Berliner Flughafen BER Kein Plan von nichts

Nach dem Führungsdebakel beim Berliner Flughafen tritt an diesem Freitag der Aufsichtsrat erstmals wieder zusammen. Die Unsicherheit, wie es auf Deutschlands bekanntester Baustelle weitergehen soll, drückt die Stimmung.

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Der alte und der neue Flughafenchef: Karsten Mühlenfeld (rechts) und Engelbert Lütke Daldrup. Quelle: dpa

Berlin Als Karsten Mühlenfeld überlegte, zu den Berliner Flughäfen zu wechseln - oder besser: zur peinlichsten Baustelle Deutschlands, da wusste er, was seine größte Herausforderung sein würde: die Tätigkeit an der politischen Front. Schließlich war schon sein Vorgänger Hartmut Mehdorn an den Auseinandersetzungen mit den Eigentümern und deren Vertretern im Aufsichtsrat gescheitert. Angesichts von drei Gesellschaftern, den Ländern Berlin und Brandenburg sowie dem Bund, die seit Jahren über die Dauerbaustelle streiten, präsentierte sich Mühlenfeld demonstrativ gelassen: „Konfrontation hilft nicht weiter“, sagte er dem Handelsblatt kurz nach Amtsantritt im März 2015. „Wir haben eine schwierige Baustelle, die uns Probleme bereitet, das ist ja bekannt. Nur mit der notwendigen Transparenz und Akzeptanz untereinander können wir konstruktiv miteinander arbeiten.“

Diese selbst verordnete Diplomatie gelang die ersten Monate, danach wurde die Stimmung kontinuierlich schlechter, bis sich der Aufsichtsrat Anfang des Monats in einer Hauruck-Aktion von Mühlenfeld trennte. Was dazu führte, war eigentlich eine banale Geschichte, die auch ganz geräuschlos über die Bühne hätte gehen können: Der Geschäftsführer Mühlenfeld entließ seinen Flughafen-Technikchef Jörg Marks -  gegen den Willen der Gesellschafter, woraufhin eine Sondersitzung des Aufsichtsrats beantragt wurde. Die Runde am 1. März tagte viele Stunden und fand keine Einigung: die Vertreter aus Brandenburg widersetzten sich dem Wunsch Müllers nach einer Entlassung Mühlenfelds. Die Inthronisierung eines Nachfolgers werde nicht unterstützt, hieß es bereits vor Beginn der Sitzung, weil es dem Projekt nicht dienlich sei.

Die Aufsichtsräte vertagten sich spät in der Nacht – und vor allem Berlin in Gestalt des Aufsichtsratsvorsitzenden und Regierenden Bürgermeisters Michael Müller arbeitete in den Folgetagen weiter an der Entmachtung Mühlenfelds, auch um nicht selbst politisch Schaden zu nehmen.

Am ersten Sonntag im März, einen Tag bevor sich die Aufsichtsräte ein weiteres Mal treffen wollten, unterschrieb Mühlenfeld seinen Auflösungsvertrag. Sein Nachfolger: der Müller-Vertraute Engelbert Lütke Daldrup, Staatssekretär in Berlin und wie der Regierende ein Sozialdemokrat.

Das ist der offizielle Teil der Erzählung. Es gibt Sätze, die Müller von der SPD über Mühlenfeld gesagt haben soll, die in einem Artikel wie diesem lieber nicht auftauchen. Es sind Worte, die die tiefe Abneigung von Müller gegenüber Mühlenfeld zum Ausdruck bringen.

Wie konnte es soweit kommen?

Es ist eine Geschichte von Managern, die auf Politiker stoßen und von Politikern, die auf Manager stoßen, aber die Entscheidungswege eines Unternehmers als Affront empfinden. Mühlenfeld war vor seinem Job als Berliner Flughafenchef lange Jahre beim Triebwerksbauer Rolls-Royce tätig. Als Mitglied der Geschäftsführung gab es über ihm nur den Deutschlandchef, der traditionell immer ein Brite ist. Die Zentrale von Rolls-Royce liegt im englischen Derby. Dort zollen sie Geschäftsführern Respekt. Dort hält sich der Aufsichtsrat zurück, kontrolliert, mischt sich aber niemals ins operative Geschäft ein, erst recht würde er nie die Manager gängeln. Für Mühlenfeld ist so etwas selbstverständlich. Er hat Maschinenbau studiert und über den „Wellenriss im stationären Betrieb von Rotoren“ promoviert. Einer wie er arbeitet an der Lösung von Problemen, nicht an politischen Sensibilitäten.

„Ich muss bauen“, war einer seiner Sätze, die sie in der Flughafengesellschaft noch in Erinnerung haben. Zu Beginn, da wollte er noch die Gesellschafter treffen, er gab sich Mühe, besänftige die Aufsichtsräte, die zuvor an Mehdorns rüder Art verzweifelt waren. Politiker wollen umgarnt werden und das Gefühl erhalten, wichtig zu sein, auch wenn sie zur Sache nichts beizutragen haben. Erst recht gilt das in Berlin, wo jedes Unternehmen mit Anteil des Landes „wie eine Anstalt des öffentlichen Rechts“ behandelt wird, wie es heißt. Kein Wunder, dass der Aufsichtsratschef nach dem Motto: „Alles tanzt nach meiner Pfeife“, agierte, wie es in Kreisen des Aufsichtsrates heißt. Der eine berief sich bei seinen Entscheidungen auf Formalien wie das GmbH-Gesetz. Der andere ließ keine Gesetze außer seine eigenen gelten.

Der letzte Streit zwischen Müller und Mühlenfeld endete mit gegenseitigen Gutachten zur Frage, ob der Geschäftsführer seinen Bauleiter rauswerfen und vor allem einen Berater ohne Zustimmung des Aufsichtsrats einstellen durfte. Die Antwort spielte schon keine Rolle mehr. Es ging um die Auflösung der unheilvollen Liaison. Dabei hatte Mühlenfeld aus seiner Sicht schon weit mehr getan, als aus seiner Sicht nötig war: Er hatte die Gesellschafter des Bundes per SMS über den Rauswurf von Marks informiert. Das bestätigt etwa Rainer Bomba, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium und Aufsichtsratsmitglied für den Bund. Er habe ihm geantwortet und abgeraten, den Schritt zu gehen, gab er kürzlich im Wirtschaftsrat der CDU zum Besten, wie Teilnehmer berichteten. „Ab 500.000 Euro schaltet sich das Gehirn aus“, frotzelte er in der Runde über den Ex-Flughafenchef.


Die Baufirmen müssen auf Trab gehalten werden

Bomba hält sich selbst für den besseren Flughafenchef, so wie manch anderer Politiker auch. Aufsichtsratschef Müller verkündete am 6. März, dass es Lütke Daldrup werde. Das sei eine „gute, sachgerechte und schnelle Lösung“. Gewiss, Lütke Daldrup kennt den unvollendeten Flughafen gut, schließlich war er Mitglied im Kontrollgremium und Flughafenkoordinator des Landes Berlin. Er saß in jeder Baurunde mit am Tisch und wenn nicht er selbst, dann seine Mitarbeiterin. Er soll jetzt das schaffen, was die Ingenieure Mühlenfeld und Mehdorn nicht schafften. Was für ihn spricht: sein Gespür für die Wünsche der Gesellschafter, Erfahrung mit politischen Grabenkämpfen. Doch als Manager einer Großbaustelle ist der studierte Stadtplaner bislang nicht aufgefallen. Dass das Milliardenprojekt mit dem 60-Jährigen an der Spitze nur einen Tag früher fertiggestellt werden kann, das bezweifeln Beobachter.

Der geschasste Technikchef Marks wurde zwischenzeitlich zurückgeholt. Marks galt als jemand, der die Baustelle im Griff hatte, der wusste, wie man die Brandschutzanlage, Hauptproblem des Flughafens, ans Laufen bekommen würde. Das war vor drei Jahren. Inzwischen sind die theoretischen Probleme gelöst, die Bauanträge vom Bauordnungsamt bewilligt. Damit kann das Terminal fertiggebaut werden.

Doch jetzt gibt es andere Probleme, jetzt müssen die Baufirmen auf Trab gehalten werden. Eine Aufgabe, der Marks nach Schilderungen von Beobachtern nicht gewachsen ist. Er habe nicht die notwendige Durchsetzungskraft, heißt es. „Er ist schlicht zu nett“, sagt einer, der die Situation auf der Baustelle gut kennt. Nahezu jeden Termin hatte Marks in den vergangenen Monaten gerissen, klagte Mühlenfeld in einem Interview mit dem Tagesspiegel im Februar. Wie solle er da einen Eröffnungstermin nennen?

Erst im Januar hatte er eingestehen müssen, dass es mit dem geplanten Start im zweiten Halbjahr 2017 nichts werde. Diesen Termin hatte noch Mehdorn kurz vor seinem erzwungenen Rücktritt im Dezember 2014 genannt. Mühlenfeld hatte daran festgehalten, allein, um den Druck auf der Baustelle hoch zu halten.

Doch die Baufirmen arbeiten nur noch auf Stundenbasis, Zeitdruck spielt für sie keine Rolle. Weil Mühlenfeld erkannte, dass es auf der Baustelle nicht rund lief, wollte er Marks einen Berater zur Seite stellen: Christoph Bretschneider. Er gilt als harter Hund, der sein Büro sofort von der Geschäftszentrale auf die Baustelle verlegte, um jeden Tag Berichte über die Baufortschritte zu erhalten.

Bislang ist nicht geklärt, ob Bretschneider auf der Baustelle bleibt – auch darüber will der Aufsichtsrat in seiner heutigen Sitzung diskutieren. Die Zeichen stehen aber auf Trennung, weil Marks nicht mit ihm zusammenarbeiten wolle, heißt es. Das stößt nicht überall auf Zustimmung: Marks müsse sich beraten lassen, mahnt ein Mitglied des Kontrollgremiums. „Ansonsten murksen alle weiter.“ Vor allem auf ELD, wie Engelbert Lütke Daldrup auf der Baustelle genannt wird, richtet sich der Fokus: ELD müsse sich schnell einen Überblick verschaffen und ausschließen, dass weitere Probleme auf der Baustelle lauern, heißt es.

Zu Recht, denn erst zwischen September und Januar soll sich der Flughafen fünf Monate Verspätung eingehandelt haben, vor allem bei den elektronisch betriebenen Türen, den Sprinkleranlagen und Sachverständigenabnahmen. Das führte dann zur endgültigen Absage des Starttermins im Jahr 2017. Das Misstrauen ist hoch, heißt es doch im Sachstandsbericht vom 20. Februar: Gründe für die aktuelle Verzögerung seien vor allem die weiterhin nicht vollständig abgeschlossene Planung der technischen Gebäudeausrüstung und Defizite bei der Koordination der Bauleistungen.

Wenn also Christoph Bretschneider Marks nicht unterstützend zur Seite steht – was bedeutet das für den Weiterbau?

Nichts Gutes, stöhnt einer, der das Projekt seit Jahren eng begleitet. Und das alles, weil vor allem Berlin sich nicht respektvoll behandelt gefühlt hat.


Keine Teamarbeit

Jetzt stellt sich das Kontrollgremium neu auf. Als Ersatz für Müller, der den Aufsichtsrat im Zuge des Chefwechsels in der Geschäftsführung verlässt, ist der brandenburgische Staatssekretär Rainer Bretschneider, bislang Vize-Aufsichtsratschef, vorgesehen. Damit würde abermals kein Fachmann von außen in das Gremium einziehen. Für Berlin müssen vier Posten neu besetzt werden, weil neben Müller und Lütke Daldrup auch die Senatoren Klaus Lederer (Linke) und Dirk Behrendt (Grüne) ihr Mandat zurückgeben. Die neue rot-rot-grüne Koalition in Berlin hatte jedoch schon im Januar Schwierigkeiten, die Posten zu vergeben. Die konstituierende Sitzung musste verschoben werden.

BER-Chef Mühlenfeld und Aufsichtsratschef Müller – das war kein Team, das zusammen den Flughafen nach vorne gebracht hat. Es gibt den Vorwurf, dass die Jahre mit Müller an der Spitze verlorene Jahre für den Flughafen waren, so wie Müller im Februar die Jahre 2012 bis 2014 als verschenkte Jahre bezeichnet hatte. 2012 war der Start des Flughafens nicht einmal vier Wochen vor der geplanten Eröffnung wegen Problemen an der Brandschutzanlage abgesagt worden.

Kommunikation zwischen Mühlenfeld und Müller: Fehlanzeige. Die beiden sollen höchst selten miteinander direkt gesprochen haben. So gab es auch das „T-Wort“ – Tegel. Es sei verboten gewesen, in Gegenwart von Müller auch nur darüber nachzudenken, ob der alte, aber beliebte Flughafen doch noch offengehalten werden könnte. „Das war ein sofortiger Kündigungsgrund“, heißt es in Aufsichtsratskreisen. Es galt die Maxime: Spätestens sechs Monate nach Eröffnung des BER schließt Tegel. Deshalb auch sollte unbedingt eine Lösung für den Regierungsflughafen her – koste es, was es wolle, auch wenn es am neuen Standort dafür kaum noch Platz gibt. Dabei gibt es viele Anhänger und warnende Stimmen, dass Berlin allein wegen der steigenden Fluggastzahlen die Kapazität weiter benötigen werde, zumindest eine Start- und Landebahn. Der Schließungsbeschluss gehöre nicht zu den zehn Geboten, heißt es. Nötig sei dann mehr Lärmschutz in Pankow und Spandau. Für Müller aber ist das ein Sakrileg.

Andere sehen die Schuld auch bei Ex-Chef Mühlenfeld. Mühlenfeld sollte in seiner Amtszeit begriffen habe, dass die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH mit ihren drei Gesellschaftern kein normales Unternehmen sei. Da könne er eben nicht auf sein formales Recht pochen und mit dem Kopf durch die Wand wollen. Mühlenfeld hätte darauf bestehen sollen, dass Marks eine Beratung bekommt, vielleicht habe er zu früh aufgegeben - ein schwieriges Unterfangen, schließlich war Marks nicht irgendein Angestellter, sondern in leitender Position tätig. So einem stellt man nicht einfach und gegen Widerstand einen Berater zur Seite. Mühlenfeld hätte Marks nur schon früher rausschmeißen können, aber dann hätte er Ersatz haben müssen - und den gab es nicht.

Doch das ist die fachliche Sicht auf die Sache. Darum geht es am Ende nicht bei einem hoch politisierten Projekt wie dem BER. Selbst die Frage, wann der Flughafen endgültig eröffnet wird, rückt angesichts der Unsicherheiten gerade aus dem Fokus. 2017 ist geplatzt, die Unternehmensberater von Roland Berger zweifeln an 2018 und die Deutsche Flugsicherung hält sogar eine Verzögerung bis 2020 für denkbar. „Wo sind die neuralgischen Punkte auf der Baustelle?“, will ein Aufsichtsrat am Freitag vor allem wissen. Doch darauf wird es frühestens auf der nächsten Sitzung des Gremiums im Mai eine Antwort geben.

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