Berlin intern

Lest meine Lippen: Keine neuen Steuern

Gregor Peter Schmitz
Gregor Peter Schmitz Ehem. Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Die CDU trotzt Kanzlerin Merkel ein Gelübde gegen Steuererhöhungen ab. Gut so: Parteien müssen unterscheidbar sein.

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Quelle: dpa

George H. W. Bush und Carsten Linnemann haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Bush, 92, war schon alles, was man werden kann, CIA-Direktor, US-Vizepräsident, 41. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und schließlich gar noch Vater des 43. Präsidenten. Linnemann ist 39, Bundestagsabgeordneter aus Paderborn, und früher war er mal als Volkswirt bei einer Bank in Düsseldorf tätig.

Doch die unterschiedlichen Herren teilen eine Leidenschaft: die für Steuergelübde als Wahlkampfhilfe. Read my lips, no new taxes, rief Bush senior einst republikanischen Parteifreunden zu. Die Worte halfen ihm sehr auf dem Weg ins Weiße Haus. Linnemann, mittlerweile Wortführer des CDU-Wirtschaftsflügels – unter Kanzlerin Angela Merkel von eher bescheidenem Einfluss –, wollte seine (erneute) Kanzlerkandidatin Merkel zu ähnlichen Schwüren bewegen. Mit Erfolg. Maßgeblich auf Druck von Linnemann steht im Leitantrag des CDU-Parteivorstands nicht mehr bloß der Satz, die Union werde die „Steuerquote“ nicht erhöhen. Stattdessen ist dort jetzt zu lesen: „Wir schließen Steuererhöhungen grundsätzlich aus, insbesondere eine Verschärfung der Erbschaftsteuer und eine Einführung der Vermögensteuer.“

Ein kleiner, aber feiner Unterschied. Hinter dem harmlos klingenden Verweis auf die Steuerquote vermuteten die Mittelstandsvertreter nämlich ein Schlupfloch, um doch den Spitzensteuersatz oder Steuern auf Kapitalerträge – Stichwort: Abgeltungsteuer – zu erhöhen, wenn man bloß an anderer Stelle Belastungen senke. Für das viel schärfere Gelübde fand Linnemann mächtige Unterstützer, etwa den Chef der Jungen Union, Paul Ziemack, oder den Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Jens Spahn, der sich als Wortführer der Post-Merkel-CDU in Stellung bringt.

Ihr kleiner Sieg bedeutet freilich nicht, dass die große Finanzrevolution in der Union bevorsteht. Signale für eine umfassende und groß angelegte Steuer-Strukturreform – in Zeiten sprudelnder Einnahmen und niedriger Zinslast ja durchaus diskutierbar – sind bislang außer ein paar halbherzigen Vorschlägen kaum erkennbar.

Dennoch ist das neue Versprechen ein wichtiges Signal, auch mit Blick auf mögliche Machtoptionen nach der Wahl. Bleiben die Christdemokraten in der Steuerfrage stur, könnte ihre Partnersuche nach der Wahl schwierig werden. Viele Sozialdemokraten wollen höhere Abgaben gerade für die Profiteure von Kapitalanlagen und Großverdiener. Und die Grünen wollen, mal wieder, mit einer Vermögensteuer für Superreiche im Bundestagswahlkampf punkten.

Ist das Steuergelübde also am Ende ein Verliererthema, so wie es für George H. Bush eines wurde? Der musste im Amt sein Versprechen brechen und verlor nach nur einer Amtszeit gegen Bill Clinton. Linnemann sieht das anders, er deutet es als Unterscheider-Thema. „Die Leute müssen wieder wissen, wofür wir stehen.“ Richtig so: In Zeiten, da Bürger der Demokratie misstrauen, muss Vielfalt klar werden, damit die Stärke von Demokratie erkennbar bleibt. Diese Unterscheidbarkeit ist das politische Risiko eines Gelübdes wert.

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