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Wahl-O-Mat schickt Wähler in die Wüste

Bettina Röhl Publizistin

Der bundesbehördliche Wahl-O-Mat sowie die Politikerduelle zeigen es exemplarisch. Die Wahl 2013 wird immer mehr zu einer irrealen Veranstaltung.

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Jugendredakteure der Bundeszentrale für Politische Bildung stehen am 29.08.2013 in Berlin beim Start des interaktiven Online-Tools «Wahl-O-Mat 2013» hinter einem Laptop zusammen Quelle: dpa

Der allgemein beliebte Wahl-O-Mat, eine Art virtuelle, vor weg genommene Bundestagswahl, manipuliert die Wähler und damit die reale Bundestagswahl auf eine unredliche Art und Weise. Wer an dem über viele Medien verbreiteten virtuellen Spielchen teilnimmt, wird unterschwellig belehrt, welche Fragen und Themenkomplexe für seine reale Wahl am 22.September wichtig seien und welche es gar nicht gibt. Der Fragenkatalog des Wahl-O-Maten erzeugt unterschwellig einen Druck der politischen Korrektheit. Wer die Fragen des Wahl-O-Maten ausfüllt, spürt, wie er eigentlich zu antworten hat. Und umgekehrt, wie er eigentlich nicht antworten dürfte.

Wie gut, dass weder die NSA noch ein bundesdeutscher Dienst noch die Zentrale für politische Bildung, die den Wahl-O-Maten erfunden hat, ihre Antworten, die sie dem Wahl-O-Maten spielerisch gegeben haben, abfischen, oder? So muss sich niemand bei dem Ausfüllen der Fragen unter Druck fühlen, kann seiner Überzeugung freien Lauf lassen und sich der Suggestion des Wahl-O-Maten völlig entspannt entziehen.

Der Wahl-O-Mat als Big Brother und Wahlhelfer

Wie funktioniert also der Wahl-O-Mat? Und warum gibt es ihn? So wie der Wahl-O-Mat aufgebaut und präsentiert wird, nämlich als großer lieber Big Brother und Wahlhelfer, der jeden zuhause animieren soll das kleine Wahlspielchen mitzuspielen, erscheint er wie ein virtueller Oberlehrer, der die Menschen sanft pädagogisch dazu bringen soll freiwillig zur Wahl zu gehen und wieder Spaß an der Politik zu haben. Nach dem Motto: guck mal, so einfach ist Politik. So einfach ist wählen. Und ebenso sanft wird dem Bundesbürger auf unterstem Niveau, ohne, dass er es merken soll, vermittelt, wie Demokratie geht, wie hierzulande überhaupt gewählt wird, was Parteien sind, für was sie angeblich stehen und welche Partei politisch korrekt ist und welche nicht.

Die Wahl-O-Mat-Macher vermeiden zwar den Eindruck, eine manipulative Veranstaltung zu sein und sie glauben womöglich selber ehrlichen Herzens daran, rein schier nur Gutes zu tun und keinerlei Hinterabsicht zu verfolgen, aber man hüte sich davor sich vom Wahl-O-Maten täuschen zu lassen.

Der quasi-offiziöse bundesdeutsche Wahl-O-Mat ist ein Produkt der Bundeszentrale für politische Bildung ( kurz bpb genannt), eine Unterbehörde des Bundesinnenministeriums. Wer glaubt, dass damit alles in Butter wäre, ist naiv.  Dem Bundesinnenministerium steht bekanntlich der Minister des Innereren, Hans-Peter Friedrich von der CSU vor. Achso, der Wahl-O-Mat ist also letztlich eine CSU-Veranstaltung? Schön wäre es, denn dann könnte man den Spiritus der Bayern-Union, deren Politik man gemeinhin kennt, zwecks Neutralisierung einfach aus dem Wahl-O-Mat- Geschehen heraus rechnen. Doch in der Zentrale für politische Bildung sieht es diametral anders aus. Die bpb muss zwar den Bundesinnenminister als oberste Instanz fragen, wenn sie gerne ein neues Dienstgebäude haben möchte oder mehr Geld oder sonst irgendwelche Äußerlichkeiten verändern möchte, aber inhaltlich macht sie, was sie will.

Der Wahl-O-Mat der Bundesbehörde kommt lieb, modern und nett daher

Unter dem Dach der wissenschaftlichen Freiheit werkelt dort allerdings seit Jahrzehnten ein grundsätzlich links gebürstetes Meinungsmacherteam, die in einem wenig kontrollierten Raum geistige Allmacht walten lässt. Regelmäßig ist die ppb Oberrichter über selbst gesetztes Gedankenrecht.  Die Politische Bildung ist ein eigenes gewichtiges Thema, an das sich die konservativen Parteien nicht heran trauen. Sie kuschen. Quasi richterliche Unabhängigkeit reklamierend, wenig die reale Meinungsvielfalt wiederspiegelnd, trifft die Bundeszentrale für politische Bildung allgemein gültige politische Grundweichenstellungen, die alle angehen und die auf unterschiedlichsten Wegen, über Veröffentlichungen, Interviews, Forschungsprojekte, in die Öffentlichkeit hinein wirken. Eins der jüngsten Beispiele der Verirrsinnigung aus dem Hause der politischen Bildung war die unspezifische und intellektuell sehr primitive Gleichung, mit der die neue Partei namens AfD, kaum war sie aufgetaucht, unter dem Rubrum Rechtspopulismus, Rechtsextremismus stigmatisiert wurde.  

Der Wahl-O-Mat ist nicht neutral

Die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl
ANGELA MERKEL - Kampf um dritte KanzlerschaftDie CDU-Chefin kämpft bei der Wahl am 22. September um ihre dritte Kanzlerschaft. Ins Amt kam Angela Merkel 2005 an der Spitze einer großen Koalition aus Union und SPD. Seit 2009 führt sie ein Bündnis mit der FDP, das sie erklärtermaßen fortsetzen will. An die Spitze ihrer Partei gelangte die vorherige Generalsekretärin im Jahr 2000 im Zuge des CDU-Spendenskandals - nachdem sie sich scharf von Altkanzler und Ex-Parteichef Helmut Kohl distanziert hatte. Als Parteivorsitzende hat die heute 59-Jährige der CDU eine programmatische Modernisierung verordnet. Grundsatzpositionen wie die Wehrpflicht und das Ja zur Atomkraft wurden aufgegeben, auch in der Familien- und Bildungspolitik änderte sich der Kurs - zum Leid des konservativen Flügels. In die Politik kam die ostdeutsche Physikerin in der Wendezeit. Sie wurde Vizesprecherin der ersten demokratisch gewählten DDR-Regierung und später unter Kohl zunächst Frauen-, dann Umweltministerin. Mitglied des Bundestags ist sie bereits seit 1990. Quelle: dpa
PEER STEINBRÜCK - Klartext-Mann auf schwieriger MissionMit 66 Jahren will er es noch einmal wissen. Das Problem: Der frühere Finanzminister hatte nach dem Ende der großen Koalition eine Kandidatur nicht einkalkuliert - und so fielen Peer Steinbrück seine lukrativen Vorträge gleich auf die Füße, als er schlecht vorbereitet und zunächst ohne eigenen Mitarbeiterstab in das äußerst schwierige Unterfangen startete. Hinzu kamen unglückliche Äußerungen. So trauen ihm bisher nicht viele Bürger zu, es besser zu können als Merkel. Manche fragen auch, ob er der richtige Mann ist für ein eher linkes SPD-Programm. Früher sah er etwa Mindestlöhne kritisch. Aber der Mann feiner Ironie und scharfer Worte kämpft. Die Karriere des Volkswirts begann 1974 im Bundesbauministerium, unter Helmut Schmidt war er Referent im Kanzleramt. Nach Ministerposten in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wurde der gebürtige Hamburger in Düsseldorf Ministerpräsident (2002-2005), dann war er Minister unter Merkel. Für die Zukunft hat er letzteres aber ausgeschlossen. Quelle: dpa
RAINER BRÜDERLE - Haudegen mit HandicapFür den Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion läuft der Wahlkampf bisher alles andere als rund. Vor sechs Wochen stürzte er nach einem privaten Abend mit Freunden schwer, zog sich Brüche an Arm und Oberschenkel zu. Seitdem kämpft der 68-Jährige in der Reha, um zum Wahlkampfendspurt mit vielen Großveranstaltungen wieder fit zu sein. In der Zwischenzeit gibt Brüderle im Akkord Interviews, fordert mehr Datenschutz in Europa, geißelt die Steuererhöhungspläne von Rot-Grün und sucht beim Solidarzuschlag die Konfrontation mit der Kanzlerin. Wann mit dem stufenweisen Soli-Ausstieg begonnen werden soll, darüber sind sich Brüderle und FDP-Chef Philipp Rösler aber selbst nicht so ganz einig. Brüderle, als Fraktionschef lange ein Rösler-Rivale, findet die Doppelspitze mit dem 40-jährigen Vizekanzler gut. Die Mischung aus Jung und Alt sei richtig. „Das läuft alles sehr offen und fair“, sagte Brüderle der „Welt am Sonntag“ über sein Teamspiel mit Rösler. Quelle: dpa
KATRIN GÖRING-ECKARDT Die Frau aus dem Osten ist eine Vertreterin des Realoflügels und eine abwägende Rednerin. Die 47-jährige Göring-Eckardt soll stärker in so genannte bürgerliche Schichten ausstrahlen. Doch bisher fiel es der Thüringerin manchmal schwer, neben dem oft dominant wirkenden Bremer durchzudringen. Göring-Eckardt engagierte sich in der kirchlichen Opposition der DDR und sitzt heute im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sie war 1989 Gründungsmitglied der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ und von „Bündnis 90“. Unter Rot-Grün war sie Fraktionsvorsitzende. Quelle: dpa
JÜRGEN TRITTIN - Der zweiten Gemischtes Grünen-DoppelDer Mann aus dem Westen gilt als pragmatischer Parteilinker und scharfer Rhetoriker: Zwei sehr unterschiedliche Politiker haben die Grünen per Urwahl an der Spitze ihres Wahlkampfs gestellt. Der 59-jährige Jürgen Trittin steht für klaren Rot-Grün-Kurs. Trittin ist mit Renate Künast seit 2009 Fraktionschef im Bundestag. Im Kabinett von Gerhard Schröder (SPD) leitete er von 1998 bis 2005 das Umweltressort. Vielen gilt er als etwas arrogant, doch im Wahlkampf betont er seine charmante Seite. Quelle: dpa
GREGOR GYSIDie Linke konnte sich nicht auf einen oder zwei Spitzenkandidaten einigen und hat sich deswegen für gleich acht entschieden. Der prominenteste ist Fraktionschef Gregor Gysi. Der 65-jährige Gysi gilt nach dem Abgang Oskar Lafontaines als mächtigster Mann der Linken, hat aber während des erbitterten Machtkampfs um die Parteispitze im vergangenen Jahr Autorität eingebüßt. Der Berliner Rechtsanwalt hat ein zweistelliges Wahlergebnis als Ziel ausgegeben, in den Umfragen liegt die Partei zwischen sechs und neun Prozent. Quelle: dpa
SARAH WAGENKNECHT - Nr. 2 der LinkenWagenknecht war früher Wortführerin der Kommunistischen Plattform lässt ihre Mitgliedschaft in der radikalen Parteigruppierung seit ihrer Wahl zur stellvertretenden Parteivorsitzenden aber ruhen. Neben Gysi gilt die 44-jährige Lebensgefährtin Lafontaines als die Linke mit der stärksten Ausstrahlung. Gysi hat ihren Aufstieg in der Partei mehrfach gebremst. Nach der Wahl könnte sich aber die Frage neu stellen, ob sie an seiner Seite Fraktionschefin wird. Quelle: dpa

Die Bundeszentrale für politische Bildung arbeitet aus einem Raum heraus, der dem durchschnittlichen Bundesbürger kaum bekannt ist. Die Konstruktion der Behörde ist ein antiquiertes Unikum und dringend erneuerungsbedürftig, um den Ungeist dieser Behörde den Garaus zu machen. Die Behörde ist, wie gesagt, seit Jahrzehnten auch personell links bis linksradikal besetzt, was die Behörde möglicherweise schon lange für völlig in Ordnung und Normal Null hält. Aber man muss etwas über diese Behörde wissen, wenn man sich auf den Wahl-O-Maten einlässt, der ganz normal und lieb und megatransparent und mit Studentenwitz und Professorenmacht daher kommt und uns modern und nett alle zum Spielen einlädt.    

Zum Beispiel die Mindestlohn-Frage

In diesem Zusammenhang schaue man sich die 38 Fragen des Wahl-O-Maten, der dem Spieler am Ende verrät wes Geistes Kind und wessen Parteigänger er wäre, genauer an.

Frage 1  "Es soll ein gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn eingeführt werden."

Von einer politischen Bildung darf man erwarten, dass sie darüber aufklärt, dass eine Mietwohnung in der Uckermark oder sonst einer armen Region Deutschlands schon für 2 bis 3 Euro pro Quadratmeter zu haben ist, wohingegen die gleiche Mietwohnung in einer teuren Großstadt im Zweifel glatte 10 Euro mehr pro Quadratmeter kostet. In der Frage der bpb ist also das Wort "flächendeckender" eine solche qualitative Verkürzung der Mindestlohnfrage, dass dem Spieler eine qualifizierte Antwort verunmöglicht wird.

Das vorläufige amtliche Endergebnis – hier sehen Sie, wie die politische Stimmung im Land ist.

Wer wirklich sozial ist, also für einen Mindestlohn eintritt, muss nach den allgemeinen Lebenshaltungskosten der einzelnen Regionen differenzieren, wenn er alle Mindestlohnempfänger nicht nur nominal, sondern substanziell gleich behandelt wissen will. Was soll also der Wähler, der einen wirklich durchdachten, wirtschaftlich angepassten und sozial adäquaten Mindestlohn will, also auf diese unsinnige Frage antworten? (Eine Frage, die im Übrigen schon lange politisch-moralisch vorbesetzt ist: bist Du für den Mindestlohn, bist Du sozial, also ein Guter und umgekehrt. Und wer will schon gern freiwillig ein Böser sein?)Und natürlich muss man "flächendeckender Mindestlohn" hier so verstehen, wie die SPD oder die Linkspartei es propagieren: 8,50 Euro pro Stunde überall. Gleich zu Beginn also schon der erhobene Zeigefinger der bpb.

Reihenfolge ist unvermeidlicher Weise immer auch Rangfolge. Der Mindestlohn ist eine wichtige Frage, aber unter den wirklich wichtigen Fragen der Politik ein nachrangiger Krümelaspekt. Was wird also mit Frage 1 bezweckt?

Tempolimit auf Autobahnen, Abschaffung des Euro

Beispiel Frage 3, "Generelles Tempolimit auf Autobahnen!" Dazu kann man nur sagen: Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad, darf sie das? So prominent auf Frageplatz 3 steht eine so unwichtige Frage. Ein gezieltes Verwirrspiel.

Oder Frage 4 "Deutschland soll den Euro als Währung behalten"

Welche Partei will den Euro für Deutschland nicht behalten? Ob der Euro nicht vor der Wahl, sondern à la longue zu retten ist oder unbezahlbar wird, oder ob die Euro-Zone zerfallen wird oder ob die Stimmen in Griechenland, die dort zur Drachme zurück kehren wollen, Oberwasser bekommen, wer weiß das alles schon heute? Einfach so mir nichts dir nichts den Euro in Deutschland abzuschaffen, wie es die Frage impliziert, will keine Partei und auch kein Wähler. Was soll also eine so ärgerliche Frage? Soll das vielleicht die entscheidende Frage zur Euro-Politik sein? Oder offenbart sich in diesem Fragepopulismus die volle Unkenntnis der schöngeistigen Professorenveranstaltung der bpb? Zudem handelt es sich um eine bösartige Frage, die offenbar verkappte Nationalpopulisten, die unbedingt zu einer neuen DM wollen, aus den Spielern heraus kitzeln will.

Wer will nicht gutes Essen?

Welche Koalitionen im Bund denkbar sind
Große Koalition aus Union und SPDVorteile: technokratisches Regieren, krisenerprobt, sichere MehrheitNachteile: schmerzhaften Reformen eher abgeneigt, schwache Opposition ist kaum als Korrektiv geeignetWahrscheinlichkeit: groß Quelle: dpa
Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen Quelle: dpa
Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP Quelle: dapd
Bürgerliche Koalition aus Union und FDP Quelle: dapd
Schwarz-grüne Koalition aus Union und GrünenVorteile: verbindet Interessen von Ökonomie und ÖkologieNachteile: vereint Wähler mit unterschiedlichem Gesellschaftsbild, wenig Schnittmengen in der WirtschaftspolitikWahrscheinlichkeit: eher gering, weil beide Parteien zunächst andere Koalitionen ausloten Quelle: dpa
Rot-grüne Koalition aus SPD und Grünen Quelle: dpa
Rot-rot-grüne Koalition aus SPD, Grünen und LinkenVorteile: Rechnerische Mehrheit im linken Lager erreichbarNachteile: Linkspartei gilt im Westen als kaum koalitionsfähig, SPD und Linke konkurrieren und misstrauen sich, Peer Steinbrück kann überhaupt nicht mit der LinkenWahrscheinlichkeit: ausgeschlossen

Frage 8 "Nur ökologische Landwirtschaft soll finanzielle Förderung erfahren"

Angesichts der vielen Bio-und Ökologieskandale und der gigantischen Irrtümer in Sachen Öko hätte es sich gehört, dass eine Politische Bildung erst einmal eine prägnante Begriffsdefinition liefert. Wer will nicht gutes Essen haben? Und dies zu günstigen Preisen?

Rein in die ökologische Erzeugung von PKW-Diesel heißt neuerdings Verknappung der Erzeugung von Lebensmitteln. Der Aufdruck Bio hat nach seriösen Forschungen eher regelmäßig nicht das bessere, gesündere Essen auf den Teller gebracht. Es gibt jedenfalls keinen Nachweis dafür. Wie genau ist also die Frage gemeint?

Die Frage nach dem getrennten Unterricht

Frage 9 heißt  "Alle Kinder sollen ungeachtet ihres kulturellen Hintergrundes gemeinsam unterrichtet werden"

Das impliziert allerdings die Frage: gilt das Grundgesetz oder gilt es nicht? Siehe Artikel 3. Unter der Frage "Getrennter Schulunterricht" wird hier in Wahrheit eine fiktive Rassismusfrage aufgebaut. Daher muss die Gegenfrage gestellt werden: gibt es überhaupt eine Partei, in deren Programm steht, dass Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund in getrennten Schulen unterrichtet werden sollen? 

Während der Bundestagswahlkampfs analysieren die WirtschaftsWoche und der Datenspezialist Attensity mit einer Sprachanalysetechnik, wie das Netz über Parteien und Politiker diskutiert.

Die entscheidenden Aspekte werden in dieser "Frage" unterdrückt. Wie sieht es mit der Qualifikation der Schüler aus. Wie sieht es mit den Sprachkenntnissen der Schüler aus. Wie sieht es mit dem Willen der Schüler und der Eltern aus überhaupt eine gemeinsame Schule besuchen zu wollen. Um welchen gemeinsamen Unterricht geht es? Spielt die Frage auf politische Diskussionen über Integration, Inklusion, gemeinsam lernen usw. an? Ist also gemeint, ob man dafür sei, dass die Schüler neuerdings gemeinsam bis zur 6.Klasse oder gemeinsam bis zur zehnten Klasse lernen sollen? Oder bis zum flächendeckenden Abitur oder bis zur flächendeckenden Habilitation an sogenannten Exzellenzuniversitäten?

Weitere obskure Fragen

Frage 11 des Wahl-O-Maten lautet:  "Deutschland soll aus der Nato austreten". Allerdings: Ein Nato-Austritt wird bestenfalls von Leuten gefordert, die durch Zweifel an ihrer Verfassungstreue gekennzeichnet sind. Was soll diese absurde Frage, die beispielsweise die weniger attraktiven Kreise der Linkspartei hoffähig macht, so als sei das Ganze überhaupt im Moment eine Option für Deutschland, die durch eine Frage der bpb zu unterstützen ist. Siehe hierzu auch Frage 14 "Alle Banken in Deutschland sollen verstaatlicht werden". Hier handelt es sich um ein rechtlich wie technisch undurchführbares Vorhaben, das im Übrigen gesamtwirtschaftlich den größtmöglichen Schaden erzeugen würden. Werden solche obskuren Forderungen von der bpb zu normaler Alltagspolitik hochgejubelt?

Infos zum Wahl-O-Mat

Der Fragenkatalog plätschert teils mit Wiederholungen so weiter. Die wirklich wichtigen Themenfelder der Gegenwart, wie zum Beispiel das Rentensystem, das Gesundheitssystem, das Steuersystem, die Haushaltssteuerung und vorne weg das wichtigste Themenfeld der Integration umschifft die bpb mit ihrem wirklich dämlichen Fragenkatalog, der in sehr vielen Fällen keine wirkliche Antwortmöglichkeit eröffnet.

Die taktischen Parteiprogramme scheinen die unverdaute Grundlage der Fragen gewesen zu sein, die dann allerdings noch weiter ins Ungefähre gebrochen worden sind, so dass am Ende weniger politisch fundierte Meinungen als vielmehr eher dumpfe Stimmungslagen höchst selektiv abgefragt werden. Darüber hinaus wird der Spieler in den Irrtum hinein geschickt, dass er ausweislich eines behördlichen Bescheides im Wesentlichen die wichtigen Fragen der Politik verstanden hätte, wenn er den Katalog durchgearbeitet hat.

Integration bleibt außen vor

So teuer werden die Wahlversprechen der Parteien
Die Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln rechnen mit den Parteiprogrammen der Parteien ab. Sie haben sich die steuerlichen Auswirkungen der Wahlversprechen angesehen. Ein Überblick:CDU/CSU Besonders teuer kommt die Wähler die Sozialpolitik zu stehen: Hier fallen fiskalische Mehrbelastungen von 21,2 Milliarden Euro an, wovon 9,4 Milliarden Euro durch die Steuerpolitik wieder reingeholt werden. Bei Umsetzung des Programms sind also unterm Strich noch 12 Milliarden Euro über zusätzliche Abgaben einzutreiben. Deshalb wird das BIP nach fünf Jahren einen Rückstand von 0,1 Prozent aufweisen, schätzt das IW. Der Beschäftigungsstand läge knapp 100.000 Personen hinter dem Status-quo-Szenario. Quelle: dpa
SPDDie Sozialpolitik fällt bei der SPD sogar weniger ins Gewicht, als bei der Union: Hier wären es 18,2 Milliarden Euro. Zusammen mit der Steuerpolitik (40,9 Mrd.) fallen allerdings insgesamt 59,1 Milliarden Euro an, die durch zusätzliche Abgaben wieder hereingeholt werden müssen. Das BIP würde daher nach fünf Jahren um 0,7 Prozent geschrumpft sein, und der Beschäftigungsstand läge um 300.000 Menschen niedriger. Quelle: dpa
FDPEinzig das Programm der Liberalen würde sich laut IW nicht messbar auf Wachstumsprozess und Beschäftigungsstand auswirken und im Vergleich zu den anderen Parteien die geringsten Risiken bergen. Allerdings bliebe die FDP manche Konkretisierung schuldig, so die Forscher. Die Mehrausgaben in der Sozialpolitik sind mit 4 Milliarden Euro gering; durch Minderausgaben in der Steuerpolitik von 5,5 Milliarden bliebe unterm Strich eine Minderbelastung von 1,5 Milliarden Euro. Quelle: dpa
Bündnis 90/Die GrünenDie Pläne von Bündnis 90/Die Grünen verursachen Mehrbelastungen von 59,7 Milliarden Euro, zusammengesetzt aus 14,2 Milliarden für Sozial- und 45,5 Milliarden Euro für Steuerpolitik. Dadurch wären wie bei der SPD 300.000 Jobs gefährdet und das BIP würde um 0,7 Prozent zurückgehen. Dabei seien die zu erwartenden negativen Investitionsanreize infolge einer Vermögensteuer und deren beschäftigungsfeindliche Wirkung noch gar nicht eingerechnet, so das IW. Quelle: dpa
Die LinkeDie höchste Mehrbelastung für die Bürger und den Staatshaushalt ergibt sich laut IW aus den Plänen der Linken mit sage und schreibe 160,8 Milliarden Euro pro Jahr. Ausschlaggebend dafür sind vor allem die Steuerpläne sowie die Rücknahme aller bisherigen Rentenreformen: denn die Einsparungen in der Sozialpolitik (-10,2 Mrd.) werden durch 171 Milliarden Euro Mehrausgaben bei der Steuerpolitik mehr als aufgefressen. Der Beschäftigtenstand würde gegenüber dem Status Quo um 800.000 sinken, das BIP würde um 1,9 Prozent einbrechen. Quelle: dpa

Erschütternd bleibt, dass die real existierenden Kanzlerkandidaten, Merkel und Steinbrück, der Nation auf einem ähnlichen Niveau ein sogenanntes Kandidatenduell im deutschen Gesamtfernsehen vorgesetzt haben. Eine kartellartige große Koalition kennzeichnete die Debatte vom vergangenen Sonntag. Merkel und Steinbrück und die schwachen vier Top-Moderatoren des Duells klammerten das Thema der Themen dieser Zeit, das auch ein europäisches Thema ist und sogar eines des Westens insgesamt, nämlich das Thema der Integration im weitesten Sinne, eisenhart aus. So wie es auch beim Kanzlerduell vor vier Jahren zwischen Merkel und Steinmeier ausgeklammert worden war.

Es wurde nicht danach gefragt, es wurde nicht darüber diskutiert, das Thema wurde wie nicht existent behandelt. Da gingen die real existierenden Kandidaten sogar noch einen Schritt weiter als die bpb, die das Thema wenigstens vorgeblich in einigen Fragen, wenn auch unsinnigen Fragen, siehe oben, anklingen ließ.

Der guten Ordnung halber soll nicht verschwiegen werden, dass der virtuelle Wahl-O-Mat wie auch die realen Kandidaten die Außenpolitik sprich zum Beispiel die Nahost-Politik im Prinzip gänzlich ausklammerten. Merkel und Steinbrück kniffen sich gerade mal den Alibisatz ab, dass sie Deutschland nicht an einem amerikanischen Waffengang in Syrien beteiligt sehen wollen. Mindestens im Prinzip nicht.

Die großen Fernsehanstalten sollten sich schämen

Und die großen Fernsehanstalten sollten sich schämen, dass sie nur auf die etablierten Parteien bei den Wahlen gesetzt haben. Mit welchem Recht wurde bei dem gestrigen sogenannten Triell der Spitzenkandidaten von FDP, Grünen und die Linke, die Piratenpartei, die sogar in deutschen Landtagen sitzt und immer mal wieder mit fünf Prozent plus x gehandelt und gefürchtet wurde, zu dem Kandidatentalk nicht eingeladen? Ähnliches gilt für die AfD, die von den etablierten politischen Parteien gefürchtet und zum Hassobjekt erklärt wurde und in Umfragen immer mal wieder an die Fünf-Prozent-Hürde heran reicht. Damit sind die Wahlchancen der Piraten und der AfD objektiv unlauter und undemokratisch minimiert worden.

Das Triell, das gestern im Wesentlichen eine Umverteilungsdebatte ganz im Sinne der Linkspartei war, wurde von Gysi, Brüderle und Trittin bestritten, die immerhin eine etwas lebhaftere Debatte zustande brachten als die Dinos vor ihnen. Aber das ändert nichts daran, dass auch das kleine Fernsehspektakel aus der Wahl 2013 nichts machte, was die Wahl als demokratischen Ur-Akt wirklich heraus reißen konnte.

Die Niveaulosigkeit der Bundestagswahl 2013 hat die Bildzeitung unfreiwillig auf ihrem Titel dokumentiert, als sie gestern Stefan Raab als wahren Sieger des Duells zum heimlichen Kanzler ausrief. Raab hatte zwar eine gewisse Launigkeit in das Kanzlerduell gebracht, aber auch er lieferte wenig Fragesubstanz.

Trotz allem gilt: jeder sollte am 22. zur Wahl gehen, um mindestens die Parteien in die Pflicht zu nehmen.

P.S. Ein personeller Lichtblick ist während der Wahl bei der SPD sichtbar geworden und der heißt Thomas Oppermann. Ein heißer Kandidat auf den Kanzlerkandidaten 2017.

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