Ach Gottchen, da sind sie nun wieder. Reflexartig gehen die Pferde mit ihnen durch. Es geht um das sogenannte politische Feuilleton im weitesten Sinn, mindestens um einzelne Protagonisten aus diesem Genre. Dieser furchtbar gebildete Stammtisch auf logischerweise höchstem Niveau verbindet nicht selten größte Ahnungslosigkeit und Ignoranz mit größtmöglicher Selbstherrlichkeit und dem schier unbändigen Druck, die wahre, die höhere Erklärung für die Politik im Allgemeinen und im Besonderen beisteuern zu sollen. Damit kann man leben, damit muss man leben. Und man sollte auch gelassen auf die gelegentlichen Nervereien schauen.
Zudem hat das Feuilleton in den vergangenen Jahren die Wirtschaft entdeckt. Feuilleton goes Ökonomie und erklärt den Euro oder den Kapitalismus oder das Finanzsystem oder gleich das Große und Ganze, das die Welt, die Ökonomien zusammen hält. Das ist jedenfalls noch schwerer zu ertragen, als wenn der schöne Geist sich aufs Politische beschränkt.
Reflexartig reagieren die feuilletonistischen Propagandisten des politisch korrekten Mainstreams auf einen gewissen Herrn, der auf den Namen Thilo Sarrazin hört. Und dieser Herr hat ein neues Buch geschrieben, mit dem Titel "Der neue Tugendterror". Darin geht es um die politische Korrektheit, um Denkge- und verbote und um die implodierende Meinungsfreiheit, die in den millionenfach gedruckten Exemplaren des Grundgesetzes mindestens noch auf dem Papier steht.
"Sir, Geben Sie Gedankenfreiheit!" lässt Friedrich Schiller den spanischen Infanten Don Carlos verlangen. Das waren noch lebenswerte Zeiten. Ein Hirn und ein Herz voller freier Gedanken und Zensoren aus Fleisch und Blut, denen man mit Schneid oder einem Tritt in den Hintern Gedankenfreiheit abringen konnte.
Woran erkennt man die Propagandisten des politisch korrekten Mainstreams?
Die Feuilletonisten werden zu Heulbojen und schießen Gift und Galle, wenn Gefahr für den Mainstream auch nur drohen könnte. Und sie schießen Gift und Galle ganz selbsttätig, ohne, dass sie dazu angehalten oder speziell dafür bezahlt würden. Seit langem kontern sie alles, was sie als negativ für den Status quo fürchten und dabei gehen sie eisenhart und extrem humorlos vor.
Man erkennt die Mainstream-Propagandisten daran, dass sie stereotyp, wortreich, ein bisschen von oben herab näselnd, auf eine extrem dümmliche Art historisierend und in einer Lässigkeitsattitüde, die etwas Armseliges hat, behaupten, den offensichtlichen politisch korrekten Mainstream gäbe es gar nicht. Weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart noch sei ein solches Phänomen für die Zukunft zu befürchten (siehe beispielsweise Joachim Käppner in der Süddeutschen Zeitung vom letzten Wochenende "Schreck lass nach", nicht online verfügbar). Und dieser Propagandistentypus ist zugleich kraft seiner Existenz der schlagende Beweis dafür, dass es den furchtbaren, politisch korrekten Mainstream gibt und dass dieser Mainstream die Gehirne der Menschen und die ganze Gesellschaft vergiftet.
Die Unfähigkeit zur Selbstreflexion
Das Fatale ist, dass der Mainstream-Propagandistentypus zur Selbstreflexion unfähig ist und so nicht nur die eigene Rolle verkennt, sondern auch die Existenz des Mainstreams. Wer sich auf eine derart unsympathische Weise zusätzlich auch noch dumm stellt, siehe hier oder hier und seine eigene Ignoranz Durchblick nennt, wer zu keiner stringenten, faktenbasierten, logischen Ableitung in der Lage ist, sondern einfach nur assoziativ irgendwelche Textbausteine zusammenstellt, um angeblich den Beweis für die Nichtexistenz erstickender gesellschaftlicher Ge- und Verbote zu bringen, ist in der Sache nicht legitimiert auf jeden Kritiker einzudreschen, wie es im Fall der zahlreichen Vorab-Attacken und im Fall der aktuellen, dieses Geheul nachahmende Ad-Hoc-Attacken gegen das neue Sarrazin-Buch festzustellen ist.
Das Furchtbarste, aber natürlich auch der durchschaubarste Moment dieser Propagandisten ist ihre aufpeitschende Streitlust, ist ein hinter scheinbar wohlgesetzten Worten notdürftig kaschierter Vernichtungswille gegenüber jedem Menschen, der den Mainstream kritisiert oder der kundtut, unter dem Mainstream zu leiden.
Der politisch korrekte Mainstream spaltet die Gesellschaft in diejenigen, die auf der Sonnenseite leben und die anderen. Die selbst ernannten Propagandisten des politisch korrekten Mainstream haben also etwas zu verlieren, wenn eben dieser Mainstream ins Stocken gerät. Entsprechend verfolgen sie ihre höchst persönlichen, ganz egoistischen und egozentrischen Interessen. Ihr gedanklicher Duktus und ihr Habitus sind auf Spaltung der Gesellschaft, gleichsam in die richtigen und die unrichtigen Menschen gerichtet. Und es gibt noch eine bösere Komponente in deren Tun. Gleichzeitig wollen sie mit ihrem Tun die Menschen regelrecht in wertvollere und weniger wertvolle spalten. Und es geht darum Menschen aus der Gesellschaft auszugrenzen. Daraus erklärt sich der inflationäre Gebrauch der derzeit mächtigsten Vernichtungsvokabeln wie "Rassismus", "Rassist", "Populist", "Rechtspopulist", "Rechtsextremist", "reaktionär", "homophob", "islamophob", "Schwulenhasser" usw.
Natürlich gibt es jammerige, zeterige, internettypische Anwürfe gegen den Mainstream und die Mainstream-Protagonisten. Und es gibt auch Illuminaten und Verschwörungstheoretiker, die den Mainstream quasi dämonisieren und die nicht damit fertig werden, dass der politisch korrekte Mainstream ein sich permanent selbst reproduzierender Anonymus ist. Allein die Existenz solcher Unzufriedenheiten und Unterlegenheitsgefühle mit oder gegenüber dem politisch korrekten Mainstream sind als Beweis für die Nichtexistenz des politisch korrekten Mainstream in Gänze untauglich.
Der politisch korrekte Mainstream ist kein linkes Phänomen
Aber der Mainstream weht aus dem Lager, das sich links nennt, ohne allerdings im eigentlichen Wortsinn "links" zu sein. Auch wenn sich die Vorkämpfer noch so sehr an irgendwelchen, selbst kreierten Feinden des Mainstreams abarbeiten, die sie zum Beispiel ewig gestrige Konservative nennen, denen sie unterstellen überall real nicht existierende Denkgebote -und Denkverbote zu wittern, bekommen sie die reale Existenz der furchtbaren Gedankenkrake der politischen Korrektheit naturgemäß nicht weg. Im Gegenteil: Sie drehen das Rad des politisch korrekten Mainstream eine Volte weiter.
Der Mainstream ist karrierefördernd und stiftet Wohlfühl- und Siegergemeinschaften, die sich gegenseitig schön reden. Es mag sogenannte Gegner des politisch korrekten Mainstreams geben, die in einem völlig verzerrten und vom Mainstream erstickten Umfeld unbedingt "Neger" oder "Zigeuner" sagen wollen, wie man von den Propagandisten dieses Feuilletons immer wieder hört. Allerdings: Jene Leute ordnen sich motzend dem Mainstream unter. Sie und ihre Meinungsäußerungen sind im Internet im Kontext völlig bedeutungslos und entsprechend nicht geeignet die Realität des politisch korrekten Mainstream zu relativieren.
Der billige Trick vieler sich in allen großen Leitmedien befindenen Mainstream-Propagandisten, auch ein bisschen gegen linke Eiferer zu wettern, zeigt wes Geistes Kind diese Mainstream-Ritter sind. Sie präsentieren sich neuerdings verschärft selber ein bisschen konservativ, so wie es bereits die Renegaten der 68er vorgemacht haben. Doch auch mit diesem eingebildeten, neuen Konservativismus qualifizieren sich diese Mainstream-Propagandisten nur als zur Selbstreflexion unfähige Surfer auf ihrem, für sie so angenehmen Mainstream.
Leider bieten die Beiträge, die aktuell die Existenz politischer Korrektheit leugnen wollen, außer einem großen Lamenti nichts. Keine Substanz. Auch der Anlass dieses Geschnatters, nämlich das gestern erschienene neue Buch von Sarrazin über einen neuen "Tugendterror" spielt in der Sache gar keine Rolle. Ganz in Mainstream-Manier werden Sarrazin irgendwelche Tatsachenbehauptungen oder Analysen unterschoben, die in dessen Buch nicht vorkommen. Es mag sein, dass Sarrazin auch seine eigenen Mainstream-Erfahrungen in seinem Buch beklagt. Aber die Beschäftigung der Mainstream-Propagandisten mit einer solchen sarrazinschen Beschwerde hätte keinen Mehrwert für die Behauptung, dass es den politisch korrekten Mainstream nicht gäbe. Das Gegenteil trifft zu. Gerade diese rottenartigen Attacken auf Sarrazin sind der Beweis, dass der Mainstream vital ist und brutal agiert.
Achja, vor einigen Jahren sind die Mainstreamer auf den glorreichen Gedanken gekommen, zu behaupten, dass es keine Denkverbote und -gebote gäbe. Es gäbe aber die Spielregeln der Diskussionskultur, zum Beispiel die Regel der Höflichkeit. Das ist schon einigermaßen pervers, wenn extrem streitlustige Menschen mit einem hohen Aggressionspotenzial, die sich selber nicht an die Regeln der Höflichkeit halten (können), von anderen eben diese Höflichkeit brutalstmöglich verlangen.
Aber das ist nicht einmal der wesentliche Punkt. Viel wesentlicher ist, dass mit diesem Spielregelgefasel das Grundgesetz und auch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ganz nebenbei aushebelt wird.
Die richtig verstandene Meinungsfreiheit endet an den Grenzen der allgemeinen Gesetze, mit einer großzügigen Auslegung zu Gunsten der Meinungsfreiheit. Das ist die einzige Spielregel. Gefühlte Sülzereien und "Spielregeln" nach dem eigenen Gusto von ein paar Mainstream-Fürsten sind nicht nur der Tod der Pressefreiheit, sondern belegen genau die Existenz des politisch korrekten Mainstream, der seine Mitschwimmer blind macht: für die Realität, für die Rechtslage und für die Moral.