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Ist Deutschland von Sinnen?

Bettina Röhl Publizistin

Menschenfreund und Katzenliebhaber Akif Pirincci hat ein Buch über Deutschland geschrieben. Der Bestsellerautor will die deutsche Gesellschaft erlösen: mit dem Bulldozer und mit einer Liebeserklärung an das Land.

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"Deutschland, Deutschland unter alles", so lautete Pirinçci's Arbeitstitel zu seinem am 27.März erscheinenden Buch "Deutschland von Sinnen" mit dem Untertitel "Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer".  Was will Pirinçci Deutschland sagen? Und wer ist Akif Pirinçci? Um mit der letzten Frage anzufangen: Wer Ulrich Tukur, Mario Adorf, Helge Schneider, Klaus Maria Brandauer für sich sprechen lässt, ist ein Gigant. Und es waren diese Schwergewichte  des deutschen Bühnen- Fernseh- und Kinogeschehens, die 1993 ihre Stimmen den von Pirinçci geschaffenen Figuren in der Verfilmung seiner Katzenkrimis aus der Felidae-Familie geliehen haben. Und die Musik zu dem Film hat keine geringere als die britische Komponistin und Oskar-Preisträgerin Anne Dudley geschrieben. Boy George steuerte den Titelsong bei.

Es gab eine englischsprachige und eine spanische Version des Films, ein großer Erfolg. Die Romanvorlage, der Katzenroman "Felidae" verkaufte sich in Deutschland millionenfach. Er wurde in über 15 Sprachen übersetzt und machte Pirinçci zu einem wohlhabenden Mann. "Der kleine Akif", wie der Autor zahlreicher Romane sich selber gern nennt, ist kein Sensibelchen. Seine Stärke ist die echte, die wahre Sensibilität. Ihm liegen die Menschen am Herzen. Die Menschlichkeit ist sein Leitmotiv. Er ist kein Sonntagsredner. Dafür kennt er die Schwächen der Menschen und auch die Abgründe der menschlichen Seele zu genau: Pirinçci ist ein schwärmerischer und romantischer Realist.

In seinen Katzenromanen hat Pirinçci den Kunstgriff der Fabel meisterhaft zelebriert und menschliche Unschönheiten, nicht immer ganz leicht konsumierbar, aber eben doch millionenfach gelesen, präsentiert. Die deutsche Kulturkritik instrumentalisiert liebend gern den Holocaust, zu dem einzigen Zweck sich selber irgendwie rundum zu erhöhen und so passierte es ganz selbstverständlich, dass auch die damals oft hymnischen Kritiken des, wenn man so will, frühen Pirinçci-Werkes noch eine Volte weiter aufgehübscht wurden, in dem dort die Behauptung breit getreten wurde, Pirinçci hätte mit seinen Psychostudien des Bösen den Holocaust entlarven wollen. Pirinçci ist allerdings Künstler und hat ein solches Wollen sicher nicht im Sinn und auch nicht nötig. Ihm ging es wohl eher um die Vorführung menschlichen Versagens, das extremes, menschliches Leid bewirkt. Eine politische Absicht, eine gesellschaftliche  Oberlehrer-Attitüde dürfte Pirinçci fremd sein.

Pirinçci ist aber nicht nur ein Künstler der Sprache, der deutschen Sprache. Er ist auch ein Künstler der Verkleidung. In seinem neuen Buch präsentiert er sich als starker, draufhauender Recke und ist doch wahrscheinlich eher der schüchterne kleine Pirinçci, den er mit Koketterie vor der Öffentlichkeit gern verborgen sehen möchte. Goethe wusste, dass die sprachliche Etikette manchmal versagt und den Inhalt unterdrückt.

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