Berlin Rot-Rot-Grün wählt Müller zum Regierungschef

SPD, Linke und Grüne haben in der Hauptstadt den Koalitionsvertrag unterzeichnet. Berlins Bürgermeister Michael Müller bleibt Regierungschef. Auf den Bund kann man die Koalition aber nicht komplett übertragen, sagt er.

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Der Landesvorsitzende von Die Linke, Klaus Lederer, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus, Ramona Pop (von links). Quelle: dpa

Berlin Niederlagen schmerzen, manche Siege aber auch: „Es tut weh“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller über das historisch schwache Abschneiden seiner SPD bei der Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses vor drei Monaten. Unter Landesparteichef Müller blieben die Sozialdemokraten zwar stärkste Kraft in der Hauptstadt, fielen aber auf rund 22 Prozent der Stimmen. Die bisherige Koalition mit der CDU wurde abgewählt.

Grüne und Linkspartei bescheren Müller nun eine zweite Chance, sich als Nachfolger des langjährigen Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) zu beweisen: Am Donnerstag, einen Tag vor seinem 52. Geburtstag, wurde Müller für fünf weitere Jahre gewählt.

Die neue rot-rot-grüne Koalition in Berlin ist nach Einschätzung des alten und designierten neuen Regierenden Bürgermeisters nicht komplett auf den Bund übertragbar. Dort spielten auch Felder wie die Außen- und Sicherheitspolitik eine Rolle, die auf lokaler Ebene naturgemäß keine Bedeutung hätten, sagte Müller am Donnerstag nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages. „Aber wir wissen natürlich, dass wir unter Beobachtung stehen“, fügte der SPD-Politiker hinzu. Linke-Chef Klaus Leder sagte, wenn Rot-Rot-Grün die Hauptstadt voranbringe, habe das auch Ausstrahlung auf den Bund. „Ich würde mich darüber freuen.“

Ein Drei-Parteien-Bündnis sei sicherlich eine andere Konstellation als eine Zweier-Koalition, sagte Müller. „Aber es ist gut, dass da jetzt mehr Ideen zusammenkommen, ich freue mich drauf.“ Wie Müller betonte Grünen-Chefin Nina Stahr, dass die Koalition zügig loslegen wolle. „Wir haben einen Arbeitsauftrag und die Bürger erwarten, dass wir das jetzt umsetzen“, sagte Stahr der Deutschen Presse-Agentur.

Im neuen Bündnis wird das Regieren für Müller nicht leichter werden. Zwei Monate zogen sich die Verhandlungen über den Koalitionsvertrag. Gute 200 Seiten dick ist das Ergebnis. Alle drei Parteien räumen ein, dass die Gespräche schwierig waren.

Nach 15 Jahren eiserner Sparpolitik will die neue Koalition wieder investieren – in den Wohnungsbau, in die Verwaltung, in Schulen und die Verkehrsinfrastruktur. Doch Berlins Schuldenberg beläuft sich noch immer auf rund 60 Milliarden Euro. Die drei Parteien wollen sich profilieren, haben aber wenig zu verteilen.

Mehr denn je wird dem Regierenden daher die Rolle eines ausgleichenden Moderators zukommen. Er werde künftig „eher eine steuernde Aufgabe“ haben, sagte auch Müller selbst. Doch nicht nur wegen verschiedener innerparteilicher Querelen in der Vergangenheit zweifeln manche Genossen am Talent ihres Vorsitzenden zum Ausgleich.

Die Partei ließ ihr Wahlergebnis im Herbst kritisch aufarbeiten. In der Analyse hieß es, Regierungschef Müller sei zu sehr als „Streiter in einer zerstrittenen Koalition“ wahrgenommen worden. „Die nächste Koalition muss im Konsens und im gegenseitigen Respekt geführt werden“, mahnten die Autoren.

Auf dem Parteitag zum Koalitionsvertrag versprach Müller, künftig „ein bisschen staatsmännischer und präsidialer aufzutreten“. Noch in derselben Rede verteidigte er aber seine öffentlichen Attacken auf den christdemokratischen Koalitionspartner. Fazit: Müller will auch in Zukunft sagen, wenn ihm etwas nicht passt.

Der ehemals selbständige Drucker zeigt gerne „klare Kante“, wie er das nennt. Das kommt gut an in Berlin, wenn Müller Probleme beim Namen nennt. Steht dagegen Müller selbst in der Kritik, reagiert er oft dünnhäutig. Die Souveränität eines Landesvaters fehlt ihm bislang. Der hagere Mann mit der großen Brille strahlt meist eine große Ernsthaftigkeit aus.

Der Sohn einer sozialdemokratischen Handwerkerfamilie aus dem Stadtteil Tempelhof sieht sich vor allem als zupackender Problemlöser. Er übernimmt Verantwortung. Als Regierender Bürgermeister war er in der vergangenen Legislaturperiode nebenher Senator für Kultur. In den kommenden fünf Jahren verantwortet Müller das Wissenschaftsressort. Beides keine leichten Rollen für den gelernten Bürokaufmann ohne Studienabschluss.

Müller steht im Parlament künftig ein bürgerlicher Block aus CDU und FDP sowie der AfD-Fraktion gegenüber. Mit SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh muss er einen Rivalen in Schach halten und nebenher den Koalitionsfrieden moderieren. Keine leichten Rahmenbedingungen angesichts immenser Herausforderungen.

Müller muss das Flughafenprojekt BER endlich zu einem erfolgreichen Ende führen. Tausende Flüchtlinge sollen endlich die Notunterkünfte verlassen und Dutzende belegter Sporthallen wieder freigegeben werden. Der Senat muss schneller mehr Wohnungen bauen, um die Mietpreisentwicklung zumindest bremsen. Mehr Personal soll Ämter und Polizei wieder funktionstüchtig machen.

Über den künftigen Senat sagte Müller: „Wir können jetzt das umsetzen, was in den vergangenen Jahren blockiert wurde.“ Wenn das stimmt, dürfte der Schmerz über den knappen Wahlsieg bald nachlassen.

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