Bettina Röhl direkt

Frank Schirrmacher - der Aufreger

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Schirrmachers legendäre Idee

Die Migranten machen es den Deutschen vor. Sie leben im Schirrmacherischen Sinn im Schutze ihrer Familien und auch im Schutze einer klaren Werteordnung, zu der der herrschende westliche Zeitgeist eigentlich konträrer nicht stehen könnte. Es sind die Baby-Boomer-Generationen, die einen kinderfeindlichen Zeitgeist initiiert haben und die die Warnungen der meist konservativen Stimmen, als altmodisch, verkrustet und überkommen in den Wind geschlagen haben und die jetzt das Problem durch Menschenimport lösen wollen. Auf diesen Menschenimport geht Schirrmacher nicht ein und damit naturgemäß auch nicht auf die gesellschaftlichen Irritationen, die sich aus solchen Patentrezepten in Gesellschaften fast immer ergeben. Hier hat Schirrmacher leider auch in den letzten neun Jahren nicht nachgebessert.

Legendär ist Schirrmachers Idee geworden seitenweise bloße Buchstabenfolgen abzudrucken, eine Darstellung des menschlichen Genoms, das 2006 entschlüsselt worden war. Quelle: AP

Damit hat Schirrmacher sehr wichtige Aspekte des Alterns in Deutschland und im Westen ganz ausgeklammert. Schirrmachers Plädoyer für Kinder und Familie, das er so offen nun auch wieder nicht artikuliert, enthielt viele Selbstverständlichkeiten, verklausuliert dargestellt und intellektualistisch verbrämt.

Das Phänomen Schirrmacher

Frank Schirrmacher war einer der Dirigenten der ganz eigenen und zum Teil in sich selbst rotierenden Feuilletonwelt, in der seine beiden hier beispielhaft heraus gegriffenen Bücher wie siebte Weltwunder gehandelt wurden. Genau so wurden auch seine späteren Bücher, "Payback" und "Ego Das Spiel des Lebens" etwa zu den Folgen des Internets und der Digitalisierung aufgezogen und wie gesellschaftliche Ereignisse, die die Welt verändert hätten, gehandelt. Das ist unbestreitbar das Phänomen Schirrmacher, das er sich in seinen Kreisen und vor allem medienintern zu einem Guru entwickeln konnte, dem Jahrhundert - oder gar Jahrtausendeigenschaften zugeschrieben wurden, wie sie jetzt in den Nachrufen Inflation haben.

Schirrmacher hätte auch noch Naturwissenschaften, Technik, Wirtschaft und Politik in den feuilletonistischen Stammtisch mit aufgenommen, ob immer seriös und das Niveau der Populärwissenschaft übersteigend darf allerdings bezweifelt werden.

Legendär ist Schirrmachers Idee geworden seitenweise bloße Buchstabenfolgen abzudrucken, eine Darstellung des menschlichen Genoms, das 2006 entschlüsselt worden war. Das war zwar nicht mehr als ein aufgeblasener Gag ohne jeden Nutzen für den Leser, aber dieser Gag hat dazu beigetragen, dass sich die Nachricht von der Entschlüsselung des Gencodes in der Öffentlichkeit eingegraben hat. Schirrmacher ist ein Windmacher und jeder Wind hat immer auch seinen Nutzen. An seinen Werken soll man ihn messen. Die zumeist nicht ganz uneigennützigen, unzähligen Nachrufe würdigen den Verstorbenen ungenügend, weil sie sich auf Überhöhungen und auf ein Schwelgen in diesen Überhöhungen verlegt haben. Lesenswert sind die realistischen Schilderungen ehemaliger Mitarbeiter, die mit ein bisschen Abstand, Kenntnis, aber auch wohlwollender Ironie seine Stärken und seine Schwächen schildern. Diese Schilderungen kommen womöglich dem Menschen und dem Phänomen Schirrmacher am Nächsten.

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