Was wir wissen:
- Der Todesfahrer steuert am Montagabend den Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt und bringt mindestens zwölf Menschen um. Rund 50 weitere Besucher des Marktes werden verletzt, viele von ihnen schwer. Die Ermittler gehen von einem Terroranschlag aus.
- Tatverdächtig ist ein Tunesier, der den Behörden unter dem Namen Anis A. bekannt ist und dem die Ermittler jederzeit einen Anschlag in Deutschland zutrauen. Er ist laut Innenminister Thomas de Maizière (CDU) europaweit zur Fahndung ausgeschrieben.
- Der Mann hielt sich nach Angaben aus Sicherheitskreisen wechselweise in Nordrhein-Westfalen und Berlin auf. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, er ist aber in Deutschland geduldet. Nach Medienberichten wurde ein auf ihn im Kreis Kleve (NRW) ausgestelltes Personaldokument - eine Duldung - im Fußraum des Lkw-Führerhauses gefunden.
- Ein unmittelbar nach der Tat festgenommener Verdächtiger wird am Dienstagabend wieder freigelassen. Laut Bundesanwaltschaft in Karlsruhe reichen die Ermittlungsergebnisse für einen dringenden Tatverdacht nicht aus.
- Fast genau 24 Stunden nach dem Anschlag reklamiert die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den Angriff für sich. Die Botschaft wird über das IS-Sprachrohr Amak im Internet verbreitet.
Terroranschlag in Berlin - Wie jetzt ermittelt wird
Komplizierte Verbrechen werden nur in Teamarbeit aufgeklärt. Die Polizei bietet Fachleute aus allen Bereichen auf: Kriminaltechniker, Computer-Experten, Befragungsspezialisten, Psychologen. In einem der Bereiche hofft sie auf den entscheidenden Hinweis.
Nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt sucht die Kriminalpolizei mit allen Mitteln nach dem Attentäter und möglichen Unterstützern. Weil es sich um einen terroristischen Anschlag handelt, führt das Bundeskriminalamt (BKA) die Ermittlungen. Beteiligt ist auch das Berliner Landeskriminalamt (LKA).
Quelle: dpa
Klassische technische Methoden der Polizei sind Spurensicherung und die Auswertung von Filmen und Fotos. Besonders in der Fahrerkabine des Lastwagen gab es wohl zahlreiche Spuren. Der später getötete polnische LKW-Fahrer hatte Verletzungen, möglicherweise gab es einen Kampf, bei dem auch der Attentäter verwundet wurde und Blutspuren hinterließ. Von diesen wird dann die DNA analysiert. Außerdem suchen die Kriminaltechniker nach Fingerabdrücken oder Haaren des Täters. Die Informationen werden dann mit Datenbanken abgeglichen.
Die Kripo wertet Videoaufnahmen vom Breitscheidplatz, der Umgebung und auch von anderen Orten, an denen der Täter sich aufgehalten haben könnte, aus. Dazu gehört auch das Friedrich-Krause-Ufer in einem Industriegebiet im Nordwesten der Berliner Innenstadt. Dort soll der Attentäter den polnischen LKW-Fahrer überwältigt und den Lastwagen entführt haben. Die Polizei richtete eine Datenbank (nach dem Anschlag in den USA im Jahr 2013 „Boston-Cloud“ genannt) ein, in die jeder Foto und Filme einstellen kann.
Das Navigationssystem und die Elektronik des LKW liefern der Polizei eine ganze Reihe von Daten, die ausgewertet werden. Daraus ergab sich wohl, dass der LKW am Montagnachmittag nach 16.00 Uhr mehrfach gestartet wurde. Auch die gefahrene Strecke vom Abstellplatz des Lasters zum Weihnachtsmarkt dürfte klar sei. Entlang der Strecke kann die Polizei dann alle Handydaten analysieren, um eine oder mehrere Telefonnummern herauszufiltern und ein Bewegungsbild zu erstellen. Täter wissen das aber und können ihre Telefone und SIM-Karten vor der Tat oder danach vernichten.
Die Ermittler befragen auch zahlreiche Zeugen vom Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche und hoffen so, eine Beschreibung des Täters zu erhalten. Hinweise könnten auch aus dem Umfeld des Täters eingehen, besonders wenn Belohnungen ausgesetzt werden. Die Berliner Polizei hat nach eigenen Angaben mehr als 500 Hinweise zu dem Anschlag erhalten. Allerdings zeigte die frühe Festnahme eines Verdächtigen, der nicht der Täter war, dass Zeugenaussagen auch in die Irre führen können.
Andere Behörden und Geheimdienste wie der deutsche Verfassungsschutz und die amerikanische CIA und NSA können Ermittlungen mit eigenen Informationen unterstützen. Diese stammen zum Beispiel von V-Leuten aus der Szene der Täter. So beobachten die Verfassungsschutzämter Islamistengruppen in den meisten Bundesländern. Auch abgehörte Telefonate von Verdächtigen oder mitgelesene Mails und Whatsapp-Nachrichten können helfen.
Im Fußraum des LKW wurden persönliche Dokumente eines Asylbewerbers zur Duldung gefunden. Nach diesem Mann fahndete die Polizei am Mittwoch als Verdächtigen.
Am Mittwoch war zunächst nicht klar, an welchem Tag die Polizei diesen Duldungsbescheid in der Fahrerkabine entdeckte und ob sie diese Spur nicht bereits schon früher als Mittwoch verfolgte. Zudem war ungewiss, ob das Dokument auch tatsächlich zum Täter führt. Er hätte damit auch eine falsche Spur legen können. In Paris wurde vor einem Jahr bei einem der Attentäter ein gefälschter Ausweis gefunden. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, hält in dieser Hinsicht alles für denkbar. Solche Fälle gebe es hin und wieder einmal. Er betonte, dass bei solchen Funden allen Optionen nachgegangen werde.
Die Leiche des LKW-Fahrers wurde auf dem Beifahrersitz gefunden. Der Mann wurde direkt nach dem Anschlag erschossen. Vorher soll es einen Kampf gegeben haben, wie Spuren zeigen. Der Cousin des Mannes sagte, er habe auf Polizeifotos der Leiche Stichverletzungen gesehen. Die Polizei mutmaßt, dass der Fahrer noch Schlimmeres verhindert haben könnte, indem er dem Attentäter ins Lenkrad griff und den Laster nach links wieder aus dem Weihnachtsmarkt heraus steuerte.
Bevor der Attentäter eindeutig identifiziert und seine Motivation klar ist, kann diese Frage nicht beantwortet werden. Es gibt eine örtliche Nähe der problematischen As-Sahaba-Moschee zu dem Platz, an dem der LKW entführt wurde. Diese Moschee steht in der Torfstraße in Berlin-Wedding direkt gegenüber dem Friedrich-Krause-Ufer. Die Moschee wird im Berliner Verfassungsschutzbericht 2015 erwähnt. Wie in einigen anderen Moscheen auch fanden demnach dort „salafistische Islamseminare“ statt, bei denen Imame aus ganz Deutschland auftraten.
- Zu den zwölf Opfern gehört auch der ursprüngliche Speditionsfahrer aus Polen - es handelt sich um den Cousin des Speditions-Eigentümers Ariel Zurawski, der sein Unternehmen in der Nähe von Stettin hat.
- Im Führerhaus des Lastwagens wird blutverschmierte Kleidung gefunden.
Was wir nicht wissen:
- Ist das im Führerhaus gefundene Dokument echt? Oder kann es sich um eine absichtlich falsch gelegte Spur handeln?
- Zur genauen Identität des neuen Verdächtigen gibt es widersprüchliche Angaben. Laut „Allgemeiner Zeitung“ und „Spiegel Online“ verwendet er mehrere Namen, sein Alter wird zwischen 21 und 23 Jahre beziffert. Der Mann soll nach Berichten verschiedener Medien in der Islamistenszene vernetzt sein.
Terroristische Einzeltäter in Europa
Ein Islamist ersticht im Umland von Paris einen Polizisten und verschanzt sich in dessen Haus. Die Polizei stürmt das Gebäude und erschießt den Täter. Später wird dort auch die Lebensgefährtin des Opfers tot aufgefunden.
Ein 25-jähriger Marokkaner eröffnet in einem Zug von Amsterdam nach Paris das Feuer und wird von mehreren Fahrgästen überwältigt. Die Pariser Staatsanwaltschaft geht von terroristischen Motiven aus.
Ein 35-Jähriger wird überwältigt, als er in einem Industriegas-Werk bei Lyon eine Explosion verursachen will. Er hatte zuvor seinen Arbeitgeber enthauptet und den Kopf mit zwei Islamisten-Flaggen auf den Fabrikzaun gesteckt.
Ein arabischstämmiger 22-Jähriger feuert in Kopenhagen auf ein Kulturcafé. Ein Mann stirbt. Vor einer Synagoge erschießt der Attentäter einen Wachmann, bevor ihn Polizeikugeln tödlich treffen.
In Brüssel erschießt im Jüdischen Museum ein französischer Islamist vier Menschen. Kurz darauf wird er festgenommen. Als selbst ernannter „Gotteskrieger“ hatte er zuvor in Syrien gekämpft.
Ein junger Kosovo-Albaner erschießt auf dem Flughafen Frankfurt/Main zwei US-Soldaten und verletzt zwei weitere schwer. Der Mann gilt als extremistischer Einzeltäter.
Der norwegische Rechtsterrorist Anders Behring Breivik tötet bei zwei Anschlägen insgesamt 77 Menschen. Er zündet zuerst eine Bombe im Osloer Regierungsviertel und erschießt dann 69 meist jugendliche Teilnehmer eines sozialdemokratischen Ferienlagers.
- Nach wie vor ist unklar ist, ob ein oder mehrere Täter hinter dem Anschlag stecken, ob der oder die Täter von außen gesteuert oder aus eigener Initiative gehandelt haben.
- Die Echtheit der IS-Behauptung, dass die Terror-Miliz verantwortlich für den Anschlag ist, lässt sich nicht verifizieren. Sie wurde aber über die IS-Kanäle im Internet verbreitet, die schon nach früheren IS-Anschlägen verwendet wurden.
- Fraglich ist die Zuverlässigkeit des Zeugen, der nach eigenen Angaben den zunächst Festgenommenen vom Tatort bis zur Siegessäule verfolgt haben will.
- Unklar ist, was in den letzten Stunden im Leben des eigentlichen Lkw-Fahrers geschehen ist. Die Leiche des Polen wurde am Tatort auf dem Beifahrersitz gefunden. Die „Bild“ meldet unter Berufung auf Obduktionsergebnisse, er habe bis zum Attentat noch gelebt. Ein Ermittler habe von einem Kampf gesprochen. Die Rede ist auch von Messerstichen. Nach dpa-Informationen wurde er mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen. Spekuliert wird auch, ob der Fahrer dem Täter ins Lenkrad gegriffen hatte.
- Ebenfalls unklar ist, wie genau sich der Täter des Lastwagens bemächtigte. Polnische Medien berichten unter Berufung auf die Spedition von GPS-Daten, die zeigten, dass der Wagen in Berlin am Tag der Tat ab etwa 16 Uhr mehrmals gestartet worden sei. Um diese Uhrzeit Riss der Kontakt zwischen Spedition und Fahrer ab,
- Das Schicksal ausländischer Vermisster - darunter eine Italienerin und eine Israelin - ist noch ungewiss.