklich nicht.

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